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SilberSimon betet mit hochgeschlagenem Jackenkragen inmitten der Steingewölbe von St. Paul, einer katholischen Kirche in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofs. Draußen ist Sommer. In der Kirche ist es kalt. Etwa 50 ebenfalls in Jacken eingepackte Menschen umringen ihn. Sie singen, während Orgelklänge ertönen und Weihraucharoma durch die Holzbankreihen zieht. Auf den ersten Blick ist es ein Gottesdienst wie alle anderen. Wären da nicht die Regenbogenflagge am Altar und die Pärchen-Konstellationen auf den Holzbänken: Mann neben Mann, Frau neben Frau. Es ist der zweite Sonntag im Monat, St. Paul veranstaltet eine Messe für Schwule und Lesben.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Die katholische Kirche geht mit der Zeit und steht sich dabei selbst im Weg. Selten lässt sich das so klar erkennen wie an ihrer Haltung gegenüber Homosexuellen. Die offizielle Lehre ist bei diesem Thema eindeutig. Der oberste Grundsatz des Katechismus, einer Art Handbuch für Katholiken, lautet: Jeder Mensch wird von Gott geliebt. Homosexuelle Menschen folglich auch. Das Ausleben ihrer Neigung stuft die Doktrin allerdings als widernatürlich ein, weil beim Geschlechtsakt kein Leben entstehen kann. Homosexuelle Handlungen seien „objektiv ungeordnet“. Übersetzt: Sünde. Manche Katholiken halten diese Sexualmoral für überholt. Für andere gehört sie zum Fundament ihres Glaubens. Innerhalb der Kirche kämpft Liberal gegen Konservativ, Basis gegen Hierarchie und Inoffiziell gegen Offiziell. In der Praxis führen diese Konflikte zu Kompromissen, Parallelwelten und Doppelleben.

Simon ist 32, Doktorand der Physik, gläubiger Katholik und schwul. Mit 17 Jahren erkrankte er an einer Herzmuskelentzündung. Ein Spenderherz rettete ihm das Leben. Diese frühe Konfrontation mit dem Tod hat seinen Glauben gefestigt. „So eine Erfahrung verändert deinen Blick aufs Leben. Ich habe Menschen gesehen, die in dieser Situation gestorben sind. Ich habe überlebt und danke Gott dafür.“ Sein Coming-out hatte Simon mit 23. Danach fühlte er sich in der katholischen Kirche nicht mehr hundertprozentig wohl. Es missfiel ihm, dass die offizielle Lehre das Ausleben seiner Sexualität als Verfehlung einstuft. Er begab sich auf die Suche, beschäftigte sich mit Buddhismus und Hinduismus. Aber letztendlich blieben ihm diese Religionen fremd und er kam zu dem Schluss: „Ich bin getauft. Ich bin Christ. Selbst wenn ich aus der Kirche austreten würde, bliebe ich doch Christ.“

Vor sechs Jahren stieß er über einen Bekannten auf den Münchner Queer-Gottesdienst. Seitdem findet er in der Kirche wieder eine Heimat. „Ich finde toll, dass in diesem Kreis generationsübergreifende Freundschaften entstehen. Die älteren Männer, die mich sonst ansprechen, sind nur auf Sex aus.“ Er empfindet es als Bereicherung, mit religiös und sexuell Gleichgesinnten über das Leben zu philosophieren. In dieser Form kann ihm das keine andere Institution bieten.

In St. Paul erhebt sich Pfarrer Thomas Kammerer und predigt: „Meine lieben Brüder und Schwestern, Früchte gibt es nur, wenn wir uns die Mühe machen zu säen.“ Er unterbricht kurz und schiebt sich eine Erdbeere in den Mund. Gelächter hallt durch die Gewölbe. Simon lächelt. Der Pfarrer redet weiter: „Wir müssen darauf vertrauen, dass aus unserer Saat Früchte entstehen. Aber wir müssen auch damit leben, dass unsere Mühe manchmal umsonst ist.“

Im Gottesdienst spricht Pfarrer Kammerer in Metaphern. Auf seiner Webseite positioniert er sich klar gegen die offizielle Lehre. Allerdings nicht, ohne im Disclaimer mit fetten Lettern und Ausrufezeichen darauf hinzuweisen, dass es sich bei dieser Website um eine Privatinitiative und nicht um eine Seite der katholischen Kirche handelt. Zu weit weg von der offiziellen Lehre ist, was Kammerer schreibt: „Alle negativen Aussagen der Bibel über homosexuelle Handlungen beziehen sich nicht auf die Liebe und Partnerschaft.“ Mit diesen Passagen seien bestimmte Praktiken der Heiden und nicht die Veranlagung zur gleichgeschlechtlichen Liebe gemeint. Weiter schreibt er: „Leider werden diese Bibelstellen von Fundamentalisten immer wieder herangezogen, um Homosexuelle zu verteufeln.“

In München agieren diese Ultrakonservativen eher verdeckt. Direkte Anfeindungen aus der Gemeinde hat auch Simon noch nicht erlebt. Ihre Präsenz offenbart sich eher in dem, was nicht passiert. Wer ins Gemeindeblatt oder den gläsernen Infokasten von St. Paul schaut, findet dort keine Ankündigung für den Queer-Gottesdienst. Auch die Glocken läuten nicht für diese spezielle Messe. Für Simon ist diese Zurückhaltung Bedingung dafür, dass es solche Veranstaltungen überhaupt geben kann. „Würden wir dafür werben, würden die konservativen Gläubigen beim Erzbistum München-Freising Stunk machen.“ Seine großen blauen Augen formen Schlitze. „Eine innerkirchliche Debatte mit den Ultrakonservativen wäre wünschenswert und notwendig, aber die sind nicht diskussionsbereit.“ Entmutigen lässt er sich davon nicht. Er kennt auch die andere Seite seiner Kirche. „An der Basis ist die katholische Kirche weitaus liberaler als Außenstehende meinen. Das Problem ist vor allem die Hierarchie. Wer aufsteigen will, muss konservativ sein.“

Auf der Suche nach einem solchen Aufsteiger stößt man schnell auf Benjamin Kalkum. Typ: moderner Vorzeigekatholik. Er ist 28 und Diakon des Erzbistums Köln. Nächstes Jahr wird er zum Priester geweiht. Auf seinem Facebook-Profil steht beim Beziehungsstatus „verheiratet“. Gemeint ist die Ehe mit Gott. Er vertritt die offizielle Lehre und betrachtet Messen für Schwule und Lesben kritisch: „Ich finde es gut, wenn die Kirche versucht, für alle da zu sein. Aber ich bin mir nicht sicher, ob man die Homosexualität so in den Mittelpunkt stellen muss.“ Veranstaltungen wie diese seien akzeptabel, wenn die offizielle Position der katholischen Kirche vertreten werde. Sprich, dass homosexuelle Akte Sünde sind. „Ich fände es aber schlecht, wenn mit solchen Gottesdiensten Politik gemacht würde. Es darf nicht sein, dass man versucht, damit Druck auf die Hierarchie auszuüben, ihre Lehre zu verändern.“

Simon hält eine Reform der Lehre für überfällig. Die konservative Argumentation auf Basis der Sexualmoral sei nicht haltbar. Besonders aufgebracht hat ihn Joseph Ratzingers Aussage, dass die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften einer „Legalisierung des Bösen“ entspräche. „Es ärgert mich, dass ein so offen homophober, ultrakonservativer Mann Papst werden konnte.“ Unter Franziskus habe sich die Situation entspannt. Simon macht das vor allem an den Worten fest, die der neue Papst vor einem Jahr auf einem Flug von Rio nach Rom sprach: „Wenn ein Mensch homosexuell ist und Gott mit gutem Willen sucht, wer bin ich, dass ich über ihn urteile?“ Franziskus hat Schwulen und Lesben damit ein sehr gutes Argument geliefert. Simon lächelt: „Jetzt können wir jedem, der uns in der Kirche nicht will, entgegnen: ‚Wer bist Du, über uns zu urteilen? Selbst der Papst maßt sich das nicht an.’“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sein Coming-out hatte Simon mit 23. Danach fühlte er sich in der katholischen Kirche nicht mehr hundertprozentig wohl.

Der Gottesdienst in St. Paul neigt sich dem Ende zu. Während einer der Messdiener am Rand des Kirchenschiffs einen der Messkelche greift und den übrig gebliebenen Wein auf ex trinkt, lädt ein Gläubiger aus der dritten Reihe zu einer Queer-Messe nach Bad Tölz ein. Er betont, dass alle kommen müssten, weil er ja schließlich daran mitwirke. Pfarrer Kammerer schmunzelt und sagt: „Na dann gibt’s ja keine Entschuldigung mehr.“ Nun muss auch Simon laut loslachen. Unter den Freunden, die Simon hier gefunden hat, sind auch einige schwule Priester. In ihrem Privatleben seien sie geoutet und gingen auch mal in Schwulenbars. Er hält es für ein offenes Geheimnis, dass Schwule in diesem Berufsstand überrepräsentiert sind. „Wenn ich schätzen müsste, würde ich sagen, es sind circa 50 Prozent.“ Der Grund hierfür liegt für Simon auf der Hand: „Für diese Generationen war das Priesteramt eine gute Lösung. Keiner fragte mehr nach Freundin und Familie, man konnte seinen Glauben ausleben und eine angesehene Position bekleiden.“

Angesprochen auf den Widerspruch zwischen Beruf und Privatleben, sagen sie ähnliche Sätze. Sie beginnen mit „Die offizielle Lesart ist . . .“ und werden mit „Ich persönlich meine . . .“ fortgesetzt. Simon bedauert, dass schwule Pfarrer ihre Homosexualität im Berufsleben verheimlichen müssen. Einen Grund, sich von der katholischen Kirche abzuwenden, sieht er darin jedoch nicht: „Wenn alle Liberalen austreten würden, wären ja nur noch die Konservativen übrig. Aber wir wollen eine bunte Kirche, bei der man sich nicht schämen muss, Mitglied zu sein.“

Nach dem Queer-Gottesdienst stellt sich ein junges Hetero-Pärchen aus Polen neben Simon. Sie zeigen auf die Regenbogenflagge und fragen: „Was war das denn hier?“ Ein Gottesdienst für Schwule und Lesben. Ihre Augen werden groß. „Ach so, ist ja irre. Aber irgendwie cool.“ Sie kichern und treten hinaus in die Sonne. Simon sieht ihnen nach. Dann dreht er sich um und plaudert noch ein bisschen mit seinen Freunden.



Text: nathalie-stueben - Illustration: Sandra Langecker; Foto: Nathalie R. Stüben

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