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Ihr erstes Interview führte sie im Bunker
Es war eine dumme Idee, fand Faruk Jammal, und er sagte das seiner Tochter in deutlichen Worten. „Du willst Journalistin werden?“ Er hatte gute Argumente dagegen: Im Libanon kann es gefährlich sei, die Wahrheit zu schreiben, die Arbeit ist schlecht bezahlt, und – vielleicht das Schlimmste – „die Themen, über die du berichten musst, sind bitter.“ Faruk Jammal weiß, wovon er spricht. Er ist im Libanon ein bekannter TV-Journalist. Und natürlich wollte er seine Tochter schützen, als er ihr davon abriet, ihm auf seinem Weg zu folgen. Tipps und hilfreiche Briefe habe sie von ihm nicht zu erwarten. Rania musste es alleine schaffen. Sechs Jahre später arbeitet die 24-jährige Libanesin beim Fernsehen. Als Producerin hilft sie mit, den „Al Jazeera Children’s Channel“ (JCC) aufzubauen, den Kindersender von Al Dschasira. Zur Zeit macht sie ein Praktikum in Deutschland beim „Kinderkanal“ in Erfurt. In ihrem Büro dort steht in der Zimmerecke eine Riesenblume aus Pappmaché. Rania redet leise, sieht schüchtern aus. Nicht wie eine knallharte Karrierefrau, die sich aus kleinen Verhältnissen und gegen den Willen ihres Vaters in das globale Mediengeschäft vorarbeiten will.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Über den Konflikt der Kulturen, das stellt sie sofort klar, oder das Image ihres Arbeitgebers als Propagandasender, will sie nicht sprechen. Wie eine Politikerin weicht sie Fragen aus, verweist auf die Marketing-Abteilung. Lieber spricht Rania über ihre Karriere, und warum es schon immer ihr Traum war, als Journalistin zu arbeiten. Ist ja schließlich eine gute Story. Erst Rekorder, dann Stipendium Rania wurde mitten im libanesischen Bürgerkrieg geboren. Um sich vor Granaten zu schützen, versteckte sich Ranias Familie im Keller ihres Beiruter Mietshauses. Wenn ihre Mutter in die Wohnung ging, hinauf in den dritten Stock, um zu kochen, konnte das ein Abschied für immer sein. In den Nachbarhäusern hatten sich Scharfschützen verschanzt. Ranias Vater aber wollte in der Stadt bleiben, um über den Krieg zu berichten. „Es war für mich wie ein Abenteuer“, sagt sie, „er war mein Held.“ Eines Abends schenkte Faruk Jammal seinen drei Töchtern einen Kassettenrekorder. Sie sollten aufnehmen, was sie erlebten, während er nicht da war. Ihren Tag dokumentieren, Informationen sammeln. Am liebsten führten die Mädchen damit Interviews. „Wer sind deine Freunde? Wie alt bist du?“ Da, erzählt sie, hat es angefangen, die Begeisterung für den Beruf. Karriere hat im Libanon nicht nur mit Talent zu tun. Man braucht in der zersplitterten Gesellschaft das richtige Parteibuch, die richtigen Kontakte, die richtige Religion. Eigentlich keine guten Startvoraussetzungen, aber Rania bekam nach dem Abitur eines der wenigen Stipendien an der „Amerikanischen Universität von Beirut“, der Kaderschmiede des Nahen Ostens. Neben dem Studium jobbte sie bei einem Fernsehsender, sichtete eingekauftes Filmmaterial, vom Irakkrieg, vom Tsunami, und machte eigenständig Beiträge daraus. Danach bewarb sie sich bei Al-Dschasira. Al-Dschasira ist der einzige unabhängige Sender im Nahen Osten, und gilt mit vielen Millionen Zuschauern als „größte politische Partei“ der arabischen Welt. Eine Stelle in dem Medienimperium ist eine große Chance. Dafür zog Rania vom westlich-urbanen Beirut in das islamisch-konservative Katar, wo Frauen die Erlaubnis ihres Ehemannes oder Vormunds brauchen, um eine Reise zu unternehmen. Der Kinderkanal JCC von Al-Dschasira wurde 2005 gegründet – auch die Kinder sollen früh an die Marke herangeführt werden und Rania war von Anfang an dabei. Ist JCC ein politischer Sender? Geht es um Religion? Fragen dieser Art würgt Rania ab. Sie fürchtet, dass die Aussagen ihrer Karriere schaden könnten. Sie wolle keinen Ärger mit ihrem Sender. Vor kurzem hat sie ihren ersten Auslandsdreh geleitet, einen Beitrag über Kinder auf den Philippinen und in Japan. Bald wird Rania erstmals selbst vor der Kamera stehen, als Moderatorin des Kinder-Nachrichtenmagazins „Chabberni, Sprich mit mir“. Keine leichte Aufgabe, JCC wird schließlich in 22 arabischen Ländern gesendet, in westlich-liberalen wie dem Libanon ebenso wie in islamisch-strengen wie Saudi-Arabien – da ist es schwer, immer den richtigen Ton zu treffen. Der deutsche Kinderkanal ist im Vergleich dazu ein beschaulicher Arbeitsplatz. Und trotzdem sagt sie: „KiKa und JCC sind sich sehr ähnlich. KiKa hat vielleicht mehr Ressourcen.“ Als sie nach ihrer Ankunft den Fernseher einschaltete, um das Produkt kennen zu lernen, hat sie als erstes einen Beitrag über Zungenküsse gesehen. Dr. Sommer würde auf JCC wohl keinen Sendeplatz bekommen. Und auch sonst ist hier einiges anders. Ihre Wohnung in Erfurt liegt gleich neben einem Sex-Shop.„Dass Pärchen unverheiratet zusammen wohnen, ist das normal hier? Aus welchem Grund heiraten die Leute denn dann?“ Irgendwann will sie noch weitere Schritte in den Fußstapfen ihres Vaters gehen und als Kriegsberichterstatterin arbeiten. Wenn, dann in „Zone A“, also unmittelbar am Geschehen. Noch ist es ein Gedanke, der sich manchmal anfühlt wie eine Verpflichtung. „Man muss doch zeigen, wie schlimm es in den arabischen Kriegsgebieten zugeht. Die Welt soll das sehen!“ Faruk Jammal, ihr Vater, jedenfalls wird sich ihr dann nicht mehr in den Weg stellen. Er hat gesagt: „Mittlerweile bist du alt genug und weißt, was du tust.“