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"HipHop spielte eine große Rolle bei der Revolution"
Die 25-jährige gehört zu den bekanntesten HipHop-Stars im arabischen Raum: Als Tochter libanesischer und algerischer Eltern wächst Lynn Fattouh alias Malikah während des Bürgerkriegs in Beirut auf, unterschreibt mit 16 Jahren ihren ersten Plattenvertrag und tourt durch Frankreich und ganz Arabien. Gerade nimmt sie ein Album als Teil der internationalen weiblichen HipHop-Band „Lyrical Roses“ auf.
jetzt.de: Sie haben sich mit ihren sozial engagierten Raps in Arabien einen Namen gemacht. Jetzt arbeiten Sie auch noch mit kenianischen und kolumbianischen Kolleginnen zusammen. Wie kommt das?
Malikah: Die Band entstand dieses Jahr auf dem „Translating HipHop“-Workshop des Goethe-Instituts. Es ging darum, Texte lokaler MCs aus verschiedenen Ländern in die eigene Sprache zu übersetzen. So stand ich mit Diana Avella in Kolumbien und mit Nazizi in Kenia auf der Bühne. Am Ende war ich überrascht: Überall haben die Menschen ganz unabhängig von ihrer Kultur mit denselben Problemen zu kämpfen. Warum also nicht als rappende Übersetzer auf Tour gehen?
jetzt.de: Apropos Übersetzung: Wie weit dürfen sie das provokante Vokabular des westlichen HipHop in Ihrer arabischen Heimat übernehmen?
Malikah: Um es vorweg zu nehmen: In meiner Heimat Libanon herrscht verglichen mit dem Rest der arabischen Welt relative Redefreiheit. Allerdings sollte man auch hier bestimmte Themen besser nicht anschneiden. Religion etwa oder Regierungsangelegenheiten. Wenn du trotzdem darüber reden willst, musst du die Bedeutung deiner Worte verschleiern . . .
jetzt.de: . . . was die große lyrische Versiertheit vieler arabischer Rapper erklärt.
Malikah: Auf jeden Fall! Wir sind gezwungen, viel mehr Mühen in unsere Metaphern zu stecken.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Malikah bei der Arbeit
jetzt.de: Sie wirken auf der Bühne ähnlich selbstbewusst wie Ihre männlichen Kollegen. Dennoch scheinen Sie als arabische muslimische Rapperin immer noch die Ausnahme zu sein.
Malikah: In der Kultur, Religion und Gesellschaft, aus der ich komme, musste ich auch doppelt so viel Energie investieren wie ein Mann, um respektiert zu werden. Ich habe das immer als Herausforderung gesehen: zu beweisen, dass weibliche MCs locker mit dem Wortwitz und der Energie ihrer männlichen Gegenparts mithalten können. Weibliche Selbstermächtigung: Darum geht es in vielen meiner Raps – besonders angesichts der negativen Frauenbilder in der arabischen Popmusik. So sehr ich die Globalisierung schätze, hier hat sie doch einige hässliche Spuren hinterlassen: Viele arabische Popstars übernehmen die billigsten Frauen-Klischees aus westlichen HipHop-Videos. Sex sells. Das gilt auch in Arabien. Nur die Verpackung ist etwas dezenter.
jetzt.de: Mit ihrem politisch-feministischen Anspruch stehen Sie letztlich zwischen allen Fronten, oder?
Malikah: Dass die Religiösen mich beschimpfen, daran habe ich mich gewöhnt. Dazu kommen noch andere, persönlichere Konsequenzen: So werde ich mich schwer tun, in meiner Heimat einen Mann zu finden. Keine muslimische Familie hat gerne eine Rapperin als Schwiegertochter.
jetzt.de: Das haben Sie wahrscheinlich schon geahnt, als Sie vor zehn Jahren Ihren ersten Plattenvertrag unterschrieben. Was hat Sie dazu getrieben, all diese Widerstände auf sich zu nehmen?
Malikah: Ich teilte als junges Mädchen ein Zimmer mit meinen Brüdern, und musste mir deshalb dauernd ihre „Run DMC“-Platten anhören. Irgendwann hat mich diese Energie angesteckt: Damals gab es im Libanon noch keinerlei HipHop-Studios oder Produzenten, geschweige denn weibliche MCs. Aber ich war schon immer offenherzig mit meiner Meinung und als ich zwei Jungs im Club rappen hörte, dachte ich: ,Das kann ich auch!‘
jetzt.de: Wer hat Sie dabei unterstützt? Ihre Eltern?
Malikah: Nein, nein, meine ach so liberalen Eltern waren entsetzt. Sie haben mir das Rappen rundheraus verboten. Sie sagten, es sei schmutzige Gossenmusik. Woher sollten sie es auch besser wissen, wenn das Fernsehen nur die Video-Clips irgendwelcher fluchenden Gangsterrapper zeigt? Ich versuchte sie dann aufzuklären: dass es beim Rap ursprünglich mal um Respekt für das Publikum und eine starke politische Botschaft ging, und nicht um diesen Gangster-Schwachsinn . . .
jetzt.de: Sie haben ein Problem mit dem HipHop-Mainstream aus Amerika?
Malikah: Man kann nicht die amerikanischen Rezepte eins zu eins in ein muslimisch geprägtes Land importieren. Hier ist man ja bereits als Sängerin anrüchig: Wer singt, gilt als unrespektable, moralisch zweifelhafte Person. Ausnahmen werden vielleicht für Legenden wie Om Kolthoum oder Fayrouz gemacht. Aber die haben eben als Koran-Sängerinnen angefangen
jetzt.de: Das kommt für Sie nicht in Frage, oder?
Malikah: Der eigentliche Fauxpas für eine Frau ist ja, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Als Koransängerin verhüllst du dein Gesicht: Da zählt die Stimme nur als Instrument im Dienst des Musik. Auch wenn wir arabischen Rapper uns HipHop auf eine Weise aneignen, die nichts mehr mit Amerika zu tun hat, sondern auf unsere eigene Musiktradition zurückgreift: Die Bühnenpräsenz einer Rapperin bleibt für viele eine Provokation.
jetzt.de: Sie treten in verschiedenen arabischen Ländern von Dubai über Syrien bis Ägypten auf. Welchen Stellenwert hat HipHop dort?
Malikah: Besonders in Ägypten blüht eine engagierte Untergrundszene. Vergangene Woche hatte ich einen Auftritt in Kairo – zusammen mit den Lokalgrößen MC Amin, Deeb, den Arabian Knights und Rappern aus Libyen, Jordanien und Palästina. Die Polizei blockierte den Eingang, ließ niemanden ein und verkündete, die Show sei abgesagt. Am Ende fanden wir einen neuen Ort und alle Fans zogen mit. HipHop don’t stop haben sie gechantet. Die Emotionen kochten hoch. Da habe ich wieder gewusst, was diese Musik bedeuten kann.
jetzt.de: Hatte der Polizei-Einsatz einen politischen Hintergrund?
Malikah: Die Machthaber wissen, dass HipHop eine große Rolle bei der Revolution spielte – schließlich sind wir es, die die Leute ständig über ihre Rechte aufklären. Außerdem zeigen wir, dass es keine Rolle spielt, ob du Muslim, Christ oder sonst etwas bist. Ich rappe gegen religiöses Sektierertum. In meiner Heimat hatten wir deswegen vor 15 Jahren einen Bürgerkrieg. Das hat mich darin bestärkt, dass Religion Privatsache sein sollte.
jetzt.de: Dennoch scheinen die säkularen jungen Menschen, die die Revolution in Ägypten und Tunesien anfangs vorantrieben, zunehmend von religiösen Kräften verdrängt zu werden.
Malikah: Ich diskutiere ständig mit meinen Kollegen darüber. Wir sind Denker und kennen unsere Geschichte – die HipHop-Szene gehört deshalb zu den informiertesten Teilen jeder arabischen Gesellschaft. Dieses Wissen verpflichtet: In Amerika mag es ein überholtes Klischee sein, aber wir liefern tatsächlich politische Bildung von unten.
Text: jonathan-fischer - Foto: Tanya Traboulsi, tanyatraboulsi.com