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Lehrer in Strumpfhosen

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Wenn es Elfen wirklich gäbe, sie würden sich bewegen wie Mali. Fast lautlos huschen die nackten Füße übers Linoleum. Mali macht zwei Schritte nach links, dann gleitet ihr Arm zu Boden, der Leib hinterher. Vier, fünf, sechs, sieben, acht. Yutaka greift nach Malis Hand, zieht sie hoch, wirbelt die 16-Jährige im Kreis, der blonde Pferdeschwanz fährt Karussell. Mali wird am Donnerstag auf der Bühne des Staatstheaters am Gärtnerplatz tanzen, zusammen mit Yutaka und den knapp 40 anderen Mitgliedern des Tanz-Ensembles, das aus Schülern des Pestalozzi-Gymnasiums und Tänzern des Balletttheater München zusammengesetzt ist. Zum ersten Mal in der Geschichte des Theaters werden Schüler gemeinsam mit Profis tanzen, begleitet von einem Orchester, das ebenfalls mit einem Profi-Schüler-Mix besetzt ist. Bevor sich der rote Samtvorhang öffnet, müssen Mali und die anderen noch üben. 15 Trainingsstunden haben der Tänzer Alan Brooks und Philip Taylor, Ballettdirektor am Gärtnerplatz-Theater, zur Verfügung, um die Choreographie auf die Bühne zu bringen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Aufwärmtraining. Die Nachwuchstänzer stehen im Kreis und schreien den Frust der vergangenen Woche heraus. Am Anfang zaghaft, dann immer lauter. Der Ballettsaal ist ein Platz für Emotionen, deshalb sollen nicht nur die Muskeln locker sein, sondern die ganze Person. Alan Brooks und Philip Taylor wollen mit den Schülern den fünften und damit letzten Teil der Choreografie einstudieren. Philip dirigiert alle zu Musik von Modest Mussorgski durch den Raum. „Du musst auf acht vorne sein. Und du rennst auf 17 los, auf 18 kommen die Arme hoch.“ Später, in der Garderobe, zwischen Matrosenkostüm und Brautkleid, seufzen Claudia und Anna. „Das Durchzählen ist wirklich schwierig, man muss seinen Einsatz punktgenau finden - und wir sind ja keine Profis.“ Heute hat sogar Alan seinen Einsatz einmal beinahe verpatzt. Das beruhigt. Denn sein Anspruch an die Schüler ist ziemlich hoch: „Ich möchte nicht, dass die Zuschauer denken: ‚Guck mal, süß, die Schüler. Ich will, dass man vorne auf der Bühne eine professionelle Tanzkompanie sieht. Die Jugendlichen haben schon viel gemeistert, aber ich will mehr.“ Einige der 12- bis 18jährigen Schüler des Pestalozzi-Gymnasiums machen bei „tanz macht schule“ mit, anstatt im Sport-Grundkurs Zielübungen mit Basketbällen zu machen oder beim Kraulschwimmen nach Luft zu schnappen. Andere sind hier, weil sie gerne tanzen. Kilian, 16 Jahre alt, hat sich wegen der Fitness für das Tanz-Projekt entschieden. In den ersten Trainingsstunden fühlte er sich dann aber doch etwas sonderbar: „Am Anfang hab ich oft zu den anderen rüber geschaut und mich gefragt: Mach ich was falsch? Und was mach ich eigentlich überhaupt hier?“ Das hat sich inzwischen gelegt, sagt Kilian. Auch seine Körperwahrnehmung hat sich während des Tanztrainings verändert: „Das merke ich schon beim Treppenlaufen. Jetzt spüre ich, wie sich mein Bauch dabei anspannt.“ Spannung ist die halbe Miete, wenn es darum geht, beim Tanzen gut auszusehen. Pudding-Knie müssen draußen bleiben, hängende Schultern auch. „Starker Rücken!“ Alan wirft die Arme nach oben, steht kerzengerade. „Das Publikum sieht, wenn ihr locker lasst. Kämpfen, kämpfen, kämpfen!“Das zeitgenössische Tanzstück wird bei der Aufführung ungefähr 25 Minuten dauern, jeder Schüler hat einen kleinen Solo-Part. Philip Taylor, der Ballettdirektor, denkt, dass beide Seiten von dem Projekt profitieren und führt Yutaka, Malis Mittänzer, als Beispiel an: „Vielleicht bringt ihm das nichts für seine Karriere. Aber er hat erfahren, wie man Wissen weitergibt.“ Mali ist an diesem Abend die letzte Schülerin, die den Ballettsaal verlässt. Philip und Alan gehen Malis Solo noch ein paar Mal mit ihr durch. Fünf-sechs-sieben-acht, fallen lassen, drehen, rechter Fuß nach vorne, drei-vier, Arm nach oben, nicht nachdenken, denn nachdenken bremst. Am Ende, es ist schon dunkel vor den weißlackierten Holzfenstern des Ballettsaals, klappt’s. „Viele der Tänzern sind berührt, wenn sie die Jugendlichen sehen. Die Schüler gehen an ihre Grenzen.“ Alan steht für einen kurzen Moment still da. „Auch wenn der Fuß nicht ganz hoch geht und die Schüler nicht hoch genug springen: Sie sehen fantastisch aus.“ Das Projekt „tanz macht schule“ ist am Donnerstag, 4. Mai (11 Uhr) und am Sonntag 7. Mai (16 und 19 Uhr) im Staatstheater am Gärtnerplatz zu sehen.

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