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"Ich beleidige niemanden grundlos"
Die Schallplatte wird aussterben – das war die einhellige Meinung von selbsternannten Experten, als Anfang der 80er Jahre weltweit die CD als Musikmedium eingeführt wurde. Heute, knapp 30 Jahre später, ist Vinyl immer noch quicklebendig und führt ein zufriedenes Nischendasein in den Plattenkisten von Nerds und Nostalgikern. Der 22-jährige Christian Buth ist beides und arbeitet seit über einem Jahr im legendären Plattenladen „Franz & Josef Scheiben“ in Berlin-Prenzlauer Berg. Ein Interview über das Geschäft mit dem schwarzen Gold, Zwist mit der Kundschaft und die Intimsphäre von Plattenläden.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
jetzt.de: Christian, zwischen dem Zionskirchplatz in Mitte bis zur Rykestraße in Prenzlauer Berg gibt es mehr als 25 Plattenläden. Wie schwer ist das Vinyl-Geschäft derzeit in diesem Teil Berlins?
Christian: Man kann schon fast sagen, dass Berlin die Platten-Hauptstadt Europas ist. Es gibt unheimlich viele Touristen, die hierher kommen, um Plattenläden abzuklappern. Nirgendwo sonst gibt es so viele wie hier und nirgendwo sonst sind die Platten so billig. Da sich in dieser Gegend aber jeder Laden spezialisiert, machen wir uns die Kunden nicht wirklich streitig. In unserem Laden haben wir zum Beispiel ein sehr breites Spektrum an Second-Hand-Ware, von den 50ern bis zu den 90ern ist eigentlich alles dabei. Viele andere Läden drum herum bieten eher elektronische Musik als Neuware für die aktuellen Club-Gänger an.
jetzt.de: Man muss sich also spezialisieren, um bestehen zu können?
Christian: Wir haben hier ungefähr 20.000 Platten im Laden. Wenn es noch mehr wären, würde es immer schwieriger werden, sich damit auszukennen. Außerdem braucht man auch die Kontakte zu den Händlern und die Stammkunden.
jetzt.de: Wie würdest du das zahlenmäßige Verhältnis von Einheimischen zu Touristen in eurem Laden beschreiben?
Christian: Im Moment besteht unsere Kundschaft aus circa 90 Prozent Touristen und nur zehn Prozent Einheimischen. Platten sind Luxus und teilweise sehr teuer - und Berliner haben wenig Geld. Die meisten Berliner kaufen daher vor allem die 1- oder 5-Euro-Platten. Die teuren werden oft nur von Touristen gekauft, die manchmal richtig viel Geld auf einmal ausgeben.
jetzt.de: Kannst du deine Kunden typologisieren?
Christian: Ja. Es gibt Leute, die sich 20 Minuten im Laden aufhalten und 200 Euro ausgeben. Andere bleiben zwei Stunden und geben nicht einen Euro aus. Es kommen auch viele ältere Leute, die sich hier an ihre Jugend erinnert fühlen und für die der Laden eine Art Museum darstellt. Manchmal kommen auch Typen mit ihren Freundinnen, vor denen sie einfach mal angeben wollen. Oder Jazz-Sammler, die zu Hause 5.000 Scheiben haben und mir nur beweisen wollen, dass sie mehr Ahnung haben als ich. So was kann sehr anstrengend sein. Manchmal muss man einem Kunden nach einer halben Stunde schon mal sagen, dass es mit ihm nichts bringt. Letztendlich ist der Laden ja ein privater und kein öffentlicher Raum. Man kann sich aussuchen, wen man hier drin haben möchte, und wen nicht.
jetzt.de: Fühlst du dich in diesem privaten Raum manchmal von Kunden bedrängt?
Christian: Ja, gerade im Winter, wenn die Tür zu ist und überall im Laden noch Kisten herumstehen, wird es schon mal eng. Es gibt teilweise auch wirklich komische Leute, die hier reinkommen und einem unangenehm sind. Ich bin sogar schon mal im Laden angegriffen worden. Wir sind generell nette Leute, aber auch keine Höflichkeitsfanatiker. Manche Kunden stellen bestimmte Anforderungen an einen, weil sie mit dieser Der-Kunde-ist-König-Doktrin aufgewachsen sind. Das gibt es hier aber nicht. Der Laden ist keine Boutique oder ein Restaurant, wo der Service eine wichtige Rolle spielt.
jetzt.de: Wobei ihr ja etwas verkaufen wollt. Da ist ein guter Umgang mit den Kunden doch sehr wichtig.
Christian: Das stimmt, und der macht ja auch Spaß. Es gibt Leute, mit denen man sich sogar anfreundet. Wir sind sehr nah am Kunden dran. Aber viele Leute sind eben gar keine Kunden. Ein Kunde ist jemand, der ein Interesse am Geschäft hat. Hier geht es wirklich um die Ware. Es ist ja fast schon ein Fetisch-Geschäft.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
jetzt.de: Im Internet findet man auf verschiedenen Seiten viel negatives Feedback von Besuchern eures Ladens. Ein ehemaliger Kunde schrieb beispielsweise auf qype.com: „Nachdem ich den Laden betreten hatte und gerade einmal etwa 20 Sekunden zu stöbern anfing, wurde ich mehr als ruppig angefahren: ‚Was willst du?‘ Meine Antwort: ‚Weiß noch nicht, mal sehen, was so da ist an 60s Beat und R&R.‘ Darauf der Typ (mit laufender Nase und im Hassprediger-Ton): ‚Kannst du dir sowieso nicht leisten! Tschüss!‘“ Tun euch Kritiker wie dieser Unrecht?
Christian: Nein, so etwas passiert. Es kommt vor, dass wir auch mal schlechte Laune haben. Ich glaube aber, dass sich die richtigen Kunden von so etwas nicht abschrecken lassen.
jetzt.de: Vorfälle wie der beschriebene tauchen im Internet so häufig auf, dass man meinen möchte, der raue Ton sei bei euch normal.
Christian: So schlimm ist es eigentlich nicht. Im Zuge der Anonymität des Internets schreiben die Leute sehr schnell mal etwas – gerne auch negativ. Die meisten Leute gehen hier wirklich zufrieden raus. Aber es gibt natürlich Tage, an denen nur Leute kommen, die einen nerven und einem viel zu nahe kommen, sodass man wirklich zum totalen Misanthropen wird. Wenn irgendwann der Fünfte am Tag ankommt und fragt, was gerade läuft, weil er sich das später im Internet runterladen will, dann reagiere ich eben auch schon mal etwas ungehalten.
jetzt.de: Das heißt, ihr testet aus, ob jemand wirklich im Laden ist, weil er eine Platte kaufen will?
Christian: In gewisser Weise schon. Das Vinyl-Geschäft ist eben ein Nerd-Geschäft – und wir sind auch Nerds. Es gibt Leute, die plattensüchtig sind, die gar nicht merken, wenn ich sie so anspreche. Ein Drogensüchtiger lässt sich ja auch nicht abschrecken, wenn sein Dealer ihn schlecht behandelt. Natürlich kommen auch viele Hipster hierher, bei denen alles bloß warme Luft ist. Da muss man dann schon mal austesten, was die hier wollen und sie gegebenenfalls auch vertreiben, weil es den Aufwand ansonsten gar nicht lohnt und einen lediglich aufreibt. Ich beleidige aber niemanden grundlos, nur weil er mich nervt. Ich sage dann meistens bloß: „Du, es klappt irgendwie nicht. Es ist schönes Wetter draußen, deshalb geh’ bitte und lass uns nicht gegenseitig auf die Nerven gehen.“
jetzt.de: Gibt es Regeln für den Besuch im Plattenladen?
Christian: Wenn man einen Plattenladen betritt, sollte man grundsätzlich erst einmal „Hallo!“ sagen. Es gibt wirklich erschreckend viele Leute, die das nicht tun – selbst wenn man sie zuerst begrüßt. Gerade in einem so kleinen Laden sollte man schon ein bisschen Höflichkeit an den Tag legen. Außerdem sollte man natürlich Respekt vor den Platten haben. Das ist schließlich eine empfindliche Ware. Leider gibt es Leute, die damit regelrecht herumschmeißen.
jetzt.de: Sind die Berliner die unfreundlichsten Kunden, wie man es dem Klischee nach vermuten würde?
Christian: Berliner sind wirklich die, die am schnellsten aggressiv werden. Das mag aber auch daran liegen, dass sie mehr Selbstbewusstsein haben als Touristen, die sich hier in einer fremden Stadt befinden. Genauso können Berliner aber auch sehr humorvoll sein und sind solche verbalen Attacken bestimmt eher gewohnt als Leute von außerhalb.
jetzt.de: Was war das Schlimmste, was dir hier im Plattenladen passiert ist?
Christian: Irgendwann kam mal ein Typ rein, der auf Drogen war. Der wirkte normal, hat dann aber plötzlich angefangen, angeklebte Platten von der Wand zu reißen und darauf herumzutrampeln. Der hat um sich geschlagen und war wie von Sinnen. In dem Moment kam zum Glück gerade mein Chef in den Laden, sodass der Typ abgehauen ist. So etwas passiert eben auch, aber man sollte es nicht so weit treiben, bis irgendwann die Polizei kommt. Wir sind hier letztlich bloß in einem Plattenladen. Das ist nichts Lebensentscheidendes.
Text: daniel-schieferdecker - und Erik Brandt-Höge; Foto: steffne/photocase.com