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In der Stadt der Praktikanten

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Das Prinzip ist einfach: Wer mithilft muss weniger Miete zahlen im Institute of Cultural Affairs (ICA), der Herberge von rund 30 Brüsseler Praktikanten. 425 Euro zahlt Valerie für ihr acht Quadratmeter großes Zimmer mit Etagenbad. Frühstück Abendessen und Selbstbedienung am Kühlschrank inklusive. Für Brüsseler Verhältnisse schon fast ein Schnäppchen – auch wenn jemand auf den kursierenden Zimmerlisten hinter dem ICA vermerkt hat: „sehr einfach, nur für Abgehärtete“. „Egal, für die drei Monate, die ich hier bin, reicht das völlig“, sagt Valerie während sie die Tische abräumt. Auf seinem Zimmer bleibt hier abends sowieso kaum einer. Es läuft gut für Jim Campbell, den Leiter des Brüsseler ICA. Der 66-Jährige ist sichtlich stolz auf sein internationales Wohnheim: „Seit vier Jahren haben wir durchgehend volles Haus.“ Die Wartelisten sind lang. Denn die Hauptstadt Europas ist längst auch zur Hauptstadt der Praktikanten geworden. Egal ob bei Unternehmen, NGOs oder in der Politik: Praktikantenplätze in Brüssel sind heiß begehrt. Knapp 2000 „Stagiaires“ aus aller Welt arbeiten alleine im Europäischen Parlament. Ungefähr zwei Praktikanten kommen im Durchschnitt auf jeden der 785 Abgeordneten (Stand Januar 2007). Einzelne Parlamentarier lassen sogar bis zu acht Praktikanten für sich arbeiten – nur Wenige rühren dafür allerdings ihr monatliches Budget an. Besser bezahlt werden die rund 200 Robert-Schuman-Praktikanten, die jedes Jahr das strenge Auswahlverfahren im Europäischen Parlament überstehen. Sie erhalten 1094 Euro im Monat. „Das ist auch wirklich gerechtfertigt“, sagt Christine Kuhnert. Sie ist in der EP-Generaldirektion „Interne Politik“ für die Vergabe von Praktika zuständig ist. Von rund 1000 Bewerbern schickte sie im vergangenen Jahr 33 eine Zusage. „Unsere Praktikanten werden in den Ausschüssen oft als Kranken- oder Mutterschutzvertretung eingesetzt. Sie sind also volle Arbeitskräfte.“ Die meisten unbezahlten Praktikanten der Abgeordneten sind dies allerdings auch. Ohne sie würden viele Bürger wohl vergebens auf eine Antwort ihres Europaabgeordneten warten. In der Bibliothek im 5. Stock des Europäischen Parlaments wälzen sie Richtlinien und googeln nach Fördermöglichkeiten für bayerische Trachtenvereine. „Manchmal sind die Fragen ganz schön knifflig“, sagt Anna Kern. Die 26-Jährige hat gerade ihr European Studies-Studium in Tübingen abgeschlossen. Durch ihr dreimonatiges Praktikum bei einem Europaabgeordneten erhofft sie sich Kontakte – und, wie so viele hier, einen Job. Also ist auch für Anna „Networking“ angesagt. Ihr Terminplan ist voll: Am Montag lädt die Fleischlobby ein, am Dienstag die Region Westfalen-Lippe, am Mittwoch die Post. Empfänge non-stop. Kontakte zuhauf. Essen umsonst. Praktikanten en masse. Im „Chez Bernard“ ist das Essen zwar nicht umsonst, doch die Bar direkt neben der angeblich besten Frittenbude der Welt zieht die Praktikanten trotzdem an – vor allem die deutschen. Jeden Dienstag ab 19 Uhr erobern die deutschsprachigen Praktikanten und Referendare das „Chez Bernard“ – Stuhl für Stuhl, Tisch für Tisch. Rund 30 Gesichter und Namen gilt es sich dann in möglichst kurzer Zeit zu merken. Kennenlernen im Schnelldurchgang. Auch das will in Brüssel gelernt sein. Denn nach zwei, drei Monaten sind die meisten schon wieder weg. Zu den wenigen, die länger bleiben, gehören die 600 offiziellen Praktikanten der Kommission. Sie haben immerhin fünf Monate, um ihr Adressbuch zu füllen. Mit ihrem eigenem „Stage-Komitee“ sind sie von allen Praktikanten am besten organisiert. Doch auch der restliche Praktikantentross profitiert vom Komitee: Dann nämlich, wenn es mal wieder eine Party schmeißt. Und das ist fast jede Woche der Fall. Empfänge, Stammtisch, Parties - ruhige Abende sind selten in der Rue Amédée Lynen 8. Und schleicht sich doch mal einer ein, dann ist im dritten Stock immer noch der Fernsehraum. Hinter der Türe quellen die roten Jupiler-Bierdosen vom Vorabend aus dem Müll. Europa feiert gerne, in der Hauptstadt der Praktikanten.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Kai von Kuenheim, 24, aus Nienburg: „Ich mache gerade ein Praktikum bei der Europaabgeordneten Elisabeth Jeggle. Sie sitzt für die Europäische Volkspartei, also die CDU, im Landwirtschafts- und Verkehrsausschuss – zwei Gebiete, die mich sehr interessieren. Oft gehe ich mit in die Ausschüsse. Das ist am spannendsten. Außerdem gehört es zu meinen Aufgaben, Termine für Frau Jeggle ab- und zuzusagen, Pressemitteilungen zu schreiben und Recherchearbeiten zu erledigen. Und dann sind da natürlich noch die Bürgeranfragen. Grade musste ich zum Beispiel herausfinden, ob ein Schützenverein für sein neues Schützenhaus einen EU-Zuschuss bekommt. Das sind manchmal ganz schön schwierige Recherchen, aber man lernt viel dabei. Nur mit dem Französisch lernen klappt es in Brüssel leider nicht so toll. Hier sind so viele Deutsche und der Rest spricht Englisch.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Lea Jaletzke, 23, aus Krefeld: „Im 4. Semester meines European Studies-Studiums, war ich auf einer Berufsmesse. Viele haben mir dort geraten, ein Praktikum in Brüssel zu machen. Durch einen Vertreter der deutschen Druckindustrie bin ich dann an mein Praktikum beim Verband für europäische Druckindustrie gekommen. Sechs Monate habe ich nun Zeit um zu lernen, wie Lobbying wirklich funktioniert. Wenn über die Emissionswerte von Lösungsmitteln in Druckfarbe diskutiert wird, kann ich zwar nicht mitreden, aber bis zu einem gewissen Grad kann man sich ja einarbeiten. Ein richtiges Fachwissen brauche ich für meine Arbeit jedenfalls nicht. Ich bereite Präsentationen vor und begleite meine Kollegen z.B. bei Treffen mit der Kommission. Auch eine Rede habe ich schon geschrieben. Und das Gute ist: Ich werde dafür nicht schlecht bezahlt.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Jutta Gräbeldinger, 22, aus Inzell: „Ich studiere European Studies in Passau und mache gerade mein Pflichtpraktikum bei der Bayerischen Landesvertretung in Brüssel. Im Sommer habe ich gejobbt, um mir das Praktikum hier leisten zu können, denn Brüssel ist sehr teuer. Aber es hat sich wirklich gelohnt. Die Arbeit ist sehr interessant im Schlößchen, so nennen in Brüssel alle die bayerische Vertretung, weil sie aussieht wie ein Stadtpalais. Wir dürfen ins Parlament und in die Ausschüsse, verfassen Artikel für den Europabericht und recherchieren viel für unsere Referate. Zur Zeit sind wir acht Praktikanten. Jeder ist einem oder zwei Referaten zugeteilt. Meine Bereiche sind unter anderem Wissenschaft, Kunst und Umwelt. Die Mitarbeiter behandeln uns sehr respektvoll und übertragen uns viel Verantwortung. Was übrigens auch noch sehr gut ist im Schlößchen ist das Essen.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Marius Osswald, 26, aus Schwäbisch Hall: „Nach meinem Studium der Verwaltungswissenschaft in Konstanz habe ich ein einjähriges Aufbaustudium am Europakolleg Natolin in Polen gemacht. Über die Hälfte meines Studiengangs ist jetzt in Brüssel. Ich wollte unbedingt ein Praktikum bei der EU-Kommission machen, da es einen sehr guten Ruf hat und oft Voraussetzung für einen Job in Brüssel ist. Um genommen zu werden, muss man erst mal ins sogenannte „Bluebook“ reinkommen und dann auch wieder raus. Ich hatte Glück und bin jetzt mit 13 Praktikanten in der Generaldirektion für Entwicklungszusammenarbeit. Hier ist es Tradition, dass die Praktikanten nach Ende des Programms eine Studienfahrt in ein Entwicklungsland organisieren. Im März werden wir, wenn alles klappt, nach Ruanda und Burundi fahren. Aber erst mal müssen wir genügend Geld sammeln.“ +++ Infos zu Praktika bei der EU: Praktikum im Europäischen Parlament: Bezahlte Robert-Schuman-Praktika (1094 Euro monatlich) werden ausschließlich an Hochschulabsolventen vergeben und dauern fünf Monate. Praktikumbeginn ist der 1. März (Bewerbung bis 15. Oktober) oder der 1. Oktober (Bewerbung bis 15. Mai). Die Bewerber können zwischen einer allgemeinen und einer journalistischen Ausrichtung wählen. Außerdem bietet das EP bezahlte dreimonatige Übersetzer-Praktika an. Variabler, dafür aber auch oft unbezahlt, sind Praktika bei einzelnen Abgeordneten oder Fraktionen. Praktikum bei der Kommission: Die bezahlten fünfmonatigen Praktika (950 Euro monatlich) beginnen am 1. März (Bewerbung bis 1. September) oder am 1. Oktober (Bewerbung bis 1. März). Die Bewerber müssen ein abgeschlossenes Hochschulstudium und gute Fremdsprachenkenntnisse nachweisen. Zu vergeben sind halbjährlich 600 Plätze, auf die über 7000 Bewerbungen kommen. Die geeignetsten 2500 Bewerber werden in das sogenannte "Blaue Buch" aufgenommen. Daraus suchen sich die Referatsleiter dann ihre "Stagiaires" aus. Wer nicht genommen wird kann, sich auch für ein unbezahltes Praktikum bewerben. Weitere Praktika in Brüssel: Auch die Europäische Zentralbank, der Europarat, der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss, die Ständige Vertretung Deutschlands und die Ländervertretungen bieten Praktikums- und Referendarsplätze an. Außerdem haben fast alle großen Unternehmen, Stiftungen und NGOs ein Büro in Brüssel. Praktische Hilfe: Auf der Seite der Yahoo-Group der deutschsprachigen Praktikanten in Brüssel (Name: praktbxl) finden sich Zimmerlisten. Hier werden auch Mitfahrgelegenheiten und Wohnungsangebote rumgeschickt - und natürlich jeden Dienstag die Einladung zum Stammtisch. Viele praktische Infos gibt's auch auf europa-digital.de

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