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Humboldt oder Arbeitsmarkt - wie studiert man richtig
Die Nachricht, dass die Freie Universität Berlin (FU) künftig zu den Elite-Universitäten des Landes gehören wird, war gerade ein paar Tage alt, als Inga Nüthen ihr Manuskript packte, um den Erstsemestern bei der Immatrikulationsfeier an der FU schlechte Laune zu machen: „Ich will euch eigentlich nicht gleich den Enthusiasmus nehmen“, begann sie ihre Rede, „aber ich kann und will an dieser Stelle nicht in die allgemeinen Lobeshymnen über die angeblich so freie Universität mit einstimmen.“ Inga studiert Politik an der FU, sie ist 23 und Fachschaftsreferentin im Allgemeinen Studierendenausschuss, sie findet, dass Bildung gerade zur „international handelbaren Dienstleistung“ gemacht wird. Ihr geht das Konkurrenzdenken hinter dem Elitewettbewerb auf den Senkel und sie kritisiert die Umstellung auf die Bachelor-Master-Abschlüsse: Im neuen verschulten Studiensystem, sagt Inga, bleibe keine Zeit mehr, sich mit den Inhalten „wirklich auseinanderzusetzen.“ Eifrige deutsche Unis Hinter dieser Kritik stecken vor allem zwei Fragen: Wie viel Zeit braucht eigentlich gute Bildung? Und wie viel Effizienz verträgt sie? Die Hochschulen reformieren sich wie noch nie in der Geschichte und führen Bachelor- und Masterabschlüsse ein. Es soll ein einheitlicher europäischer Hochschulraum entstehen, in dem die Studenten schneller und an unterschiedlichen Orten studieren können. Das ist gut für die Studierenden, dachten sich die europäischen Bildungsminister, die das 1999 beschlossen haben, das ist auch gut für die Wirtschaft, die gerne junge Leute einstellt. Seitdem gibt es Ärger. Vor allem die deutschen Hochschulen sind eifrig in Sachen Studienreform. Bis September dieses Jahres gab es schon fast 7 000 Bachelor- und Masterstudiengänge. Nach einer Statistik der Hochschulrektorenkonferenz führen gerade 61 Prozent aller Studiengänge zum Bachelor oder Master. Aus dem Studium wird deshalb Schule, aus Bildung wird Ausbildung. Kritiker sprechen vom „atemberaubenden Untergang der Universität“. Studiert wird nun in Modulen und in Geisteswissenschaften gibt es Multiple Choice-Tests. Wilhelm von Humboldt hatte sich im 19. Jahrhundert die Universität als geistigen Ruhepunkt ausgedacht, an dem Schüler zu Fragenden und Forschenden werden. Er hatte an eine umfassende humanistische Bildung junger Menschen gedacht. Mit der Reform wird vor allem an die Arbeitsmarktfähigkeit der Studenten gedacht. „Die Studierenden stehen wahnsinnig unter Druck“, sagt Vivian Wendt. Sie ist Pastorin und leitet in Hamburg die studentische Telefon und E-Mail-Seelsorge. Nach einem Semester Ausbildung nehmen dort Studenten die Anrufe von Kommilitonen entgegen – die Zahl der „Erstanrufer“ nimmt zu. Vivian Wendt berichtet vom Stundenplan eines Studenten, in dem 50 Wochenstunden eingetragen waren; sie erinnert sich an Anrufer, die sich nicht eingestehen, dass ihnen alles zuviel ist. „Die Studenten haben keinen freien Blick mehr für was anderes, außer für das Studium und fürs Jobben.“ Eine Folge der Studienreform, sagt Wendt und meint: Eine Folge des Zeitmangels. Im Sommer entschied die Hamburger Körber-Stiftung, zu dem seit 1996 ausgerichteten Deutschen Studienpreis keine Abschlussarbeiten von Studenten mehr zuzulassen. Die Qualität gehe seit einigen Jahren zurück, heißt es aus der Stiftung: Unter den neuen Studienbedingungen bleibe den Studierenden kaum noch Zeit für ordentliche Forschung.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Immer weniger Qualität, immer mehr depressive Studenten in den psychosozialen Beratungsstellen des Studentenwerks, immer mehr Proteste gegen ein korsettiges Studium: Der Stand der Studienreform lässt sich leicht von der „immer schlimmer“-Seite betrachten. Doch gerade weil diese Reform in ihrem Umfang ohne Beispiel ist, fordern Beobachter auch Gelassenheit. Erst nach und nach werden mehr Bachelor-Studenten fertig, die mit ein bisschen Abstand in den Rückspiegel sehen und sagen können, ob das griffigere Studium nicht doch seine Vorteile hatte. Die Leute vom Hochschul-Informations-System (HIS) veröffentlichten eben eine Studie, in der sie Absolventen des Jahres 2005 nach ihrem Studium fragten. Das Ergebnis freut die Freunde der neuen Abschlüsse. „Bachelorabsolventen bewerten ihr Studium im Vergleich zu Absolventen traditioneller Studiengänge besser“ steht da zu lesen. Die Studenten wurden nach der wissenschaftlichen Qualität der Lehre oder nach dem Praxisbezug des Studiums gefragt. Besonders gute Noten gaben dabei die Studenten der Ingenieurwissenschaften ihrem Studium. Besonders schlechte Noten aber gaben die Geisteswissenschaftler. Soll heißen: Der Naturwissenschaftler kommt mit dem verschulten Studium gut Schuss. Der Denker nicht so.
Klaus Klemm ist Bildungsforscher und mag Zustimmung oder Ablehnung für das neue Studiensystem nicht mit der Fachrichtung verbinden. „Nicht alle Anfänger eines Jahrgangs wollen nach Humboldt studieren. Das ist ein naiver Glaube“, sagt Klemm. „Für die motivierten Studenten ist das, was wir da veranstalten eine intellektuelle Gängelung“, sagt Klemm. „Für die anderen – ist es eher besser.“
An der eigentlichen Reform lässt sich ohnehin nicht mehr rütteln. Spätestens 2010 sollen alle Abschlüsse umgestellt sein. Diskutierbar ist nur, mit welchem Leben diese Studiengänge künftig gefüllt werden. Die einstigen Verfechter eines schnellen Studiums sehen zum Beispiel gerade mit Bauchgrimmen auf den Reformprozess. „Wir wollten die extrem hohen Abbrecherraten senken“, sagte der emeritierte Germanistik-Professor Harro Müller-Michaels der Wochenzeitung Die Zeit. „Doch dass dieses modularisierte Klein-Klein der Preis für den Erfolg ist, das haben wir nicht gewollt.“ Müller-Michaels wird bisweilen als einer der Väter der Studienreform bezeichnet. Er sorgte dafür, dass die Geisteswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum zu den Ersten gehörten, die den Bachelor anbieten. Heute ärgert er sich, wenn er überfrachtete Studiengänge sieht, in denen die Zeit für das Wesentliche fehle. Und das ist das eigentlich Paradoxe: Im neuen Studienmodell, in dem es allen besser gehen sollte, mangelt es nun am Wichtigsten. An der Zeit für ein Auslandsstudium, für soziales Engagement oder an der Zeit, in bestimmten Fächern in die Tiefe zu gehen. Deshalb gibt es nun erste Diskussionen darüber, etwa das Bachelor-Studium, wo nötig, sieben oder acht Semester laufen zu lassen. Im Beschluss von Bologna steht nämlich nicht, dass ein Bachelor-Studium nur sechs Semester dauern darf.
Vielleicht ist der Effizienzbegriff nicht auf alle Studiengänge gleich anwendbar und die Ökonomisierung des Studiums hat ihre Grenzen. Zumindest, wenn man nicht komplett verlieren will, was Herr von Humboldt sich für die Studenten bestimmter Fächer ausgedacht hat: Zeit zum Nachdenken.
Vielleicht braucht es auch nur einen anderen Begriff von Effizienz. „Jemand studiert effizient, wenn er sich mit dem auseinandersetzt, was er studiert“, sagt Vivian Wendt von der Studentischen Seelsorge. „Und das braucht Zeit.“
Text: peter-wagner - Montage: Katharina Bitzl