- • Startseite
- • jetztgedruckt
-
•
Im Schlaraffenland für Frauen
Es hat geschüttet wie aus Eimern an diesem Samstagmorgen und um halb zehn hängen die Wolken noch immer tief über der Stadt. Den etwa 150 Frauen, die sich entlang der Schaufensterfronten der schicken Brompton Road in London drücken, ist das egal. Teenager, Studentinnen, Hausfrauen jeden Alters und jeder Hautfarbe warten seit Stunden darauf, dass der „Visa Swap Shop“ eröffnet – die erste offizielle Tauschbörse der gehobenen Klamottenklasse, nur für Frauen. Sie sehen angespannt aus, wie gut gekleidete Raubtiere auf der Lauer. Da drinnen warten stangenweise Kleider, High Heels, Handtaschen: Manches ist noch ungetragen, anderes richtig Vintage. „Die haben sogar eine Original Chaneltasche von 1940“, raunt eine Frau ihrer Freundin zu. Nichts davon wird sie einen Penny kosten. Hinter der gläsernen Front des „Swap Shop“ liegt das, was viele Frauen als das Schlaraffenland identifizieren würden.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Gut gekleidete Raubtiere auf der Lauer: Die Eröffnung des "Swap Shop" hat modeversessenen Londonerinnen stundenlang in der Schlange ausharren lassen. Und manche griff schon mal zur Handtasche, um sich ein gutes Stück zu sichern.
Foto: Dominik Gigler
Im Laden steht Alexia und beäugt zufrieden die Massen vor der Fensterscheibe. Die PR-Beraterin trägt knallblaue Wildlederstiefeletten, passend zu ihrer Wimperntusche, und erzählt von der hoch gewachsenen Dame Ende 80, die seit fünf Uhr morgens in Birkenstocksandalen, Baggyhosen und einem Nylonmantel vor der Tür steht. „So süß, sie ist nur wegen einer Tasche für ihre Enkeltochter hier!“
Klamotten und guter Zweck
Alexia arbeitet für die Agentur Mission Media und der „Swap“ ist ihr Projekt. Das Kreditkartenunternehmen VISA hatte sie beauftragt, aus dem Trend Tauschpartys, der in den USA und London bisher eher Privatsache war, einen PR- Event zu machen. „Wir sollten irgendetwas organisieren, das weibliche Kundschaft anspricht und gleichzeitig ethisch bewussten Konsum betont“, erklärt sie. Die Tauschbörse für Höherwertiges schien ideal: Kein Geld, fantastische Klamotten und guter Zweck – alles, was übrig bleibt, geht an die britische Hilfsorganisation TRAID. „Der Run ist fast wie bei der Top Shop Kate Moss Collection“, sagt sie. Für die hatten sich Anfang Mai Hunderte über Nacht angestellt. Nun darf sich auch der „Swap“ einreihen in die Modeevents für die Londonerinnen. Er kommt ihrem Bedürfnis entgegen, sich für einen Haufen Klamotten stundenlang in eine Schlange zu stellen. Wobei es sich bei den Kleidern, die im „Swap“ zu ergattern sind, tatsächlich um eine außergewöhnliche Sammlung handelt.
Ende Mai wurde der Shop in Knightsbridge, dem Luxusviertel südlich des Hyde Park, eröffnet. Notdürftig verputzt und dekoriert, fungierte der Laden zunächst als eine Altkleidersammlung der gehobenen Klasse. „Das Konzept ist zwar etwas kompliziert zu erklären“, sagt Alexia, „aber sobald die Leute es verstanden haben, waren sie begeistert. Und sie haben wirklich fabelhafte Sachen gebracht.“ Frei nach dem Motto „Der Schrott der einen ist der Schatz der nächsten“, waren klamottenvernarrte Londoner Frauen aufgerufen, ihre überflüssigen T-Shirts, Röcke, Kleider, Hosen, Taschen, Schuhe, also alles, im Shop abzugeben und dafür Tauschpunkte auf einer Chipkarte zu sammeln. Nach einem dreigliedrigen System wurde jeder Artikel bewertet: Am wenigsten Punkte gab es für Produkte aus der Fußgängerzone, also für H&M oder Esprit. Mehr Punkte für mittelwertige Boutiquenware wie Diesel oder Pepe Jeans. Und viele hundert Punkte für alles, was als Designerstück bezeichnet wird: Dolce und Gabbana, Luis Vuitton oder Max Azria. An diesem einen Wochenende können die insgesamt 350 Teilnehmerinnen all ihre gesammelten Punkte wieder eintauschen – für neue alte Klamotten.
Weil auch viele Prominente und Designer Kleider gespendet haben, platzt der Laden aus allen Nähten. „Wir haben keine Ahnung, wie viele Sachen wir insgesamt gesammelt haben“, sagt Alexia. Im Laden sind die Waren nach Art der Kleidungsstücke sortiert, aber nicht nach Wert. So hängen neben ranzigen TopShop T-Shirts eine zauberhafte Chiffonbluse aus den Fünfziger Jahren und ein silbernes Top von der letzten Fashion Week. Auffällig ist die hohe Glitzer- und Paillettendichte, genauso wie der große Anteil von Stilettoabsätzen und Plateausohlen bei den Schuhen. Spontankäufe sind das, diese Sachen, die einen im Laden vor Aufregung zum Hyperventilieren bringen, sich aber zu Hause als untragbar herausstellen. Wie die rot glitzernden High Heels, die mit einer Satinschleife gebunden werden und das kleine Mädchen in jeder Frau an den Zauberer von Oz erinnern müssen. Solche Schuhe liebt man, tragen kann man sie nicht.
Um kurz vor zehn beginnen die Mädchen in der Schlange leicht zu zittern – der Wachmann hat das Zeichen erhalten, die Tür zu öffnen. Kein Wunder, seit Wochen hingen die Kronjuwelen des „Swap Shops“ im Schaufenster. Das grasgrüne Sweatkleid von Juicy Couture, die sagenumwobene Chaneltasche und das kleine Schwarze von Max Azria. Jede Frau hat sich überlegt, was sie haben will, und bei den meisten lautet die Antwort: Taschen.
Dieser Samstagmorgen bietet einen einmaligen Anschauungsunterricht in Sachen Frauenhandtaschen. Denn als der Türsteher bedächtig und fast ein wenig aufreizend die Glastür aufstemmt und – ja, die Manege frei gibt – erhebt sich ein Getöse. Die ersten dreißig Mädchen stürmen, sie rennen in den Laden, vorbei an den Chiffonkleidern und dem Gaultier-Mieder, direkt ans Ende des Raumes. Dort an der Wand hängen sie in groß und klein, aus pastelligem Plüsch und schwarzem Leder. Egal, wie die Handtasche aussieht, sie hat die Macht, aus Mädchen Monster zu machen.
Innerhalb von drei Minuten ist keine Tasche mehr verfügbar. Eine junge Frau in Sportschuhen hat sich auf jede Schulter Oversized Bags aus Wolle und mit Holzgriffen gehängt, zwei fast identische Teile aus Wolle und mit Holzgriffen, in ihren Armen hält sie vier kleinere Beutel und steuert damit auf die Kleiderstangen zu, an denen die Röcke hängen. Auf ein-mal bleibt sie stehen, schaut sich um, murmelt: „Ich will dieses Zeug ja gar nicht!“, und schleudert die kleinen Taschen mit ihren Lederapplikationen und Goldkettchen desinteressiert auf den Boden. Während sie weiter eilt, stürzen sich mehrere Mädchen hinter ihr auf den zurückgelassenen Haufen. Nur eine Frau mit rosa Lippenstift und dunklen Augen hat das nicht mitbekommen. Sie steht starr und schaut wie ein verwundetes Reh: „Wo sind die Taschen? Ich bin nur wegen der Taschen hier. Dann will ich wenigstens die Tasche wieder, die ich abgegeben habe!“, jammert sie und zu jedem, der es hören will. Als Alexia versucht, sie damit zu trösten, dass später eine neue Ladung käme, schüttelt sie nur resigniert den Kopf: „Geht nicht, ich habe ein Baby zu Hause und nur jetzt Zeit. Ich bin enttäuscht. Ich wollte bloß Taschen, Klamotten habe ich genug.“ Warum Taschen? „Ich liebe Taschen.“
Nahkampfzone Edel-Wühltisch
Andere Mütter haben das Problem anders geregelt, eine Frau redet auf ihren Sechsjährigen ein: „Oh guck mal, die hat sich die Pucci Jacke geschnappt, aber die passt ihr doch sicher nicht.“ Der Kleine marschiert stoisch hinter ihr her , unter jedem Arm drei Handtaschen. Eine andere schiebt sich, Kinderwagen voran und ohne ihrem Schreihals eine Sekunde zu schenken, durch die engen Gänge. Überhaupt die Jungs hier. Ein blondes Mädchen in einem knallengen orangefarbenen Mini und gelben Leggins hat ihren Freund dabei. Während sie schweigend, mit roboterhafter Präzision die Klamotten durchforstet, folgt er ihr wie ein Schatten und lässt sich eine Bluse nach der anderen auf die Arme stapeln.
„Oh mein Gott, sie hat meine Hände weg geschlagen, weil sie an das selbe T-Shirt wollte!“, ruft eine kleine, sommersprossige Blondine und prustet los. Daisy heißt sie, und sie ist nicht nur gehauen worden, sondern hat auch eine Handtasche über den Kopf bekommen. Mehrmals. „Ich muss sagen, ich habe etwas Angst vor diesen Frauen“, meint sie. Daisy kann die ganze Aufregung nicht verstehen: „Ich bin einfach nur froh, dass ich meinen ganzen alten Kram los bin, wenn ich nichts finde, ist das nicht schlimm.“ Von ihrem Handgelenk baumeln nichtsdestotrotz ein Paar grüner Juicy Shorts, ein schwarzes Minikleid und ein sagenhaft geschmackloses, cremefarbenes Etwas, dessen Oberteil notdürftig mit einem Glitzerkettchen zusammen gehalten wird. „Das hat Hilary Duff gespendet!“, jubelt Daisy, „und meine Freundin hat es gefunden. Hilary ist so eine Süße.“ Ein fremdes Mädchen kommt auf sie zu und flüstert konspirativ: „Hey, ich geb dir 1 200 Tauschpunkte für das Kleid, das ist das Doppelte!“ Auf einmal zieht sich Daisys entspanntes Gesicht zusammen. „Tut mir echt leid, aber sicher nicht!“ Sie dreht sich abrupt um und stapft Richtung Kasse. „Ich freue mich so über dieses Teil, es ist echt Wahnsinn. Jetzt muss ich nur noch ein bisschen abnehmen, damit es mir passt.“
Text: meredith-haaf - Foto: Dominik Gigler