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Her mit der schlechten Laune!

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Auf der Weltkarte des Internets sind Facebook, Twitter und Instagram das Teletubby-Land. Mit Likes und Sternchen und Herzen. Alle sind beautiful und awesome und haben sich unglaublich lieb. Es ist wie eine Party, bei der alle auf MDMA sind. Wenn man selbst auch high ist, kein Problem. Aber was, wenn nicht? Wenn man keine Lust hat, von dieser gnadenlos gut gelaunten Feiergemeinschaft aufgefordert zu werden, alles zu teilen und mitzuteilen, was man gerade macht und wie es einem geht?

Im sozialen Netz herrscht ein Gute-Laune-Diktat. Aber seit kurzem lehnen sich ein paar Apps und Webseiten gegen dieses Diktat auf. „Hate With Friends“ zum Beispiel. Die Website, die im Dezember online ging, listet unsere Facebook-Kontakte auf und lässt uns mit „hate her“ oder „hate him“ auswählen, wen aus der Freundesliste wir eigentlich gar nicht mögen. Erst wenn zwei sich gegenseitig als verhasst markiert haben, zeigt die App das beiden an. Und dann passiert: nichts. Außer dass sich die Listen „Who I hate“ und „Who hates me too“ füllen. Würden wir denjenigen konsequenterweise aus unserer Freundesliste löschen wollen, müssten wir das manuell machen.

Seit Dezember haben mehr als 75.000 Menschen die Website ausprobiert. Gegründet hat sie der 30-jährige New Yorker Chris Baker, der freiberuflich in der Werbung arbeitet. Gemeinsam mit Entwickler Mike Lacher und dem BuzzFeed-Mitarbeiter Tiger Wang, beide 28. Pioniere sind sie nicht. Webseiten und Apps, die wie „Hate With Friends“ die Freundschafts- und Like-Kultur auf Facebook und anderen sozialen Netzwerken persiflieren, gab es immer wieder. Aktuell wachsen sie aber zu einer Bewegung heran: das Browser-Plugin „Unfriend Notify for Facebook“ zeigt etwa an, ob man kürzlich von einem Facebook-Kontakt entfreundet wurde – weil Facebook nur darüber informiert, wenn sich jemand mit einem befreunden will.

"Nicht mit einem Klick signalisieren zu können, dass man etwas blöd findet, ist schlicht unnatürlich."

Oder „Lonerbook“: ein Standbild einer rot statt blau eingefärbten Facebook-Startseite. „Lonerbook“ stellt sich als anti-soziales Programm vor, das einen davor bewahrt, andere Leute zu treffen. „Endlich. Eine Website für Leute wie uns“, steht dort, direkt unter den Fotos fünf berühmter Einzelgänger, darunter der US-amerikanische Komiker Larry David. Der hat nervigen Smalltalk mit zufälligen Begegnungen einmal als lästiges „Stop and Chat“ bezeichnet. Es blieb allerdings bei dem Standbild, ausprobieren konnte man „Lonerbook“ nicht.

Ebenso wenig die Facebook-Erweiterungen „Snubster“, die erlauben wollte, Facebook-Freunde in Listen wie „für mich gestorben“ einzuordnen, und „Enemybook“, die ermöglichen wollte, nicht nur Freunde, sondern auch Feinde hinzuzufügen. Inklusive Begründung, warum man sie hasst: „hat mit meiner/m Ex geschlafen“ oder „ist der Freund meines Feindes“. Das alles sind Parodien, die sich im Netz wunderbar verbreiten – und liken! – lassen. Und daran erinnern, dass es unsinnig ist, die Freundschaftsanfragen von Hunderten mehr oder weniger bekannten und gemochten Menschen anzunehmen und deren Posts und Fotos ständig nur zu liken, zu favorisieren und zu herzen.

„Positive Meldungen passen besser zu uns als negative“, zitierte die Welt vor Jahren einen Facebook-Sprecher. Dass wir zu sortieren beginnen, ist nur die logische Konsequenz aus dem riesigen Kontakt-Pool, den die meisten nach den zehn Jahren, die es Facebook jetzt gibt, angesammelt haben. Längst sind wir auch mit flüchtigen Urlaubsbekanntschaften, anstrengenden Großcousins und Leuten befreundet, deren Namen wir nicht mal mehr genau einordnen können. Es ist also an der Zeit, dieses gigantische Verzeichnis sinnvoll zu durchkämmen.

Mit der App „Bang With Friends“ können wir auswählen, mit welchen unserer Facebook-Bekanntschaften wir gerne ins Bett gehen würden. Mit „Hate With Friends“, wen wir eigentlich gar nicht mehr sehen wollen – was deutlich öfter der Fall sein dürfte. Die durchschnittlich 342 Freunde, die ein Facebook-Nutzer hat, die Fotos und das Zeug, das diese jeden Tag produzieren, kann keiner gut finden. Das Problem ist nur: Dass diese 342 die Fotos und das Zeug, das wir selbst produzieren, gut finden – das wollen wir dann doch.

„Ich denke, wir werden uns langsam bewusst, wie anti-sozial wir alle sind. Wir wollen Anerkennung und Bewunderung, dabei sind wir uns gegenseitig auf diesen Seiten leid“, sagt Chris Baker, der Entwickler von „Hate With Friends“. „Wir alle sind in sozialen Verpflichtungen gefangen mit Menschen, die wir überhaupt nicht mögen.“ Diese Verpflichtungen gibt es außerhalb des Internets natürlich auch, Stichwort „Stop and Chat“.

Auch da hilft das Internet. 2013 erschien die App „Hell Is Other People“. Das Programm nutzt GPS-Daten von Foursquare und will anhand derer helfen, zufällige Begegnungen auf der Straße zu vermeiden. Chris Baker arbeitet nach „Hate With Friends“ gerade an der iOS-App „Cloak“, die auf einer Karte anzeigt, welche Foursquare-, Instagram-, Facebook- und Twitter-Freunde gerade in der Nähe sind – um ihnen dann aus dem Weg zu gehen. Ist das nun schlimm? Überhaupt nicht!

Die Illusion, das Internet sei ein sozialerer Raum als da draußen auf der Straße, in der Schule, in der Arbeit, ist verlockend. Aber sie ist nur eine Illusion. Es liegt in der Natur des Internets, Menschen und Dinge miteinander zu verbinden, digital und auch analog, und das Internet wird immer denen helfen, die Menschen kennenlernen oder treffen wollen. Aber denen, die das gerade nicht wollen, auch. Bisher musste man sich dafür ganz von Facebook, Twitter und Instagram fernhalten. Was aber, wenn wir das nicht wollen? Wenn wir das gar nicht müssen? Wir können, wir wollen ja differenzieren, nicht nur alles gut finden. Das sieht man auf YouTube: Dort gibt es zwei Daumen. Nicht nur den, der nach oben zeigt, sondern auch einen, der nach unten zeigt. Nicht mit einem Klick signalisieren zu können, dass man etwas blöd findet, ist schlicht unnatürlich. Uns macht eben nicht nur das aus, was wir mögen aus, sondern auch das, was wir ablehnen. Fußballvereine. Schauspieler. Katzen – deren Fotos sich auf Facebook und Twitter mit der Browser-Erweiterung „Rather“ übrigens ganz leicht ausblenden und durch andere Fotos ersetzen lassen. Manchmal will man nichts gut finden, herzen, favorisieren, sondern ein Vollbad in der eigenen schlechten Laune nehmen. Diese Tage gibt es. Deshalb sollte es sie auch im Internet geben dürfen.

Text: kathrin-hollmer - Illustration: Katharina Bitzl

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