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Leben aus der Tonne

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Die Ausbeute ist heute nicht besonders üppig: Ein Apfel, eine Paprika, ein paar Möhren. Aber das ist in Ordnung, ein Großeinkauf war auch nicht geplant. Die Erdbeeren lässt Mark in der Mülltonne liegen und auch den Fünf-Kilo-Sack Kartoffeln, obwohl nur eine davon schimmlig ist. „Wo gut leben wenig kostet“, so wirbt der Supermarkt, dem der Abfall gehört. Für Mark kostet das „gute Leben“ keinen Cent – und trotzdem nimmt er nur wenig mit. „Gier ist ein Anfängerfehler.“ Mark ist kein Anfänger mehr. Seit einem Jahr ist er Freeganer – das heißt, er lebt von Sachen, die andere wegschmeißen. Ein großer Teil der Lebensmittel in den Mülltonnen sei meistens noch gut, sagt er. Das Haltbarkeitsdatum sei nur ein Mindestwert, auch Wochen später sei das Essen noch genießbar. An Anfang ärgerte er sich über die Verschwendung, nahm ständig zu viel mit. Erst nach ein paar Monaten wurde er das Gefühl los, das Essen aus der Tonne retten zu müssen. „Immer nur das mitnehmen, was man wirklich braucht“. Sonst landen die Überschüsse wieder dort, wo sie her kommen. Der Container neben den Biotonnen ist nicht abgeschlossen. Plastikflaschen quellen heraus – Pfand von mehreren Hundert Euro, unbewacht. Mark lässt sie liegen. Freeganern gehe es nicht darum, sich zu bereichern. Außerdem wäre es echter Diebstahl. Rechtlich gesehen gilt auch „Containern“ – das Plündern von Mülltonnen – als Delikt: Der Müll ist Eigentum des Supermarktes. Die Polizei drückt aber meistens ein Auge zu, viele Supermärkte auch. Manche verschließen aber inzwischen die Tonnen. Ihre Begründung: wilde Tiere. Außerdem argumentieren sie mit Verlusten: Das, was die Leute aus dem Müll holen, kaufen sie nicht mehr ein. Mark schüttelt den Kopf. Bis jetzt habe er niemanden getroffen, der sich aus der Tonne ernährt, um Geld zu sparen. Meistens stecke Überzeugung dahinter. Oder Not. Erst vor ein paar Tagen hat Mark eine Frau getroffen, die ohne nächtliche Touren nicht über die Runden kam. Natürlich gibt es darüber keine Statistik, aber er hat das Gefühl, es werden immer mehr. Müllsammeln als Statement Mark hätte es eigentlich nicht nötig. Wie andere Freeganer containert er aus Prinzip. Freeganismus ist eine Bewegung aus den USA, die in den Achzigern aus Protest gegen Tierausbeutung entstand. Massentierhaltung, Tierversuche, Tiertransporte, Umweltverschmutzung – daran wollen Freeganer nicht teilhaben. Die Rechnung ist einfach: Wer von Abfällen lebt, kauft nicht ein. Wer nicht einkauft, wischt der Lebensmittelindustrie eins aus. Inzwischen gibt es verschiedene Strömungen: Einige leben aus der Tonne, um die Mehrwertsteuer zu umgehen. Für sie ist Containern ein politisches Statement, ein Weg zu zeigen, dass sie den Staat nicht unterstützen. Andere wollen die Wegwerfgesellschaft anprangern. Beweisen, dass man von Sachen, die als „Müll“ gelten, ganz gut leben kann.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Mark möchte unerkannt bleiben. Er will sich nicht in den Vordergrund drängenMit 18 wurde er Vegetarier, dann Veganer und schließlich Freeganer Über dem Abstellplatz hängt ein süßlicher Mief: Fauliges Obst und vergammeltes Gemüse. Mark ist ihn gewöhnt – ohne die Nase zu rümpfen öffnet er eine Tonne nach der anderen, leuchtet mit seiner kleinen Taschenlampe hinein, begutachtet fachmännisch ein Bündel Bananen. Sie sind leicht matschig und haben braune Flecken. Manche mögen sie am liebsten so, für den Verkauf waren sie vermutlich nicht schön genug. Mark holt die Bananen mit bloßer Hand aus der Tonne, schält eine auf der Stelle. Sie schmecken gut, vielleicht ein Tick zu reif. Der Kartoffelsalat in der nächsten Tonne ist erst seit gestern abgelaufen. Mark nimmt ihn trotzdem nicht mit, wegen den Eiern in der Mayonnaise. Angst vor Salmonellen? Nein. Er ist Veganer. „Freegan“ ist eine Wortschöpfung aus „Frei“ und „vegan“ – inzwischen verzichten aber längst nicht alle Freeganer auf tierische Produkte. Manche essen sogar Fleisch. Mark verurteilt sie nicht: Als Abfallverwerter stellten sie keine Nachfrage dar, für weggeschmissene Steaks müsse kein Tier extra getötet werden. Er selbst kann es trotzdem nicht.


„Wer Tiere quält, zu Versuchszwecken missbraucht, oder aussetzt, gehört bestraft“, steht auf Marks T-Shirt. Er organisiert in ganz Deutschland Demos und Aktionstage, ist Mitglied der Münchener Tierrechtsgruppe. Glaubt er, dass er etwas verändert? Mark zuckt mit den Schultern, das tut er oft. Bei manchen Veranstaltungen seien sie zu sechst. Sie haben aber auch schon Escada-Filialien in München dazu gebracht, Pelze aus dem Angebot zu nehmen. Durch friedliche Demonstrationen, Nerzmäntel mit Farbe besprühen, das sei nicht so seins. Keine Gewalt, keine Sensationen. Aufmerksamkeit mag Mark nicht. Mark ist übrigens auch nicht sein echter Name. Nicht, dass er sich verstecken müsste. Er möchte sich bloß nicht in den Vordergrund drängeln: Schließlich soll es nicht im ihn gehen, sondern um die Botschaft dahinter. Außerdem nervt ihn der Medienrummel um die „Müllmenschen“. Unser Gespräch, so scheint es, ist notwendiges Übel. Unabdingbare PR. „Aufklärung ist alles, was ich tun kann“, sagt er. Seine gesamte Erscheinung ist Aufklärung. Auch sein Baseballcap und die Hose ist über und über mit Protest bestickt: Dutzende Aufnäher rufen zum Veganismus auf, zum Ausbeutungs- und Drogenboykott. Auf Marks Handrücken ist ein X tätowiert, X für „Straight Edge“ – eine Jugendbewegung, die Drogen jeder Art ablehnt. „Don't drink, don't smoke, don't fuck around“, fasst Mark die Grundsätze zusammen. Seit er 18 ist, hält er sich dran. „Mir fehlt nichts“ Mit 18 hörte er auch auf, Fleisch zu essen. Mit 20 wurde er Veganer, zwei Jahre später Freeganer. Er wollte sich beweisen, dass er verzichten kann. Unabhängig werden, eine Art moderner Asket. Inzwischen glaubt er, sein Ziel erreicht zu haben. „Ich bin fast autark“, sagt er. Mark ist gelernter Schreiner, eine Festanstellung will er aber nicht. Er möchte auf keinen Arbeitsgeber angewiesen werden, jobbt lieber hier und dort. Arbeitslosengeld bekommt er nicht. Aber das macht nichts. Kleidung, Bücher, sogar DVD-Spieler – es gibt alles in gebraucht. Wenn er reist, trampt er. Die Strecke München-Hamburg schaffe er in weniger als acht Stunden, „schneller als ein ICE“. Nur die Krankenversicherung, die gibt es nicht auf Müllhalden. Mir fehlt nichts, sagt Mark, als er mit dem halbvollen Rucksack den Müllplatz verlässt. Kein Wachhund bellt ihm hinterher, es gibt weder Zäune noch Wachen. Das Containern sei meistens sehr unspektakulär. Fast wie einkaufen, nur das man vorher nicht weiß, was man bekommt. Manche Freeganer kochen sogar richtige Feinschmeckermahlzeiten. Aber dazu muss man Lebensmittel auf Vorrat sammeln, dafür habe Mark nicht die Geduld. Er sei auch zu wenig Genussmensch, ist damit zufrieden, was er kriegt. Wenn er Tofu oder Reis findet, freut er sich trotzdem - die werden selten weggeschmissen. Manchmal geht er zusammen mit Freunden containern. „Ist auch nicht anders, als Pizza bestellen.“

Text: wlada-kolosowa - Foto: www.photocase.de

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