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"Im Ernst: Wir haben echt ein Problem"
Selten war in der Politik soviel los wie heute. Die Grünen stellen einen Ministerpräsidenten, die SPD will ihren Kanzlerkandidaten vielleicht vom Volk wählen lassen, die CDU ist plötzlich dafür, dass Atomkraftwerke Geschichte werden, die Linken streiten fast ausschließlich mit sich selbst und die FDP verdunstet. Zu jeder der fünf großen Parteien in Deutschland fällt einem deshalb im Moment eine große Frage ein. Wir haben diese fünf Fragen aufgeschrieben und sie den Chefs der Nachwuchsorganisationen von CDU, SPD, FDP, Grüne und Linke geschickt. Die Antworten zeigen, wie es den Parteien gerade geht und was sie voneinander denken.
"Wir haben echt ein Problem"
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Sascha, 30, ist Bundesvorsitzender der Jusos
jetzt.de: Die SPD will ihren Kanzlerkandidaten vom Volk wählen lassen. Kann sie sich mit solchen populistischen Aktionen noch vor der Bedeutungslosigkeit retten?
Sascha: Bedeutungslosigkeit? Wir haben gerade die Wahl in Bremen haushoch gewonnen. Würde jetzt zumindest die SPD sagen. Im Ernst: Wir haben echt ein Problem. Keiner weiß so richtig, wofür die Partei eigentlich genau steht. Und da hilft uns auch kein Kanzlerkandidat – wie auch immer der heißt und bestimmt wird. Wir brauchen eine klare Linie und müssen erklären, was wir konkret anders machen wollen. Aber deshalb setzen wir Jusos uns dafür ein, dass die Partei wieder klare Positionen bezieht. Wir wollen mehr Geld für Bildung zum Beispiel. Oder genügend Ausbildungsplätze und sichere Jobs.
Die FDP scheitert bei allen Wahlen schön konsequent an den Fünf Prozent-Hürden. Wann in etwa gehen die endgültig den Bach runter?
Ich finde es wichtig, dass Menschen sich für ihre politische Überzeugung einsetzen. Auch für Hotelbesitzer muss es eine politische Vertretung in Berlin geben. Aber ob man dazu im Bundestag sitzen muss?
Die Grünen stellen einen Ministerpräsidenten und haben in Bremen die CDU überholt. Werden die jetzt eine Volkspartei und so überheblich wie Joschka Fischer?
Volkspartei? Haben die jetzt auch noch andere Themen außer Umwelt? Mal sind sie für und mal gegen Windräder, gegen Stromtrassen und gleichzeitig für erneuerbare Energie. Ich verstehe zwar nicht, wie das alles funktionieren soll, aber der grüne Ministerpräsident wird uns ja zeigen, wie der Strom auch ohne Leitung aus der Dose kommt.
Die CDU ist erst gegen und dann für den Atomausstieg. Kriegen die eigentlich kein schlechtes Gewissen, wenn sie sich dauernd mit dem Wind drehen?
Ist das bei Merkel was neues? Das mit dem Drehen von Positionen? Also ich weiß vor lauter Chefsachen bei ihr gar nicht mehr, was sie wirklich will: Chefsache Bildung, Chefsache Umwelt, Chefsache Regulierung der Finanzmärkte. Vielleicht wäre es mal ganz gut, sie würde überhaupt mal was sinnvolles umsetzen: Mehr Geld für Ganztagsschulen, ein richtiger Atomausstieg, die Einführung der Finanztransaktionssteuer. Da hätten wir alle was von.
Die Linke kommt außer zu Personaldebatten eigentlich zu nix. Wird aus denen nochmal eine Partei oder beschränken die sich einfach aufs Streiten?
In Personaldebatten können wir weiterhelfen. Da haben wir Erfahrungen. Klaus, Gesine und Oskar sollen sich ruhig übers Personal streiten. Wir kämpfen so lange für den Mindestlohn.
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"FD... wer?"
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Katharina, 24, ist Mitglied im Bundessprecherrat der Linksjugend solid, was in etwa dem Job des Vorsitzenden entspricht
jetzt.de: Die SPD will ihren Kanzlerkandidaten vom Volk wählen lassen. Kann sie sich mit solchen populistischen Aktionen noch vor der Bedeutungslosigkeit retten?
Katharina: Wozu braucht die SPD überhaupt noch Kanzlerkandidaten? Selbst wenn sie bei den nächsten Wahlen mal wieder mehr als 20 Prozent bekommen sollte, entscheidet unter rot-grünen Regierungen doch eh kein Kanzler, wo es hingeht. Schon unter Schröder haben die großen Banken und Wirtschaftsunternehmen den Kurs vorgegeben – nicht der Bundeskanzler.
Die FDP scheitert bei allen Wahlen schön konsequent an den Fünf Prozent-Hürden. Wann in etwa gehen die endgültig den Bach runter?
FD . . . Wer? Ach die, naja. Ich denke sie gehen endgültig unter, wenn die Menschen verstehen, dass nicht nur ihr Personal, sondern auch ihre Forderungen höchstens noch zur Endlagerung in C-Promi-Recycling-Shows zu gebrauchen sind.
Die Grünen stellen einen Ministerpräsidenten und haben in Bremen die CDU überholt. Werden die jetzt eine Volkspartei und so überheblich wie Joschka Fischer?
Joschka Fischer war auch schon überheblich, als die Grünen noch bedeutungslos waren, aber sein Wille zur unbedingten Macht hat durchaus auf die Partei abgefärbt. Die Jahre des kritischen Denkens sind in jedem Fall vorbei. Zudem: Wenn die Grünen in die Regierung kamen, haben sie auch ihre ökologischen Prinzipien immer schnell vergessen. Das mit der Volkspartei wird also auf Dauer nichts, schätz’ ich.
Die CDU ist erst gegen und dann für den Atomausstieg. Kriegen die eigentlich kein schlechtes Gewissen, wenn sie sich dauernd mit dem Wind drehen?
CDU und schlechtes Gewissen sind zwei Dinge, die irgendwie nie zusammen auftreten . . . Von und zu ohne Doktor Guttenberg, Waffenlobby-Spenden-Kohl und Atomlobby-Merkel lassen jedenfalls kaum einen anderen Schluss zu.
Die Linke kommt außer zu Personaldebatten eigentlich zu nix. Wird aus denen nochmal eine Partei oder beschränken die sich einfach aufs Streiten?
Eine Partei wie jede andere wollten wir ja eh nie werden. Kritische
Geister streiten halt gerne – Parteien die sich immer einig sind, sind für die Lösung gesellschaftlicher Probleme meiner Meinung nach in etwa so nützlich wie Streubomben bei der Einführung von Demokratie.
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"Die Entzauberung der Grünen hat schon begonnen"
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Philipp, 31, ist Bundesvorsitzender der Jungen Union
jetzt.de: Die SPD will ihren Kanzlerkandidaten vom Volk wählen lassen. Kann sie sich mit solchen populistischen Aktionen noch vor der Bedeutungslosigkeit retten?
Philipp: Es stimmt, dass die SPD die Meinungsführerschaft im linken Lager längst verloren hat. Schaden kann es ihr also nicht, mal wieder mit den Bürgern in Kontakt zu treten.
Die FDP scheitert bei allen Wahlen schön konsequent an den Fünf Prozent-Hürden. Wann in etwa gehen die endgültig den Bach runter?
Die FDP schwimmt seit sechs Jahrzehnten im politischen Haifischbecken – und wird es auch weiterhin tun, keine Sorge.
Die Grünen stellen einen Ministerpräsidenten und haben in Bremen die CDU überholt. Werden die jetzt eine Volkspartei und so überheblich wie Joschka Fischer?
Die Grünen werden auf Dauer nie das öffentliche Gewicht von Joschka Fischer erlangen. Ihre Entzauberung hat schon begonnen.
Die CDU ist erst gegen und dann für den Atomausstieg. Kriegen die eigentlich kein schlechtes Gewissen, wenn sie sich dauernd mit dem Wind drehen?
Wieso denn? Die Windkraft zu nutzen, ist Teil eines ausgewogenen Energiemixes!
Die Linke kommt außer zu Personaldebatten eigentlich zu nix. Wird aus denen nochmal eine Partei oder beschränken die sich einfach aufs Streiten?
Die SED-Fortsetzungspartei sollte sich lieber über ihr Verhältnis zu Mauer und Stasi streiten, als Leuten wie Klaus Ernst ihren Porsche zu neiden.
Auf der nächsten Seite antworten Lasse Becker, Vorsitzender der Jungen Liberalen, und Gesine Agena, Chefin der Grünen Jugend.
"Man schluckt ordentlich Wasser"
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Lasse, 28, ist Vorsitzender der Jungen Liberalen
jetzt.de: Die SPD will ihren Kanzlerkandidaten vom Volk wählen lassen. Kann sie sich mit solchen populistischen Aktionen noch vor der Bedeutungslosigkeit retten?
Lasse: Ich persönlich finde es eine gute Idee, die Bevölkerung mehr zu beteiligen. Allerdings wechselt die SPD ja gerne mal ihre Inhalte. Das wirkt daher auf mich, als wollte sie nur kurzfristig von anderen Problemen ablenken.
Die FDP scheitert bei allen Wahlen schön konsequent an den Fünf Prozent-Hürden. Wann in etwa gehen die endgültig den Bach runter?
Manchmal ist Politik wie Wildwasserfahren und man schluckt ordentlich Wasser. Aber deshalb geht man noch nicht den Bach runter. Wenn wir unsere Inhalte endlich umsetzen – wie gerade bei „Löschen statt Sperren“ – kommen wir da wieder heraus. So wird es auch in Zukunft eine Partei geben, die Freiheit liebt und niemanden bevormunden will.
Die Grünen stellen einen Ministerpräsidenten und haben in Bremen die CDU überholt. Werden die jetzt eine Volkspartei und so überheblich wie Joschka Fischer?
Den Grünen geht es ähnlich wie der FDP vor zwei Jahren: gigantische Umfragewerte und Wahlergebnisse. Mal sehen, ob sie es cleverer anstellen. Gerade das Streichen von Lehrerstellen in Rheinland-Pfalz oder das Hin und Her bei Stuttgart 21 erinnert eher an die Überheblichkeit einer Möchtegern-Volkspartei.
Die CDU ist erst gegen und dann für den Atomausstieg. Kriegen die eigentlich kein schlechtes Gewissen, wenn sie sich dauernd mit dem Wind drehen?
Dass man nach dem Atomunfall in Japan neu nachdenkt, muss auch für Politiker erlaubt sein – sogar für Konservative. Bei Söders unglaubwürdigen Rollentausch vom Atomrambo zum Kernkraftgegner sieht man aber: Seehofer färbt ab.
Die Linke kommt außer zu Personaldebatten eigentlich zu nix. Wird aus denen nochmal eine Partei oder beschränken die sich einfach aufs Streiten?
Die Linke will doch nur dagegen sein und nie etwas gestalten. Aus meiner Sicht können die deshalb ruhig weiterstreiten.
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"Viel von den Grünen abzugucken"
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Gesine, 23, ist Chefin der Grünen Jugend
jetzt.de: Die SPD will ihren Kanzlerkandidaten vom Volk wählen lassen. Kann sie sich mit solchen populistischen Aktionen noch vor der Bedeutungslosigkeit retten?
Gesine: Ich halte es nicht für populistisch, sondern für eine gute Idee, Parteien zu öffnen und auch BürgerInnen Teilhabe an Politik zu ermöglichen. Gerade in Sachen Basisdemokratie und Partizipation kann sich die SPD aber noch viel von uns Grünen abgucken. Nur den Kanzlerkandidaten von BürgerInnen wählen zu lassen, reicht eben nicht.
Die FDP scheitert bei allen Wahlen schön konsequent an den Fünf Prozent-Hürden. Wann in etwa gehen die endgültig den Bach runter?
Wenn sie anfangen, eine Drei-Prozent-Hürde zu fordern . . .
Die Grünen stellen einen Ministerpräsidenten und haben in Bremen die CDU überholt. Werden die jetzt eine Volkspartei und so überheblich wie Joschka Fischer?
Ich finde es toll, wenn immer mehr Menschen von Grüner Programmatik überzeugt sind. Trotzdem werden wir keine Volkspartei im Sinne einer opportunistischen Wischiwaschi-Partei, die es allen Recht machen will. Die Grünen werden weiterhin glaubwürdig für Klimaschutz, erneuerbare Energien ohne Atom und Kohle und für eine sozial gerechte und tolerante Gesellschaft streiten. Wenn uns dafür dann 25 Prozent wählen, ist es doch super!
Die CDU ist erst gegen und dann für den Atomausstieg. Kriegen die eigentlich kein schlechtes Gewissen, wenn sie sich dauernd mit dem Wind drehen?
Wer wirklich für erneuerbare Energien ist und aus der Atomkraft aussteigen will, der hätte nicht erst im Herbst die Laufzeiten verlängern dürfen. Das waren schmutzige Deals mit den Atomkonzernen. Kein Wunder, dass der CDU niemand mehr einen ehrlichen Ausstieg zutraut.
Die Linke kommt außer zu Personaldebatten eigentlich zu nix. Wird aus denen nochmal eine Partei oder beschränken die sich einfach aufs Streiten?
Streit ist ja erstmal nichts schlechtes Wenn die Linkspartei aber raus will aus diesem Tief sollte sie sich von Personaldebatten lösen und lieber ein zukunftsweisendes Programm aufstellen.
Text: peter-wagner - Illustrationen: Katharina Bitzl