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Fünf Tage wach

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Manuela wartet auf einen Freund. Sie wartet lange, aber irgendwie auch nur kurz. Er hat gesagt, dass er in zehn Minuten zurück ist, dass er nur kurz etwas besorgen muss. Ganz sicher. Dann ist er ausgestiegen und verschwunden. Seitdem sitzt sie alleine im Auto. Irgendwann blickt Manuela auf die Uhr und erschrickt: Es sind vier Stunden vergangen. Der Freund, auf den sie wartet, kommt nicht mehr. Weil es ihn nicht gibt, er existiert nur in Manuelas Kopf. „Crystal“ macht den Kopf kaputt. Die 29-Jährige macht immer wieder Pausen beim Sprechen und entschuldigt sich dafür. All das gehe ihr immer noch sehr nahe. Es sei ein langer Kampf gewesen, wieder zu wissen, was real ist und was nur Einbildung, sagt sie. Sie hat lange schwarze Haare mit blonden Strähnen, gepflegte Fingernägel. Manuela trägt Ohrringe. „Ich habe nicht mehr geschlafen, nicht mehr gegessen, bin nicht mehr aufs Klo gegangen. Alles war egal“, sagt sie. Am Anfang nehmen sie und ihr Freund Crystal, um länger feiern zu können. Aber irgendwann bleiben sie nur noch in ihrer Wohnung und „schieben Filme“, wie sie sagt. „Suchfilme“ zum Beispiel: Sie zerschneiden die Couch, reißen Wände und Boden auf, um geheime Wanzen aufzustöbern. Ab und zu spritzt sie Heroin, um „runterzukommen“, wie sie sagt. „Heroin ist ein klarerer, wärmerer Rausch. Crystal dagegen ist hart. Und es macht hart.“ Dann blickt sie auf den Boden und zittert. Zombies mit verfaulten Zähnen Wenn das Zittern zu stark und die Pausen zu lange werden, spricht Dr. Roland Härtel-Petri für sie. Er wirft einen Blick in die dicke Krankenakte und sagt dann: „Manuela kam mit einer drogeninduzierten Psychose zu uns. Sie kam freiwillig, weil sie nicht mehr konnte.“ Dr. Härtel-Petri ist Oberarzt auf der Station S3 des Bezirkskrankenhauses Bayreuth. S3 ist die Suchtstation und eine der wenigen Deutschlands, die auf die Behandlung von Crystal-Meth-Abhängigen spezialisiert sind. In Bayreuth werden derzeit 12 Patienten behandelt. Methamphetamin, kurz „Crystal Meth“ oder nur „Crystal“ ist die Droge, von der der Stern vor zwei Jahren schrieb, dass sie in den USA ganze Familien zerstöre und dass sie sich ausbreite wie eine Epidemie. Dazu sah man Bilder von Menschen mit eingefallenen Gesichtern, verfaulten Zähnen und hunderten von Pickel am ganzen Körper. Kritiker warfen den Autoren damals Sensationsgeilheit vor und sprachen von einem konstruierten Trend, der mit Zahlen – zumindest in Deutschland – nicht belegbar sei. Das ist er immer noch nicht: In Deutschland wird die Droge erst seit 2006 überhaupt gesondert registriert. „Es erscheint immer unwahrscheinlicher, dass wir vom weltweiten Trend zur Methamphetaminabhängigkeit ausgenommen sind – auch wenn dieser bisher nur für Bayern, Thüringen und Sachsen gesichert ist“, sagt Dr. Härtel-Petri. Das Bayerische Landeskriminalamt (LKA) in München hat aufgrund der besonderen Gefährlichkeit der Droge eine Sonderkomission eingerichtet. Jedoch: „Die Menge des in Bayern sicher gestellten Crystal ist im Vergleich zu anderen Drogen gering. Im vergangenen Jahr wurden 399 Verstöße mit Crystal festgestellt,“ sagt Mario Huber vom LKA.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Crystal macht den Kopf kaputt. Unbestritten ist die weltweite Zunahme des Konsums. Bei knapp der Hälfte des sichergestellten Amphetamins handelt es sich um Crystal. Weil die Kristalle nicht nur geschnieft und geraucht, sondern auch gespritzt werden können, ist etwa in Kalifornien die Zahl der HIV- und Hepatitis-Infektionen durch Crystal inzwischen höher als durch Heroin. In Thailand ist Methamphetamin unter dem Namen „Yaba“ zur Volksdroge geworden. Crystal sieht unschuldig aus: Ein kristallines Pulver, das je nach Reinheitsgrad weiß bis braun ist. Mit Kokain und Crack hat es nichts zu tun. Es ist chemisch eng verwandt mit anderen Party-Drogen wie Speed, Extasy und MDMA. Aber Crystal ist stärker. Und leichter herstellbar: Der Grundstoff Ephedrin steckt zum Beispiel in Hustenmitteln. Das in Deutschland konfiszierte Crystal stammt aus den Drogenküchen jenseits der tschechischen Grenze. Zwischen 40 und 100 Euro kostet ein Gramm. Damit lassen sich Hunger, Durst und Schlaf 48 Stunden und länger unterdrücken. Es erzeugt Allmachtsphantasien. „Maler können damit zwei Tage lang Zimmer streichen, Hausfrauen putzen ihre Wohnungen blitzblank, Polizisten sind auf Nachtstreife hellwach“, sagt Härtel-Petri. „Und Crystal ist eine Sex-Droge. Viele Prostituierte konsumieren sie.“


Manuela spritzt Crystal über eineinhalb Jahre hinweg täglich. Sie lebt in einer Welt, in der sie alles kontrollieren kann: ihren Körper, ihre Gedanken, ihr Leben. Sie und ihr Freund erfinden eine eigene Sprache, mit der nur sie sich verständigen können – zumindest glauben sie das. Im Rausch fährt Manuela ein Auto kaputt. Um den Schaden bezahlen zu können, nimmt sie einen Kredit auf – die 90.000 DM geben sie und ihr Freund für Crystal aus. Außer Haus gehen beide fast gar nicht mehr. Stattdessen sitzen sie tagelang wach in der Wohnung. Manchmal sortieren sie einfach nur Schrauben. Nächtelang. Sind alle Schrauben einsortiert, schütten sie sie wieder aus und beginnen von vorne. Ärzte nennen dieses Verhalten „Stereotypie“ – manche stehen fünf Stunden lang vor dem Spiegel und drücken sich Pickel aus oder zupfen sich Haare aus. Die „Filme“, die die beiden schieben, werden zu Wahnvorstellungen. Irgendwann kommt ihr Freund auf den Suchfilm, etwas in Manuelas Körper finden zu müssen. Aber davon kann und will Manuela nicht sprechen. Erst, als ihr Freund sie schwer misshandelt, geht sie in die Suchtklinik, um dort eine stationäre Therapie zu machen. Heute ist sie clean, Manuela hat vor acht Jahren zum letzten Mal Crystal genommen. Sie hat mittlerweile einen guten Job und keine Schulden mehr – auf die S3 ist sie nur für das Gespräch zurückgekehrt. Dr. Härtel-Petri rät davon ab, mit jungen Patienten auf seiner Station zu sprechen. Sie würden die Droge noch zu sehr glorifzieren. Crystal ist nichts Neues. 1919 wurde Methamphetamin erstmals in Japan synthetisiert. Seit 1938 vertrieben es die deutschen Temmler-Werke unter dem Namen „Pervitin“. Bald darauf kam es im Militär zum Einsatz. Die japanischen Bomberpiloten nahmen es beim Angriff auf Pearl Habor, um die gewaltige Flugdistanz zu überbrücken. In der deutschen Wehrmacht kam es unter dem Spitznamen „Panzerschokolade“ millionenfach zur Anwendung. Auch Göring und Hitler selbst sollen Methamphetamin konsumiert haben, noch heute wird es „Hitler-Speed“ genannt. Das Revival der Droge kam mit der Techno-Welle Anfang der Neunziger. Doch während Techno wieder verschwand, blieb Crystal. Es macht nicht körperlich abhängig, doch die psychische Sucht ist enorm. Auf der Website www.drugscouts.de des Suchtzentrums Leipzig veröffentlichen Drogenkonsumenten moderierte Erfahrungsberichte. 830 Einträge stehen dort über Crystal/Methamphetamin – nur über Kokain, Cannabis und Heroin gibt es mehr zu lesen. „Das geilste was es gibt aber es zerstört alles“, steht da zum Beispiel. Ein Stück vom Mars in der Hand Der stämmige Andreas, 36, ist auf stationärer Therapie in der S3. Er schnupft die Kristalle 1999 zum ersten Mal. Am Anfang ist es ein bisschen stärker als Speed: Es kribbelt, sein Blut pocht in den Schläfen. „Mehrere Stunden Sex sind damit kein Problem“, sagt er. „Man lernt auch leichter Frauen kennen, weil man sich so gut fühlt. Bloß an dem einen Abend, da war’s zu heftig.“ Als Andreas auf die S3 kommt, hat er fünf Tage nicht geschlafen: Morgens um acht Uhr spaziert er noch mit einer Salzkristalllampe in die Innenstadt von Bayreuth. Er glaubt, ein Stück vom Planeten Mars in Händen zu halten. Auf der Fensterfront eines Bürogebäudes sieht er eine Datumsangabe, „19.9.2007“ leuchtet es in digitalen Ziffern. Andreas fühlt sich getäuscht. Er geht in das Gebäude und beschimpft die Angestellten: „Warum ist die Zeit so schnell vergangen? Warum hat mir niemand etwas gesagt?“ Andreas ist sich sicher: Auf der Datumsanzeige steht das Jahr 2070 geschrieben. Als er ein paar Männer vor einem Kindergarten als Pädophile beschimpft und sie angreift, nimmt ihn die Polizei fest und bringt ihn auf die S3. Dann schläft Andreas. Zwei Tage lang. „Crystal ist, wie wenn Dich jemand am Schlawitterl packt, drei Tage oben hält und dann plötzlich fallen lässt“, sagt Andreas. Auf der S3 will er aufstehen. Ohne Crystal.

Text: philipp-mattheis - Illustration: Christoph Ohanian

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