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Klein, dumm, aber gefährlich: Die rechtsradikale Szene in München

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In München sind die Nazis vor 80 Jahren groß geworden und groß gemacht worden. Hier versuchte Hitler 1923 zu putschen, hier stand die Parteizentrale, hier zelebrierten die Nazis später all-jährlich ihren Totenkult auf dem Königsplatz. München erhielt dafür von Hitler den Titel „Hauptstadt der Bewegung“. US-General Eisenhower verpasste München 1945 den Beinamen: „Wiege der Nazibestie“. Kein Wunder, dass die Stadt auch für die heutigen Nazis Symbolwert hat. Seit Jahren versuchen sie hier, wo einst der Führer groß wurde, selber groß zu werden – durch immer neue Organisationsformen, durch Mahnwachen, Aufmärsche und auch durch Gewalt. Doch der harte Kern der Münchner Neonaziszene ist klein, etwa 50 bis 100 Leute.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Der Teil von ihnen, der sich in letzter Zeit Richtung NPD orientiert hat, versucht wegzukommen vom Schmuddelglatzen-Image. Doch erst jüngst, bei einem Aufmarsch in Augsburg, fielen die Münchner Neonazis mal wieder vor allem durch Pöbeleien auf. Und ihnen fehlt – zum Glück – immer noch eine halbwegs intelligente Führungspersönlichkeit. Was sie freilich nicht ungefährlich macht. Das liegt auch daran, dass sich Stadt, Staatsanwaltschaft und Polizei in München auffallend tolerant zeigen: Als die Nazis am 9. November 2005 in der Innenstadt trotz Verbot der Toten des Hitlerputsches gedachten, schritt die Staatsmacht nicht ein. Oberstaatsanwalt August Stern hatte ein solches Gedenken im Vorfeld regelrecht verharmlost mit dem Argument: Der gescheiterte Hitlerputsch habe bereits 1923 stattgefunden, eine Erinnerung an ihn sei deshalb keine Verharmlosung der Naziherrschaft, denn die habe erst 1933 begonnen. Stern sorgte sich gar um „das geistige und politische Klima“, wenn das Strafrecht zu strikt angewendet würde. Im letzten Sommer war München die einzige deutsche Stadt, in der Neonazis ganz offiziell den einstigen Führerstellvertreter Rudolf Hess per Mahnwache ehren durften. Norman Wiese und Martin Bordin oder umgekehrt Dass es in ihrer Stadt eine militante Neonaziszene gibt, wurde den Münchnern erstmals im Januar 2001 bewusst. Damals prügelte im Schlachthofviertel eine Gruppe Neonazis einen Griechen fast tot. Die Rechten stürmten aus der Gaststätte „Burg Trausnitz“, in der Martin Wiese seinen Geburtstag feierte. Einer der Schläger war Norman Bordin, damals Anführer der Münchner Naziszene und Gründer der „Kameradschaft Süd“. Wiese und Bordin wechseln sich seitdem als „Führer“ ab: Wenn der eine im Knast sitzt, macht der andere den Chef und umgekehrt. Bordin wurde nach dem Überfall auf den Griechen zu 15 Monaten Haft verurteilt. Während er einsaß, formte Martin Wiese die „Kameradschaft Süd“ zur Wehrsportgruppe und zur terroristischen Vereinigung. Die „Kameradschaft Süd“, in der auch ein V-Mann des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz eine dubiose Rolle spielte, plante unter anderem, die Baustelle des neuen jüdischen Gemeindezentrums am Münchner Jakobsplatz in die Luft zu jagen. Wiese wurde schließlich zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Da Wiese im Knast sitzt, ist Bordin wieder die Nummer eins. Bordin hat sich inzwischen der NPD angeschlossen, für die er auch für den Bundestag kandidierte, und versucht sich als Biedermann – mit mäßigem Erfolg. Gerade ist er zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden, weil er sich Sozialleistungen erschlichen haben soll. Ton Steine Scherben auf der Nazi-Demo Einigen Münchner Neonazis ist selbst die NPD noch zu bürgerlich. Sie gründeten die sogenannten „Autonomen Nationalisten“ (AN). Schon der Name zeigt: Die Nazis versuchen sich die linken Autonomen als Vorbild zu nehmen. Bereits die Gründung der nur lose organisierten und damit vor staatlichen Verboten eher gefeiten „freien Kameradschaften“ orientierte sich an den linken autonomen Zellen der 80er Jahre. Inzwischen hat ein Teil der Szene aber auch die Klamotten, den Style, ja selbst die Parolen und die Musik der Linken übernommen. Auf Nazidemos laufen Ton Steine Scherben-Songs, es werden vormals „linke“ Slogans gegrölt wie „USA – internationale Völkermordzentrale“, Neonaziaktivisten tragen Palästinensertücher, Che-Guevara-T-Shirts und schwarze Kapuzenpullis. Von den Münchner „Autonomen Nationalisten“ war allerdings einige Monate lang nichts mehr zu hören. Denn ihre Führer Hayo Klettenhofer und Philipp Hasselbach wurden jüngst wegen Körperverletzung und anderer Delikte verurteilt. Klettenhofer hatte auf einer Demo eine junge linke Frau angegriffen, Hasselbach bei einer Kundgebung gegen die „Besatzerpresse“ vor der Redaktion der Süddeutschen Zeitung in der Sendlinger Straße den Einsatzleiter der Polizei verprügelt. Seit letzter Woche sind die „Autonomen Nationalisten“ wieder aktiv, zumindest im Internet, wo sie eine eigene Homepage eingerichtet haben. Ihr Konzept der feindlichen Übernahme linker Codes hat ohnehin gegriffen – auch in München sind viele Neonazis an ihrem Äußeren nicht mehr zu erkennen. Der Muff von tausend Jahren Dass Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit und anderes rechtes Gedankengut kein Unterschichtenproblem ist, sondern auch in gebildeten Kreisen verbreitet ist, hat zuletzt die aufsehenerregende Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung gezeigt. Obwohl sich logisches Denken und Rechtsextremismus ausschließen, sind auch in München Rechtsextreme an den Universitäten aktiv – insbesondere in der Burschenschaft Danubia, die seit 2001 vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Denn damals wurde offenbar, wie eng die Danubia mit der militanten Neonaziszene zusammenhängt: Einer der Haupttäter des bereits erwähnten Überfalls im Schlachthofviertel versteckte sich auf seiner Flucht vor der Polizei im Danubenhaus in der Münchner Möhlstraße. Ansonsten hat, beziehungsweise hatte die schlagende Burschenschaft enge Verbindungen mit der rechten Zeitung „Junge Freiheit“ und mit den Studentenorganiationen von NPD und Republikanern – die Studentenorganisation der Republikaner wurde im Danubenhaus in Bogenhausen gegründet. Erst Mitte Dezember lud die Danubia wieder zu ihren „Bogenhausener Gesprächen“, bei denen sich rechte „Intellektuelle“ und Vertreter rechtsextremer Organisationen und Parteien wie der Republikaner oder der österreichischen FPÖ die Klinke in die Hand geben. Die Strippenzieher im Hintergrund Während die einen München zum Aufmarschgebiet machen wollen, genießen andere die Stadt als Rückzugsraum, um ungestört ihren Geschäften nachzugehen – zum Beispiel der Multimillionär Gerhard Frey, Vorsitzender der Deutschen Volksunion (DVU). In München spielt seine Partei praktisch keine Rolle, sie ist weder bei Aufmärschen, Veranstaltungen oder Wahlen präsent. Dafür lässt man Frey, der sich stets seiner guten Kontakte zu einzelnen CSU-Politikern rühmte, in Ruhe. So kann er von der DVU-Parteizentrale in Pasing aus fleißig die Strippen ziehen: Er investiert seine Millionen in Wahlkämpfe in Brandenburg oder Thüringen und vertreibt die bekannteste rechtsextreme Publikation, die „Deutsche National-Zeitung“. Auch andere alte Herren der Szene genießen die Ruhe und Beschaulichkeit Münchens und seiner Umgebung: Gert Sudholt etwa, in den 70er Jahren im Münchner NPD-Vorstand. Heute residiert er mit seiner rechtsextremen Verlagsgemeinschaft Berg an der Nordspitze des Ammersees, ausgerechnet in dem Kulturzentrum „Alte Brauerei Stegen“ und vertreibt von dort aus seine geschichtsrevisionistischen Schriften und DVDs. Auf dem Sprung ins Rathaus? Auf den Münchner Straßen und Plätzen sind Neonazis präsent, noch aber sieht man sie nur vor dem Rathaus und nicht darin. Das könnte sich nach den nächsten Kommunalwahlen 2008 ändern. Denn neuerdings gibt sich die NPD auch in München harmloser und setzt auf unverdächtige Themen. So veröffentlichte sie unlängst Flugblätter gegen den Flughafenausbau, gegen Genfood und Globalisierung. Anfang letzten Jahres hat sich die Neonaziszene in München mit ihrem Hauptprotagonisten Norman Bordin und anderen Aktivisten außerdem zu einer neuen Vereinigung formierte: Der „Bürgerbewegung Pro München“. Vorbild ist Köln, wo Rechtsextreme schon vor Jahren unter dem ebenso unverfänglichen Namen „Pro Köln“ ins Rathaus einzogen. Bislang war von „Pro München“ noch wenig zu hören, das wird sich in den kommenden Monaten vor der Wahl ändern. So plant „Pro München“ bereits am kommenden Sonntag eine große Saalveranstaltung, zu der 300 bis 400 Leute erwartet werden – der Veranstaltungsort wird noch geheim gehalten Da es bei den Stadtratswahlen keine Fünf-Prozent-Hürde gibt, haben die Rechtsextremen gute Chancen auf einen Einzug ins Kommunalparlament, denn dafür reicht schon etwa ein Prozent der Stimmen. Werden dann nach 63 Jahren wieder Nationalsozialisten im Rathaus der einstigen Hauptstadt der Bewegung sitzen? Foto:AP

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