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Handy-Ortung unter Kastanien

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A - Absetzen
Wer sein Bierglas nach dem Prosten und vor dem Trinken nicht absetzt, macht sich damit angeblich eines Biergarten-Vergehens schuldig. Warum genau, darüber gehen die urbanen Mythen allerdings weit auseinander. Die einen führen das Absetzten auf einen geheimen Code zurück, mit dem die Tischbesatzung ausdrückt, dass sie unter sich ist. Andere behaupten Hefe oder sonstige Bierpartikel würden damit an den richtigen Platz gelangen oder die Hand müsse zum Prosten und Trinken in unterschiedlichen Griffen um den Glashenkel gelagert sein.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



B - Bier
Die Existenzgrundlage des Biergartens. Wird von äußerst wortkargen Menschen ausgeschenkt, Extra-Wünsche wie „Ein Radler mit nur gaaanz wenig Limo“ sind deswegen zu vermeiden. Wer auf solche Bier-Mischungsverhältnisse besonderen Wert legt, sollte in den Hirschgarten gehen. Da kann man die Limo selbst zapfen und damit zum Schank-Grantler gehen.
 
C - Concordia-Biergarten
Steht hier stellvertretend für den Geheimtipp-Biergarten, den jeder Münchner von seinem Patenonkel eingeflüstert bekommt und in dem sich auch an Überlastungssamstagen noch ein gutes Plätzchen findet.
 
D - Dazusetzen
Wenn zu Stoßzeiten halb München in die Biergärten strömt, bleibt einem nichts anderes übrig, als durch die Reihen zu gehen und jede kleine Lücke per freundlicher Nachfrage darauf zu überprüfen, ob noch „was frei“ ist. Bewährte Taktik: Nach zwei Plätzen fragen, die restlichen Freunde treffen einen dann „zufällig“ etwas später. Im Biergarten am Wiener Platz gibt es aber eine nette Alternative: Man kann sein Bier einfach auf die Wiese hinter dem Biergarten mitnehmen – da ist immer Platz.
 
E - Entsalzen
Automatische Handbewegung von routinierten Biergartenbesuchern – ohne auf die Breze zu blicken, wird diese entsalzt. Wichtig: Natürlich kommt nicht das ganze Salz runter, sondern es werden nur die Ballungszentren ein wenig entzerrt, sonst korrodieren irgendwann die Innereien.
 
F - Fußball
Seit 2006 erfahren Biergärten bei jedem Fußball-Großereignis eine Zweckentfremdung und werden zur Fan-Kurve umfunktioniert. Das Dazusetzen wird dann noch schwerer, weil die Aussicht auf das Spielgeschehen einkalkuliert werden muss. Deswegen am besten Biergärten mit mehreren Leinwänden wählen – wie zum Beispiel den des Augustiner Kellers in der Arnulfstraße.
 
G - Garnitur
Die Original-Biergartengarnitur kann man auch in Baumärkten in Neumünster oder in Übersee kaufen, wo sie dann nicht selten von Hipstern als typische deutsch-schlichte Designidee wahrgenommen wird. Eine Biergartengarnitur offenbart eine enorme Flexibilität, was die Zahl ihrer Sitzplätze angeht. In Wiesnzelten etwa gelten 16 Menschen an einem Tisch noch als durchaus gemütlich, wobei man sich im Gegenzug zu dritt an einem Dienstagmorgen im Taxisgarten auch nicht verloren vorkommt. Geniales Raumkonzept!
   
H - Handy-Ortung am Eingang
Die großen Münchner Biergärten haben eine Einlaufzone, die es locker mit einer Messehalle aufnehmen kann, was die Handystrahlung angeht. Jüngeren stellt sich heute die Frage, wie man sich eigentlich vor dem Mobilfunkzeitalter mit seinen Freunden im vollbesetzten Augustinerbiergarten finden konnte? Schon heute dauert es ja manchmal bis zu einer halben Stunde, bis der Suchanruf bei den Zielpersonen ans Ohr dringt oder die gebrüllten Kommandos richtig gedeutet werden. Der vielfach in diesen Situationen geäußerte Satz „Warte, ich steh mal auf!“ führt leider auch nur bei kleinen Biergärten zum Ziel. In den Großanlagen stehen immer mindestens zehn Personen gleichzeitig und winken mit dem Handy am Ohr vage Richtung Einlaufzone.
 
I - Insekten
Das Hauptargument gegen Radler und Russ – man möchte schließlich hysterisches Umherschlagen vermeiden und auch nicht alle fünf Minuten ein Rudel Wespen aus seinem Krug fischen.
 
J - Japaner
Werden in München ja überall vermutet, aber laut Fernsehwerbung tummeln sie sich mit Wörterbuch eben vor allem im Biergarten und wissen dort nicht, wie man ein Bier bestellt. Dabei bestellt man in einem richtigen Biergarten ja gar nichts sondern nimmt sich einfach vom Ausschank was man braucht – also eigentlich optimal für Touristen.
 
K - Kastanie
Botanische Grundausstattung des Biergartens. Eigentlich wäre es zwar ganz nett, auch mal unter einem kalifornischen Redwood-Baum zu sitzen. Aber nein, Kastanien müssen sein. Der Münchner ist traditionsbewusst, und weil die Brauer, die im 16. Jahrhundert einen Weg suchten, ihr Bier im Sommer kühl zu halten, nur die Kastanie als Schattenspender zur Hand hatten, muss sie auch heute noch in jedem Biergarten stehen.

L - Lärm
Wer am ersten schönen Juniabend zum Beispiel gegen 19 Uhr im Biergarten am Wiener Platz ankommt, wird sie als erstes wahrnehmen: diese ganz spezielle Lärmglocke, die entsteht, wenn 3000 Menschen versuchen, sich über die Köpfe ihrer Nachbarn hinweg zu unterhalten und dabei noch die Maßkrüge aneinander zu donnern.
 
Auf der nächsten Seite liest du, wovor Neumünchner Respekt haben, wo in München die Party-Biergärten sind und was es mit dem Zwang zur Maß auf sich hat...


 

M - Mitbringen
Das Mitbringen von eigenem Essen ist eigentlich das menschelnde Element der Biergarten-Kultur. Alle finden es toll, aber die wenigsten machen es dann auch wirklich. Das ist aber nicht so schlimm, schließlich ist jenes bunte Tupperware-Stilleben auf dem Tisch, das unweigerlich mit dem Mitnehmen verbunden ist, lange nicht so ein idyllischer Anblick wie eine schlichte Breze.
 
N - Norgerl
Fast bei jedem Biergarten-Besuch kommt irgendwann die Situation, in der jemand eine neue Maß braucht und sich erbietet, anderen eine neue mitzubringen. Der Gefragte lehnt dann manchmal mit Deuten auf einen Bierrest im Glas ab: „Danke, ich hab' noch.“ Darauf folgt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Hinweis, das sei ja eh nur noch ein Norgerl, das könne man gleich stehen lassen. Eigentlich geht es dem Bierholer dabei nur darum, den Bierkonsum am Tisch – und damit die Stimmung – nicht abreißen zu lassen.

O - Obazda
Für alle Neumünchner ein respekteinflößende Pförtner zu Beginn der Essens-Theke: Die Teller mit paprikaroter Halbkugel feat. drei Zwiebelringen und zwei Salzstangerln haben durchaus surreale Qualität. Für den geübten Biergartenbesucher aber ist der duftende Gatsch genau das Maß an Molekularküche, auf das sich jeder einlassen sollte.
 
P - Party-Biergärten
Eines haben alle Biergärten gemeinsam: Sie schließen früh und sind in etwa so urban und cool wie die Dekoration in einer Fernsehsendung von Florian Silbereisen. Aber es gibt auch Biergärten für das Feier-Volk: Im Muffatwerk und im Backstage trifft man keine Familien mit Brotzeit-Deckchen, sondern den Typ mit den Rasta-Locken, der zwischen dem Gentleman-Konzert und der Drum'n'Bass-Party auch ein bisschen Biergarten-Gefühl will.
 
Q - Qualität
Obwohl München seit Jahrhunderten an der Systemgastronomie arbeitet, sind keine nennenswerten Fortschritte zu vermelden. Kartoffelsalat bisweilen direkt aus dem Eimer geschöpft, Bratwurst seit vier Stunden auf der Warmhalteplatte – dazwischen erstreckt sich meistens das Potenzial der Biergartenspeisen. Aber das ist eigentlich auch wieder verständlich, denn die ganze Aufmerksamkeit gilt dem Bier und das ist ja meistens wirklich gelungen.

R - Radi
Bei Münchnern sehr beliebtes Biergarten-Rübengewächs. Dabei ist so ein Radi eigentlich eine recht eindimensionale Sache: Man kann ihn in Scheiben schneiden oder ringeln, salzen und dann mit den Fingern essen. Das war's aber auch. Schmorgerichte, aufs Brot, Sättigungbeilage? Alles mit dem Radi nicht möglich. Und dann sind noch zwei von fünf Radis so holzig, dass man einen Schreiner bräuchte um sie schmackhaft zu machen. Ja mei.
 
S - Steckerlfisch
Geruchsintensive, aber köstlich gegrillte Makrele. Wichtiges Kriterium bei der Auswahl des Sitzplatzes im Biergarten ist die Nähe zum Steckerlfisch-Stand: Je weiter weg vom fischigen Grillgeruch, desto besser. Wahrscheinlich ist die Geruchsbelastung auch der Grund, warum in vielen Biergärten die Fischgrillerei nicht bei den übrigen Essensangeboten untergebracht ist, sondern abseits an einem eigenen Stand.
 
T - Turm, Chinesischer
Für die Studenten der LMU-Institute am Englischen Garten ist der Chinesische Turm Segen und Qual zu gleich. Im Sommer tönt aus dem Biergarten die Blasmusik direkt durch die Fenster der Bibliothek und lässt die Aristoteles-Lektüre noch langwieriger erscheinen als sie es ohnehin schon ist. Andererseits gibt es wohl kaum einen angenehmeren Ort für das Referatstreffen.

U - Umland
Der Münchner ist am Wochenende Umland-Ausflügler, und die Kenntnis kleiner Umland-Biergärten deshalb wichtiges soziales Kapital. Es gibt bei jeder Isar-Radltour Bonuspunkte für denjenigen, der die keuchende Gruppe auf den Flohmarkt-Fahrrädern in den passenden Biergarten führen kann. Also merken: Die Waldwirtschaft in Großhesselohe und den Biergarten des Bruckenfischers bei Schäftlarn.
 
V -Viktualienmarkt
Der Biergarten liegt im Bauchnabel der Stadt und ist deswegen von Stadtführungen umlagert und von mutigen Touristen bestürmt. Leider ist hier abends schon sehr früh Zapfhahnstreich, davor aber bietet der Viktualienmarkt-Biergarten eine bemerkenswerte Eigenheit: Er ist der einzige Münchner Biergarten, der abwechselnd Biere aller sechs Münchner Brauereien ausschenkt.
 
W - Winterpause
Die fade Zeit zwischen der letzten und der ersten Outdoor-Mass. Um sie möglichst kurz zu halten gehen gerade an den letzten warmen Oktobertagen und dann wieder ab März die Münchner besonders demonstrativ in die Biergärten.
 
Z - Zwang zur Maß
„Ab 16 Uhr Bier nur als Maß!“ So steht es auf vielen Ausschank-Häuschen und wer sich darüber noch aufregt, hat diese Stadt wohl noch nie richtig geliebt.



Text: christian-helten - und max-scharnigg; Foto: dpa

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