Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Hass durch Zufall

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

In dem Buch „Soziale Arbeit mit rechten Jugendcliquen“ befasst sich Stefan Borrmann, 31, mit rechter Jugendkultur. Hier erklärt er, was sie von organisierten Neonazis unterscheidet.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Herr Borrmann, Sie haben eine Studie zum Umgang mit rechten Jugendcliquen erarbeitet. Zunächst mal: Was sind überhaupt „rechte Jugendcliquen“? Cliquen, die in der Regel schon bestanden haben, bevor sie den Weg nach rechts gegangen sind. Sie unterscheiden sich von Jugendgruppen rechtsradikaler Parteien und von Kameradschaften, auch wenn es zu Letzteren fließende Übergänge gibt. Also sind es keine Rechtsextreme? Die Jugendlichen haben nicht durch ihre rechtsextreme Gesinnung zusammengefunden, das ist der Unterschied. Rechte Jugendcliquen nehmen aber durchaus Anleihen an der rechten Kultur. Welche sind das? Modische Kleidung zum Beispiel, Lonsdale ist da genauso beliebt wie Thor Steinar. Rechte Musik, nicht immer mit illegalen Texten. Rechte Codes wie „18“ oder „88“, die für Buchstaben im Alphabet stehen und als „Adolf Hitler“ und „Heil Hitler“ verstanden werden. Das sind Äußerlichkeiten. Was macht sie noch zu „rechten Jugendcliquen“? Sie neigen zu Gewalt, sie haben informelle Hierarchien, also keinen echten Anführer, aber Mitglieder, die höheres Ansehen genießen. Und die Geschlechterrollen sind klar definiert. Das bedeutet? Kameradschaft geht über alles, keine Schwäche zeigen, Schmerzen ertragen. Der Anteil der Mädchen steigt, liegt aber bei den Straftaten mit entsprechendem Hintergrund unter zehn Prozent. Warum sind es fast nur Jungs? Dass Gewalt und Alkohol eine große Rolle spielen, ist typisch männlich. Zudem haben ihre rechten Wert- und Normvorstellungen eine inhaltliche Nähe zu einem ausgeprägten Männlichkeitsbild. Rechte Werte- und Normvorstellungen heißt: Es sind doch Rechtsextreme! Wir haben es hier nicht mit einem geschlossenen rechten Weltbild zu tun. Die Fremdenfeindlichkeit wird kulturell und nicht biologisch begründet, wir finden also eher ein „Deutschland den Deutschen“ und „Türkei den Türken“ als eine genrelle Abwertung anderer Kulturen. Der Nationalsozialismus wird nicht zwangsläufig verherrlicht. Es gibt zwar Sprüche wie „Aber für das deutsche Volk hat Hitler schon viel getan“ oder über die Autobahnen, aber die Vernichtungspolitik wird durchaus kritisch gesehen. Was bringt die Cliquen dann nach rechts? Das ist kein bewusster Prozess nach dem Motto: „Wir werden jetzt rechts.“ Wir reden von einem Alter zwischen 13 und 15 Jahren. Da entwickeln sich politische Werte- und Normvorstellungen, egal in welche Richtung, oft zufällig. Zum Beispiel bringt jemand, der in der Clique Ansehen genießt, eine CD mit rechter Musik mit. Das ist harte Musik, die gefällt dann, auch mit den rechten Texten. Und dann ist die Clique schon rechts? Ist diese Tendenz erst mal da, wird es leicht zum Selbstläufer. Die Jugendlichen versuchen, sich zu überbieten, weil damit ein Statusgewinn verbunden ist. Einer bringt noch härtere Musik mit, dann illegale Musik. Irgendwann hat jemand Aufkleber dabei, dann sprühen sie rechte Parolen, das Keltenkreuz, später das Hakenkreuz. Dieser Prozess, in dem eine Gruppe immer tiefer in diese rechten kulturellen Zusammenhänge reinrutscht, kann Monate oder Jahre dauern. Jemandem, der verprügelt wird, ist egal, ob er Opfer einer rechten Clique oder organisierter Rechtsextremer ist. Stimmt. Aber für die Arbeit mit solchen Jugendlichen macht es einen Unterschied. Bei rechten Cliquen ist die Chance für erfolgreiche soziale Arbeit immer da – mit der Gruppe oder Einzelnen. Wie denn? Viele Studien zeigen, dass diesen Jugendlichen Anerkennung fehlt, die sie sich dann über andere Zusammenhänge zu holen versuchen. Wenn es gelänge, ihnen Anerkennung zu bieten, könnte man dieses Bedürfnis ein Stück weit befriedigen. Gibt es dafür erfolgreiche Beispiele? Eine Berufsschule in Brandenburg hat rechte Cliquen mit klassischer Bildungsarbeit nicht mehr erreicht. Daher wurde mit einem Element des Rechtsextremismus gearbeitet: dem Denken in Hierarchien. Das erleben die Jugendlichen als Lehrlinge in ihren Betrieben. Also wurde darüber gesprochen, wie es sich anfühlt, keinen Einfluss zu haben, Entscheidungen ausgeliefert zu sein, unten zu stehen in der Hierarchie. Erst am Schluss machte man sie darauf aufmerksam, dass sie jemandem genau dieses Gefühl vermitteln, wenn sie ihn als minderwertig betrachten. Schulen in Brandenburg haben mit der Einbeziehung von Eltern, Lehrerfortbildungen und Schülerprojekten erreicht, dass die Schulgewalt zurückging. Die Beispiele kommen aus den neuen Bundesländern. Ist das ein Zufall? Rechte Cliquen treten verstärkt in ländlichen Gegenden auf, wo die Auswahl an Subkulturen nicht so groß ist wie in einer Stadt. Die Großstadtränder fallen schon in den ländlichen Raum, weil das Umland näher ist als die Innenstadt. Eine Häufung rechter Cliquen und des organisierten Rechtsextremismus gibt es zum Beispiel in ländlichen Regionen Westdeutschlands, etwa in Franken. Es hat aber in Ostdeutschland quantitativ und qualitativ andere Dimensionen. Welches Vorgehen halten Sie für vielversprechend, um rechte Jugendcliquen in die Gesellschaft zurück zu holen? Das Wichtigste ist kontinuierliche Arbeit, die nicht sprunghaft vorangetrieben wird, weil ein Fall mal große Öffentlichkeit bekommt, dann aber wieder einschläft, wenn auch das Interesse der Medien sich legt. Wichtig wäre eine regionale Vernetzung der Projekte in einer Koordinierungsstelle, die Kompetenzen bis hin zur Mittelvergabe hat. Dort müssten Projekterfolge gesammelt werden, unprofessionellen Projekten das Geld gestrichen und professionellen zugewiesen werden. Das ist sicher auch billiger als die Folgekosten, die entstehen, wenn man sich um diese Jugendlichen nicht kümmert.

  • teilen
  • schließen