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Geht zur Schule! Lernt endlich Deutsch!
Drei Jahre lang verbreitete sich seine Musik ausschließlich über das Internet. Nun reißen sich die Majorlabels um den deutsch-türkischen Popstar Murat Ersin alias Muhabbet (zu deutsch „intelligente Konversation“). Sein Debütalbum „R’nBesk“ mischt türkischen ArabeskGesang, Rhythm’n’Blues und deutsche Texte – und trifft damit offensichtlich das Lebensgefühl einer jungen Generation von Immigranten. Muhabbet, nervt es dich, plötzlich im Namen der Deutsch-Türken zu sprechen? Ich sehe das eher als Möglichkeit, was für die Quote zu tun. Oft werden wir Immigranten-Jugendliche alle über einen Kamm geschoren. Deshalb möchte ich etwas Positives erzählen. Und ich tue das mit Absicht auf deutsch – das ist meine Sprache, und alle verstehen mich, egal ob Araber, Türken, Kroaten, Sinti . . .
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Hast du keine Angst vor einer Rolle als vermeintlicher „Vorzeige-Jugendlicher mit Migrationshintergrund“? Als ob bei mir alles aalglatt gelaufen wäre! Ich komme ja selber aus Köln-Bocklemünd, aus einem sozialen Brennpunktviertel. Da wohnen überwiegend Arbeitslose, die Polizei darf dich jederzeit filzen. Aber was heißt das schon? Mir ist es wichtig, eine Normalität zu demonstrieren: Dass nicht jeder Ausländer ein Integrationsproblem bedeutet – und umgekehrt ein integrierter Ausländer noch lange kein Musterschüler ist. Dein Song „Sie liegt in meinen Armen“ wurde im Internet über eine Million mal runtergeladen und hat es als erste Arabesk-Schnulze in die deutschen Charts geschafft. Wie stellst du dir dein Publikum vor? Mich hören nicht nur türkische, sondern eben auch arabische, kroatische, rumänische Jugendliche – vielleicht, weil meine Songs ihre eigene Zerrissenheit spiegeln. In „Sie liegt in meinen Armen“ erzähle ich die Geschichte einer Freundin, die in meinen Armen stirbt. Das ist natürlich nur eine Metapher. Arabesk und R’n’B haben viel gemein. Beide kommen von der Straße. In der Türkei empfinden wir sie als Protestmusik – weil es hier nicht um akademische Richtlinien, sondern vielmehr um eine eigene Art sich anzuziehen, zu tanzen und zu sprechen geht. Ich mache in meinen Songs keine falschen Glücksversprechungen. Das ist doch bei vielen Rhythm’n’Blues-Sängern nicht anders: Auch wenn sie glücklich sind, merkst du doch immer, unter welcher Anspannung sie stehen. Obwohl deine Fans Jugendliche sind, übernimmst du als 21-jähriger Popstar doch weit gehend die Musik und Kultur deiner Eltern. Wie kommt das? Was unterscheidet mich denn von meinen Eltern? Warum sollte ich deren Tradition verdammen? Bei uns daheim haben wir bei Hochzeiten und Familientreffen ganz selbstverständlich unsere Heimatmusik gehört und draußen, wenn du dann cool bei deinen Leuten warst, hast du R’n’B und Hiphop gehört. Beides ist wichtig. Arabesk hat für uns Deutsch-Türken einen hohen emotionalen Wert, verkörpert eine Sehnsucht – meine Mutter hat, solange diese Musik lief, die Hausarbeit stehen lassen. Wäre ich in der Türkei aufgewachsen, hätte ich wahrscheinlich viel eher internationalen Pop gehört. Wie hast du als Autodidakt gelernt, Millionenhits zu schreiben? In einem Jugendzentrum in meinem Viertel hatten sie einen PC mit Soundkarte. Also bin ich immer nach der Schule hin und habe da rumgefrickelt. Bis heute mache ich die komplette musikalische Vorarbeit selbst. Nehme ein paar orientalische Melodien, lege Beats aus meinem Computer unter und singe dazu. Nur dass ich mir jetzt Geigen statt Synthies leisten kann und ein Teil meines Albums mit den besten türkischen Live-Musikern in Istanbul eingespielt habe. Welche Perspektive hättest du ohne deine Musik gehabt? Ich habe Medienwirtschaft studiert – und meine ganze Ausbildung durch Jobs selbst finanziert. Wir jungen Immigranten dürfen nicht erwarten, dass uns irgendjemand einen Ausbildungsplatz hinterherträgt: Nur weil Papa seit 30 Jahren in der Fabrik hängt, nichts mitkriegt und daheim nur das türkische Fernsehen läuft. Ich weiß wovon ich spreche. Als ich mit meiner Familie noch an der Satellitenschüssel hing, da hatte ich keine Ahnung. Aber ich zog eben so bald wie möglich aus und konnte mir dann meine Informationen woanders besorgen. Du engagierst dich für die UnicefKampagne „Auf geht’s in die Schule, Mädchen“ und gegen Gewalt. Kannst du die Frustration und Hoffnungslosigkeit der Immigranten-Schüler wie an der Rütli-Schule nachvollziehen? Einerseits ja. Aber wer zeigt die vielen Türken, die ohne Probleme durch das deutsche Schulsystem gehen? Ich war auf einer Gesamtschule, habe nach der 12. Klasse das Fachabitur gemacht – alles mit Durchschnittsnoten, ohne großes Drama. Man muss das Problem in seinem Kopf angehen, anstatt nur rumzujammern und zu meckern. Was rätst du deinen jungen Fans? Geht zur Schule! Und lernt endlich Deutsch! Im Vergleich zur Türkei wird euch hier in Deutschland doch viel mehr geboten. Ich selbst hätte die Chance gehabt, in die Türkei zurückzugehen. Aber ich wollte nicht: Ich bin hier geboren, spreche besser deutsch als türkisch und habe hier weitaus bessere Chancen. Du singst viel über Liebe, Sehnsucht und Sentimentalität – sprichst du in deinen Songs auch die harte Realität der Deutsch-Türken an? Politik ist Gift für meine Musik. Ich möchte keine konkreten Personen oder Parteien kritisieren. Aber deutschsprachige Musik mit türkischen Elementen – ist das nicht auch ein Statement?