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Hauptsache es kickt mal wieder

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Wer das junge Deutschland sehen will, muss vorbei an fliegenden Pfeilen. Dem schwarzen, dem roten, dem goldenen. Das Intro-Filmchen zur Webseite lässt keine Frage zu, welches Land hier kickt. Satzfetzen flackern auf. „Ein Land voller“ . . . „Reichtum“ . . . „Bildung“ . . . „Sportlichkeit“. Dramatische Pause. „Das still steht.“ Das ist für Micha die deutsche Realität: der Stillstand. Er träumt von Menschen, die ehrgeizig sind, aber fair. Die versuchen, aus ihren Chancen etwas zu machen. Micha träumt von einem Land, das funktioniert wie eine gute Fußballmannschaft. Dafür hat er zur WM eine Initiative gegründet und ihr einen fordernden Namen gegeben: „Deutschland muss kicken“.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Marc-Michael Bergfeld – so heißt er mit vollem Namen – erzählt, wieso er aktiv wurde. Er sagt das, was er auf seiner Internetseite einem Satz zusammengefasst hat: „Wir sind ganz normale Jungs, denen etwas am Herzen liegt und die aus ‚man müsste, könnte und sollte' ein konkretes Projekt gemacht haben. Punkt.“ Mit seinen Mitstreitern von „Deutschland muss kicken“ veranstaltet Micha in seiner Freizeit Partys und Stammtische, verkauft T-Shirts und Jacken. Auf ihrer Webseite präsentiert die Initiative junge Unternehmer und ihre Ideen. In Deutschland, in Peking, Buenos Aires und New York machen über 50 freiwillige Botschafter Werbung. Alles für ein Ziel: Motivation und Unternehmergeist zurück nach Deutschland zu bringen. Du bist voller Ideen Mit diesem Plan ist Micha nicht alleine. Es gibt jede Menge professioneller Konkurrenz, die dem Land ebenfalls Mut machen will: Es gibt „Du bist Deutschland“. Micha mag die Initiative nicht so recht, weil es eine Kampagne von oben ist. Es gibt „Land der Ideen“ vom Bundesverband der Deutschen Industrie. Micha hat den Machern eine Zusammenarbeit angeboten. Sie lehnten ab – in einem Standardbrief. Und es gibt – direkt um die Ecke in München - die Kampagne „Deutschland Kickt“. „Noch nie gehört“, meint Georg Blenk irritiert. „Wie heißen die?“ Er tippt auf seinem Laptop, googelt die Konkurrenz. Georg ist der Initiator von „Deutschland Kickt“. Seine Brille hat breite schwarze Bügel. An seinem Kinn sprießen Bartstoppeln. Zum Anzug trägt er Sneaker. Georg ist 35 und hat sein Büro in einer Münchner Werbeagentur. Er redet von seiner Marke: „Wir brauchten etwas Simples, das polarisiert“, erzählt er. Weil die Stimmung im Land doch so schlecht ist, ersonn er mit seinem Geschäftspartner „Deutschland Kickt“. Sie haben eine Webseite gestartet und das Logo auf Kappen und T-Shirts gedruckt. Sie entwickelten Marketingkonzepte für Städte und Unternehmen. Denn das soll „Deutschland Kickt“ vor allem sein: Eine Möglichkeit, mit der Weltmeisterschaft Werbung zu machen, ohne Ärger mit der Fifa zu bekommen. Michas Projekt „Deutschland muss kicken“ versteht sich dagegen als Netzwerk junger Menschen, die selbst etwas auf die Beine stellen. Jakob Greiner hat der Initiative ein Lied geschenkt. Er ist 24 und wenn er nicht Jura studiert, macht er deutschen Hiphop. „Ich bin genau das Gegenteil von dem, was gerade angesagt ist“, meint er über sich selbst. Er lächelt freundlich, macht keine Gangster-Posen, nicht einmal seine Jeans hängt besonders tief. Sein Song beginnt mit ein paar Takten Nationalhymne in Moll. Ein Klavier setzt ein, dann der Beat, Jakob rappt: „Wir müssen mehr an uns glauben. Denn Deutschland muss kicken.“ Im Hintergrund jubeln Fans, ein Fußballkommentator schreit: „Wir sind Weltmeister“. Jakob rappt weiter: „Junges Deutschland steh auf und gib uns alles was Du hast ... es gibt so viel anzupacken und nichts zu verlieren ... dann geschieht vielleicht wieder ein neues Wunder von Bern, 2006 der Sieg ist unser Begehren.“ Micha redet gerne vom Wunder von Bern. „Der WM-Sieg 1954 hat damals eine neue Identität geschaffen und das Verständnis von Deutschland geformt“, erklärt Micha. Was er nicht sagt: Als Fritz Walter den Pokal in die Höhe streckte, sangen die deutschen Fans auf der Tribüne „Deutschland, Deutschland über alles“. Deswegen kann das auch schnell heikel werden, wenn man wie die Initiative T-Shirts mit einem schwarz-rot-goldenen Logo und dem dicken Schriftzug „Mut“ bedruckt, oder ein Lied schreibt, das die Nationalhymne verwurstet und sagt „Junges Deutschland, steh auf“. Als Nationalisten wollen die Macher von „Deutschland muss kicken“ aber auf keinen Fall verstanden werden. Jakob erzählt, dass er jedes mal sauer wird, wenn der Rapper Fler von der neuen deutschen Welle singt. Und Micha sagt: „Es geht uns nicht um einen falsch verstandenen Nationalstolz, sondern um eine junge Identität.“ Vor allem am Anfang haben sie viele E-Mails bekommen mit Vorwürfen, sie wären Nationalisten. Micha hat auf jede einzelne Mail geantwortet. Er hat erklärt, warum sie das machen. Er hat von der Lethargie erzählt, die er gespürt hat, von seinem Traum vom Land wie ein Team und was er eigentlich sagen will, wenn er T-Shirts mit einem schwarz-rot-goldenen Logo drucken lässt, auf denen ganz dick „Wir“ oder „Mut“ steht. In seinem Agentur-Büro in München holt Georg Blenk eine Maxi-CD aus dem Schrank. Auch „Deutschland Kickt“ hat eine Hymne. Wegen des CD-Covers hat auch er schon Nationalismus-Vorwürfe bekommen – natürlich unbegründet, wie Georg meint. Vielleicht liegt das ja an den verwendeten Farben: schwarz, rot, gold. Vielleicht aber auch am Namen der Band: Die Springer. Da denkt man leicht an Stiefel. Georg freut sich über das freche Lied, das es schon in Discotheken und bald auch in Lokalradios gespielt wird. Denn die Springer seien so etwas wie die nächsten Sportfreunde Stiller – findet Georg. Den Text hat er selbst geschrieben: „Deutschland kickt. Alles klar. Wir sind fit und wieder da.“ Die Melodie dazu erinnert irgendwie an Wolfgang Petrys gefürchtete Partygranate „Weiß der Geier“. Die CD wird im „Deutschland Kickt“-Online-Shop verkauft. Einen Klick weiter gibt es Kondome mit der Packungsaufschrift „Freistoss“. Noch einen Klick weiter kommen die Baseballmützen mit dem schwarzrotgoldenen „Deutschland Kickt“-Logo. Kein Kicken zur WM Im Cafe holt Micha sein Handy heraus und wählt die Nummer des prominentesten Mitglieds von „Deutschland muss Kicken“: Henning Wehland, der Sänger der Band H-Blockx. Micha kennt ihn noch aus seiner Snowboarder-Zeit. Mitte der 90er standen die H-Blockx noch ganz vorne in den Charts und Henning hüpfte über Deutschlands größte Festivalbühnen. Ein bisschen war das damals auch immer ein kleines „Deutschland muss kicken“. Weil ein paar deutsche Jungs der Welt zeigten, dass sie genauso frechen und lauten englischsprachigen Crossover und bizarre Videos machen konnten, wie jede Band aus den USA. Aktuell kann man Henning als Teil des „Music Team Germany“ mit einem WM-Song hören. Henning arbeitet zur Zeit vor allem als Produzent. Als er Jakobs Lied hörte, war er total begeistert, hat ihn angerufen und will für ihn im kommenden Jahr eine Plattenfirma suchen. „Ich finde die Networking-Idee hinter der Initiative total gut“, spricht Henning Wehland aus dem Handy. Micha wünscht sich von der Fußball-WM vor allem eines: Die Menschen sollen „den Elan aus dem Stadion mit an den Arbeitsplatz und in den Alltag nehmen“. Mit seiner Initiative möchte er sich während der WM zurückhalten. Dann wird auch so schon mehr als genug um den Fußball herum geredet. Die nächsten beiden „Deutschland muss kicken“-Partys finden deshalb auch garantiert weit weg von jedem WM-Stadion statt. Eine in London. Die andere in Sao Paulo. Mehr unter deutschlandmusskicken.de und deutschland-kickt.de

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