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Gesucht: die Einstiegsdroge

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Der FDP-Bundestagsabgeordnete Dr. Daniel Volk sitzt in einer Kneipe an einem Tisch neben der Bar. Ein Kellner mit Bart und langen Haaren bringt ein Tablett mit drei Getränken darauf: ein Stamperl Ouzo, ein kleiner Eimer Sangria und ein Glas Ramazotti. Der Politiker soll sich eines aussuchen, als Symbol dafür, welches europäische Land er retten würde. Er entscheidet sich für Griechenland und kippt den Ouzo in einem Zug runter. Die anderen Getränke teilen sich der Kellner und Daniel Volks Gegenüber.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Es muss nicht immer der Talkshow-Stuhlkreis sein. David Reinisch (rechts) will Politik am Tresen diskutieren

Dieses Gegenüber ist David Reinisch, Doktor der VWL, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni in München, 31 Jahre, schlagfertig und eloquent. Er hat den Politiker Daniel Volk in die Kneipe eingeladen, um eine Pilotfolge für ein neues politisches Fernsehformat zu drehen: „Meinungsfern.“ Es besteht aus drei Gesprächsblöcken zwischen David und dem Politiker, verschiedenen Einspielern und Einsätzen des Barmanns Sascha, der sich als Sidekick immer wieder in das Gespräch einmischt. Davids Moderationsnotizen stehen auf Bierdeckeln, zur Einführung in das Thema der Sendung (Die Verantwortung der Politiker für die Finanz- und Schuldenkrise) gibt es einen „politischen Aperitif“. Keiner der Anwesenden trägt Krawatte und Anzug. „Meinungsfern.“ will, so sagt David zu Beginn des Trailers, eine besondere Perspektive auf die Politik einnehmen: vom Tresen aus.

Seit etwa zwei Wochen wird plötzlich viel darüber geredet, wie das Fernsehen die Jugend mit politischen Inhalten erreichen und für das Geschehen in den Parlamenten und im Wahlkampf begeistern kann. Auslöser der Debatte war ein Interview des Spiegel mit Edmund Stoiber. Der ehemalige bayerische Ministerpräsident sitzt jetzt im Beirat der ProSiebenSat1 Media AG, der beim Meinungsforschungsinstitut Forsa eine Tilo Jung, 27, Blogger aus Berlin. Er hat vor zwei Wochen in seinem Youtube-Channel eine Interviewserie mit mittlerweile neun Folgen gestartet. Sie heißt „Jung und Naiv – Politik für Desinteressierte“ und könnte simpler nicht sein: Tilo befragt ausgewählte Experten – Politiker, Journalisten, Blogger – zu ihrem jeweiligen Spezialgebiet. Die Gespräche wirken zum Teil, als wäre man sich gerade zufällig begegnet, wäre ins Plaudern gekommen und irgendjemand hätte die iPhone-Kamera und ein Mikro eingeschaltet. Das Faszinierende daran ist, wie konsequent Tilo vollkommen naiv bleibt. Wenn der Hauptstadtkorrespondent des Deutschlandradios die Mechanismen von Politikerrücktritten erklärt und der Name Schavan fällt, unterbricht Tilo sofort und fragt: „Anette Schavan ist wer?“

Martin Delius zu Gast, nächste Woche kommt die CSU-Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär. Aber man merkt schon: Seine Art lockt Politiker von ihrer gewohnten Bühne und zwingt sie in einen Bereich, in dem ihr herkömmlicher Talkshow-Sprech nicht mehr so gut funktioniert.

Das müsste auch Edmund Stoiber gefallen. In seinem Spiegel-Interview sagte er, der Großmeister der verschwurbelten Sätze, dass viele Nichtwähler die Sprache bemängeln, mit der Politiker ihre Inhalte vermitteln. "Sie sagen, sie verstehen uns schlicht nicht." Bitteschön, Herr Stoiber. Tilo Jung versteht jeder. Und die Sache mit dem Ouzo auch.

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