Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Interview: Die sollen sich nicht so anstellen

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Marwan, wann hast du die Karikaturen aus der Jyllands-Posten das erste Mal gesehen? Erst letzten Donnerstag. Ich habe mir überlegt, dass ich sie mir vielleicht doch auch mal selbst ansehen sollte, und habe sie dann im Internet gesucht. Das heißt, die Karikaturen zirkulieren nicht wie wild in der muslimischen Gemeinde hier. Gar nicht. Es gingen ein paar E-Mails herum, in denen vor allem zum Boykott dänischer Produkte aufgerufen wird. Außerdem wurde in der letzten Freitagspredigt darauf eingegangen und die Ausschreitungen verurteilt. Die Stimmung hier ist sehr entspannt. Du bist selbst sehr gläubig. Was haben die Zeichnungen bei dir ausgelöst? Naja, die Karikaturen sind doch ziemlich plump. Bei einigen habe ich mich einfach nur gefragt, wo dabei der Witz sein soll und ein paar habe ich einfach nicht verstanden. Andere sind relativ eindeutig beleidigend. Aber dass unser Prophet angegriffen wird, ist nun wirklich keine neue Sache, das war schon zu seinen Lebzeiten so. Es wird immer Leute geben, die mit einer Ideologie nicht zu klar kommen und damit muss man auch rechnen. Was mich eher traurig gemacht hat, war der Kontext, in dem das Ganze erschienen ist. Inwiefern? Die Karikaturen waren als gezielte Provokation der Moslems in Dänemark gedacht. Meinungsfreiheit schön und gut, gegen die hat niemand was. Aber ich begreife nicht, dass niemand schon viel früher etwas gesagt hat. Erst nachdem der Boykott in Dänemark gegriffen hat, wurde von Deeskalation gesprochen. Das ist aber vor allem ein innerdänisches Problem. Wieso regen sich von Riad bis Jakarta Moslems über so eine abstrakte Angelegenheit wie ein paar kleine Karikaturen auf? Dafür gibt es zwei Gründe. Länder wie Syrien oder Saudi Arabien, wo verstärkt Front gemacht worden ist, werden diktatorisch beherrscht. In diesen Ländern ist es in letzter Zeit zu einer verstärkten Religiosität gekommen, die auch politisch ist. Zunehmend spüren die Regimes dort den Druck von der muslimischen Opposition. Den Protest gegen die Karikaturen haben sie als Chance begriffen, sich vor der eigenen Bevölkerung zu legitimieren. Damit können sie zu den Leuten sagen: „Schaut her, so schlimm sind wir doch gar nicht. Wir sind gute Muslime und verteidigen den Islam.“ Ohne den Willen dieser Regimes wäre es nie so weit gekommen. Das heißt, auf die Darstellungen alleine kommt es gar nicht an? Genau. Mein Vater ist aus Syrien und ich war schon oft dort. Ich kenne die syrische Gesellschaft und kann mir nicht vorstellen, dass diese Proteste aus der Bevölkerung selbst kommen. Die Menschen dort leben so unterdrückt, dass sie sich unter keinen Umständen trauen würden, aus Eigeninitiative auf die Straße zu gehen. Spontan zu protestieren heißt dort, sich spontan in Todesgefahr zu begeben. Ziemlich wütend wirken die Leute aber schon. Ja, das kommt dazu. Die islamische Welt hat in den letzten Jahren immer mehr das Gefühl gewonnen, unter Generalverdacht zu stehen. Hier im Westen nehmen wir jetzt auch nur die Leute wahr, die Botschaften anzünden, und nicht die gemäßigten Stimmen. Genauso geht es den Moslems. Sie sehen den Irakkrieg, Guántanamo, den Nahost-Konflikt und fühlen sich in einer permanenten Opferrolle. Das Schlimme an den Karikaturen ist nicht so sehr die Darstellung des Propheten, sondern die Form der Respektlosigkeit. Es ist der Eindruck entstanden, hier mache sich der Westen kollektiv über das Verhältnis der Moslems zu ihrem Propheten lustig. Naja, eine Zeitung aus einem kleinen Land in Nordeuropa hat sich lustig gemacht. Das ist wahr, aber man muss sich mal überlegen: Im Westen geht es auch immer nur um Zwangsverheiratung, Steinigungen und Ehrenmorde, wenn vom Islam die Rede ist. Durch diese Berichterstattung entsteht ein sehr verzerrtes Bild. Genauso ist es in der arabischen Welt. Desinformation muss sich in Zukunft ändern. Wenn du die Bilder der aufgebrachten Moslems siehst – entsteht dabei ein Gefühl der Glaubenssolidarität? Ehrlich gesagt, mir ist das eher peinlich und ich denke mir, sie sollten sich wieder einkriegen. Die Aufstände machen auch die grassierende Ignoranz in diesen Ländern deutlich. Viele der Leute, die da Fahnen verbrennen, haben die Karikaturen nie selbst gesehen. Das Ganze ist schon unangenehm und sollte so schnell wie möglich beendet werden. Wie können solche Konflikte aber in Zukunft vermieden werden? Im Moment stehen sich zwei Blöcke gegenüber: Auf der einen Seite Religion, auf der anderen die Meinungsfreiheit. Diese Debatte muss sich erstmal beruhigen und dann muss ein Dialog stattfinden. Meinungsfreiheit ist ja selbst in Deutschland nicht vollkommen, blasphemische und antisemitische Äußerungen sind hier ja auch verboten. In Anbetracht der muslimischen Einwanderer muss man neue Grenzen der Meinungsfreiheit ausloten. Erwartest du, dass sich die Gesellschaft an die muslimischen Vorstellungen anpasst? Nein, das nicht. Aber eine neue Diskussion muss stattfinden. Man muss anerkennen, dass der gesellschaftliche Frieden gefährdet werden kann und dafür eine Sensibilität schaffen. In Deutschland besteht der rechtliche Rahmen dafür ja eigentlich schon. Eine sensible Presse kann aber nicht alles sein. Das ist wahr. In Deutschland gibt es auch genügend Muslime, die es schon längst geschafft haben, ihre Religion mit dem Leben und dem Staat hier in Einklang zu bringen. Diese Art der Auseinandersetzung muss verbreitet werden. Wie stellst du dir das vor? Beispielsweise durch islamischen Religionsunterricht an den Schulen. Dabei kann die Idee einer islamischen Identität im Einklang mit den europäischen Gesellschaften unterrichtet werden. Das ist ein Islam, der die europäischen Verfassungen anerkennt, die demokratische Kultur anerkennt und sich aktiv an der Gesellschaft beteiligt. Gerade bei der Integrationsdebatte ist ja oft von Bringschuld und mangelndem Interesse auf Seiten der Einwanderer in Deutschland die Rede. Wie stehst du dazu? Das Problem ist, dass sie Muslime und andere Einwanderer in Deutschland bislang eher reaktiv definieren. Dabei stellen Themen wie Arbeitslosigkeit oder Umweltverschmutzung für uns alle, egal ob Moslem oder nicht, Probleme dar. Die Muslime müssen sich beteiligen an der Gesellschaft. Aber dafür muss ihnen der Staat auch die Möglichkeit bieten, innerhalb Deutschlands eine Identität zu bilden. Was tut ihr als muslimische Jugendorganisation in diese Richtung? Grundsätzlich verbreiten wir das Konzept der europäisch-islamischen Identität. Wir fühlen uns als europäische Bürger, als deutsche Staatsbürger, die hier mehr Rechte und Religionsfreiheit genießen, als in den Ländern, wo wir herkommen. Sicher gibt es ein paar Probleme, aber nichts, das man nicht lösen kann. Unser Platz ist hier, das ist klar. Für viele Leute wirkt das Herkunftsland manchmal wie ein Paradies, wo alles einfacher ist. Aber die Rückkehr in die Heimat ist doch eine Illusion. Sicher gibt es hier ein paar Probleme, aber keine, die man nicht lösen könnte. Durch deine Verbandstätigkeit hast du viel mit muslimischen Jugendlichen hier zu tun. Inwieweit hast du den Eindruck, dass sich junge Moslems mit Deutschland identifizieren? Im Unterschied zu den ersten Einwanderergenerationen ist Deutschland für die meisten die Heimat. Viele – wie ich – sind hier geboren. Sie wollen sich beteiligen, aber fühlen sich vom Staat nicht unterstützt. Da sind integrationspolitische Forderungen, die seit zwanzig Jahren nicht umgesetzt werden. Es gibt keine Rahmenorganisationen für Moslems. Stattdessen dürfen dann irgendwelche radikalen Minderheiten für die gesamte Gemeinde sprechen. Das ist nicht besonders motivierend für uns. In anderen Ländern, wie Österreich etwa, fühlen sich die Moslems viel stärker eingebunden. Dort werden sie anerkannt und ihre Religion respektiert. Aber hast du das Gefühl, deine Religion werde hier nicht anerkannt? So direkt kann man das nicht sagen, aber es gibt Versäumnisse. Ein echtes Problem ist aber, dass viele muslimische Kinder – vor allem an den Hauptschulen – sehr oft schlimme Diskriminierung erfahren, auf Grund ihrer Herkunft und ihrer Religion. Vorurteile sind hier also noch weit verbreitet. Sie sind aber auch ein Mangel an Kommunikation. Wie geht ihr als Organisation damit um? Dialog ist sehr wichtig, nur stößt man dabei irgendwann an eine Grenze. Viele Kritiker sagen deswegen, dass das ganze Reden zu nichts führt. Bloß kommt nach dem Dialog eben der nächste Schritt. Denn wenn man Gemeinsamkeiten und Unterschiede festgestellt hat, kann man einen gemeinsamen Ethos entwickeln: Vom gemeinsamen Sprechen zum gemeinsamen Handeln. Dieser Artikel stammt von der jetzt.muenchen-Seite aus der Süddeutschen Zeitung vom 14. Februar 2006. Die ganze Seite kannst du hier als PDF heurnterladen.

  • teilen
  • schließen