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„Ich werde ein immer größerer Fan von Männern“

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„Feuchtgebiete“ ist kein Buch für sensible Gemüter. Wer den Roman von Charlotte Roche lesen will, sollte keine Angst vor Körperöffnungen, Menstruationsblut und Analsexfantasien haben. Denn mit wenig anderem beschäftigt sich Roches Heldin in ihrem inneren Monolog. Es geht Charlotte Roche aber nicht nur darum, möglichst viele Tabus zu brechen: Feuchtgebiete war ursprünglich als Sachbuch geplant, das Leserinnen und Leser dazu bringen soll, über ihre eigenen Hemmschwellen zu springen. Die frühere VIVA-Moderatorin bezeichnet sich schon immer als Feministin. Ihrer Ansicht nach haben Frauen ein schwieriges Verhltnis zu sich selbst. Das will sie ändern. jetzt.de: Wen hattest du beim Schreiben als Leserinnen und Leser vor Augen? Charlotte Roche: Für meine Lesetour wünsche ich mir viele gut aussehende, gut angezogene junge Frauen im Publikum. Beim Schreiben selbst ging es ehrlich gesagt eher um mich. Ich musste das selbst lustig finden und immer wieder überprüfen, ob jetzt das Unaussprechliche ausgesprochen wird und ich das weibliche Sexualorgan detailliert genug beschreibe. War diese ganze Thematik bis dahin für dich denn unaussprechlich? Vieles schon. Ich bin auch nicht gut darin, etwa mit Freundinnen über solche Sachen zu reden. Was Helen sich in dem Buch denkt, hat viel mit mir zu tun. Zum Beispiel regt sie sich darüber auf, dass sie nie weiß, wen sie fragen soll und also zu Prostituierten geht. Und für mich ist das schon ein Problem, dass man eigentlich mit niemandem drüber reden kann. In einem bestimmten Alter, etwa zwischen 12 und 15, geht das ja noch gut. Man redet dann mit seinen Freundinnen oft über Themen wie Ausfluss. Später spricht man nur noch oberflächlich darüber, wenn man seine Tage hat. Warum? Ich kann das jetzt nicht genau erklären, ich beobachte nur, dass etwas falsch läuft. Ich werde ja mit zunehmendem Alter ein immer größerer Fan von Männern. Weil die einfach schon so viel können und so weit sind mit ihrer Sexualität. Die haben für alles Wörter, kultivieren Phantasien. Ich kenne keine einzige Frau, die Phantasien hat und das ausspricht. Aber jeder Mann könnte dir aus dem Stegreif zwölf Phantasien nennen, zu denen er sich einen runterholt. Woher kommt diese Verkrampfung? Ich glaube, das hängt oft mit den Müttern zusammen, die mit sich selbst nicht klar kommen. Kinder sind ja nicht doof, die merken, wenn die eigene Mutter nicht recht weiß, wohin mit ihrer Sexualität. Ich glaube, das ist grundsätzlich furcheinflößend für Männer. Aber haben nicht Frauen die größeren Probleme, sich zu artikulieren? Ja, Frauen haben im Gegensatz zu Männern keine Sprache. Das meine ich eben. Was Sexualität angeht, kann man sich Männer ruhig als Vorbild nehmen. Die haben Kosenamen für ihre Geschlechtsorgane. Wenn du zu einem Mann sagst: Zeig mal wie du dich selbst befriedigst, dann macht der das einfach. Frauen werden so: Ähh, wie mach ich das, mach ich das überhaupt? Ist das nicht auch kulturell bedingt? Doch. Mädchen wird nach wie vor nahe gelegt, dass Masturbation nichts für sie ist. Während für Jungs ganz klar ist, ab einem bestimmten Alter sind die Laken voll, blablabla, alles ist cool. Das sind alte feministische Themen. Wir machen ja gerne Witze über die Selbsterkundungskurse mit den Handspiegeln, die Frauen in den siebziger Jahren gehalten haben. Aber Frauen kennen sich da unten heute immer noch nicht gut genug aus.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Neben der Sexualität ist der Hygienezwang das andere große Thema deines Buches. Hältst du den für ein spezielles Frauenproblem, oder ist das nicht einfach ein Phänomen der Moderne? Ich glaube dieses Thema hat ähnlich wie Masturbation viel mit Erziehung zu tun. Und leider muss man sagen, dass da vor allem die Mütter sehr viel Scheiße gebaut haben. Es scheint auch für 68er-Mütter schwer zu sein, sich als Frau zu mögen und das ihren Töchtern weiter zu geben. Viele Frauen haben ein ziemlich gestörtes Verhältnis zu ihrer Hygiene. Kein Wunder: Suggeriert man einem Mädchen ständig, wie unfassbar schwer es sei, eine Muschi sauber zu halten, wird sie glauben, dass ihre Muschi total schmutzig ist. Mal ernsthaft – wie wichtig ist dieses Thema wirklich? Ich will damit zeigen, dass diese Idee, Gerüche müsse man immer wegmachen, schlecht ist. Es gibt Körperteile, die müssen riechen und Schleim haben und der Kampf dagegen ist falsch. Frauen sind zum Beispiel so empfänglich für Slipeinlagenwerbungen. Da wird einem ständig erzählt, dass man damit den ganzen Tag so frisch riecht, wie frisch geduscht! Aber warum sollte man? Sex ist doch auch nicht frisch. Auf Festivals merkt man das auch: Die Jungs haben meist kein Problem damit, tagelang nicht zu duschen, während die Mädchen ab sechs Uhr morgens in ewigen Schlangen vor der Dusche anstehen. Männer haben eine Kultur des Drecks. Es gibt Cowboys mit schmutzigen Hosen, die rotzen auf den Boden und sind cool dabei. Für Frauen gibt es das nicht. Meinst du, das ist eine Art Unterdrückungsmechanismus? Auf jeden Fall. Dasselbe wie mit dem Rasieren auch. Ich glaube, dass Mädchen sich mit den Haaren die Persönlichkeit wegrasieren sollen. Was haben die Leute zum Beispiel gegen Achselhaare? Man kann ja auch kreativ damit umgehen. Diese Tür aber ist für jede Frau verschlossen. Das schlimmste finde ich, wenn keiner eine Chance auf Selbstbestimmung hat. Der weibliche Körper gilt ja nicht nur als irgendwie reinigungsbedürftig, sondern auch als etwas, das es permanent zu optimieren gilt. In „Feuchtgebiete“ geht es einmal um diesen unbändigen Wunsch, mit einer Freundin bestimmte Körperteile zu tauschen, die man an ihr besser findet. Es reicht nicht, einen guten Hintern und dünne Beine zu haben, sondern man braucht auch noch die Brüste. Frauen haben solche Ansprüche und so einen Druck, der sich auf jedes Körperteil überträgt. Männer sind auch da gute Vorbilder. Wenn du zu einem Mann sagst: Ich liebe dich auch mit deinem Bierbauch, dann wird der Bauch in den nächsten Tagen gleich vier Mal größer. Das ist aber total cool, wer wünscht denn Männern, dass sie unglücklich mit ihren Körpern sind? Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass es sich in ein paar Generationen ändern kann. Frauen müssen noch lernen, die Gleichberechtigung auszufüllen. Meinst du dann, dass der Feminismus sich von selbst erledigt? Nee. Ich fange immer an, laut zu lachen, wenn jemand sagt „Frauen haben doch schon alles erreicht“. Und zwar allein wegen des Punktes, dass Frauen bei gleicher Qualifikation immer noch weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen, dass sie für ihr Gehalt immer noch dankbar sind. Dass sie sagen: „Ach, ich bin eine Frau, ich interessiere mich nicht so für Geld.“ Männer sagen eher: Hoppla, hier bin ich, gebt mir jetzt 10.000 Euro. Weil ich bin geil und meine Arbeit für euch ist viel wert. Was muss man denn tun, um das zu ändern, deiner Meinung nach? Das hat viel mit Bewusstmachung zu tun. Das Wichtigste ist, daran zu glauben, dass Frauen ganz klar in jedem Bereich gleichberechtigt sein müssen. Ich gehe mit offenen Augen durch die Welt. Mein Blick ist dafür geschult, frauenfeindliche Dinge zu entdecken. Vieles davon läuft im Kleinen ab. Das hat ja auch mit Spaß am Diskutieren und Schnelligkeit im Kopf zu tun. Dass man nicht will, dass Sexismus ungestraft davon kommt. Manchmal ist es aber auch ganz schön anstrengend, oder? Viele Dinge sind anstrengend. Gerechtigkeitssinn ist anstrengender, als so zu tun, als hätte man etwas nicht gesehen. Du hast ja durchaus eine gewisse Vorbildfunktion als junge, coole Feministin. Fühlst du dich manchmal allein auf weiter Flur? Ich habe mich nie einsam gefühlt. Man bekommt ja mit, dass es als junge Frau offenbar etwas Besonderes ist, zu sagen, man sei Feministin. Andere junge Frauen weisen dieses Wort wohl weit von sich aus karrieretechnischen Gründen. Es ist nach wie vor für eine junge Schauspielerin scheinbar unsexy zu sagen, sie sei Feministin. Wobei es da natürlich auch darauf ankommt, in welchen Kreisen man sich bewegt. Diese Verknüpfung ist eh ziemlich seltsam. Als wäre es unsexy, gegen Rassismus zu sein. Ja klar. Es geht ja nur darum, dafür zu sein, dass Frauen gleichberechtigt sind. Das ist doch einfach nur normal! Wer würde das denn nicht wollen? Mein Lieblingsspruch zurzeit ist, dass alle Männer mit denen ich zu tun habe, auch Feministen sind. Welcher Mann würde denn etwas mit einer Frau zu tun haben wollen, die für die Unterdrückung von Frauen ist. Das Buch „Feuchtgebiete“ von Charlotte Roche erscheint diese Woche im Dumont Verlag.

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