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Frankreichs Jugend demonstriert für eine sichere Zukunft
Auf dem Pariser Boulevard St. Michel kämpfen Schüler und Studenten gegen den Contrat Première Embauche, CPE, gegen die Lockerung des Kündigungsschutzes bei jungen Arbeitnehmern. Die Polizisten greifen ihre Schutzschilder fester, wenn sie einen Schritt auf die Menge zu gehen. Gegen Abend fliegen Steine, Flaschen, brennende Matratzen. So war es vergangene Woche, so wird es vielleicht heute wieder sein. Die Demonstranten, Gewerkschafter, Schüler, Studenten, sie sind zu Tausenden in der Stadt, bis zu 1,5 Millionen in ganz Frankreich. Sie haben ein Feindbild: Dominique de Villepin, den Premierminister, der ihrer Meinung nach „in den Kerker“ gehört. Er will das Gesetz ändern.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Foto: dpa Französische Soziologen schreiben im Zusammenhang mit den Protesten von „negativer Politisierung“: Der Widerstand beschränke sich darauf, strikt abzulehnen. Die Proteste artikulieren in der Tat nur eine absolute Forderung – die nach der Rücknahme des CPE, der für Arbeitnehmer unter 26 Jahren eine zweijährige Probezeit vorsieht, in der eine Kündigung ohne besondere Gründe möglich ist. Wer hinter den Kulissen des Aufstandes eine größere Idee oder inhaltliche Alternativen sucht, wird enttäuscht. Zudem: Die Proteste hätten schon weit früher beginnen können, im August 2005. Damals wurde, mitten in den Sommerferien, der Contrat Nouvelle Embauche, CNE, verabschiedet. Der kleine Bruder des CPE regelt eine zweijährige Probezeit in Unternehmen mit unter 20 Beschäftigten. Der CPE nun betrifft Unternehmen mit über 20 Beschäftigten. Entstammen die Proteste wirklich nur der Entrüstung gegenüber einem einzigen Gesetz? Nicht ganz, sie fussen auf Wut: Es geht um die mangelnde Wertschätzung jugendlicher Arbeitskraft durch die Regierung, die Jugendlichen fühlen sich allein gelassen und der CPE ist in ihren Augen ein Zeichen dafür. Hinzu kommt die Wut über versäumte Reformen eines an Praxisferne krankenden Bildungssystems, das seine Absolventen wegen der wirtschaftlichen Situation nun auch noch in einen unwürdigen Hürdenlauf entlassen muss. Viele Studenten sehen sich endlosen Hängepartien in Praktika und Minijobs ausgesetzt. Aber genau das wollte die Regierung eigentlich ändern. Der CPE soll die Jugendlichen aus dem Netz winden, in dem sie sich verfangen haben. Jene, wie die Informatikstudentin Johanna, 19, die im Wochenmagazin „L´Express“ zitiert wird: „Der CPE erlaubt es Jugendlichen, schneller ins Berufleben einzusteigen“, sagt sie. „Ich weiß, dass es in meinem Berufszweig acht Jahre dauert, einen unbefristeten Vertrag zu erhalten.“ Angeblich führt eine größtmögliche Flexibilisierung der Arbeitsverträge zur größtmöglichen Zahl von Arbeitsplätzen. Das klingt gut und nach einem gewaltigen Risiko zugleich: Arbeiter werden vogelfrei, wenn sie täglich und ohne Grund gekündigt werden können. Deshalb protestieren die Studenten zugleich für eine Chance auf Arbeit - und dagegen, wenn man den CPE denn als Chance versteht. Ein Abgeordneter der Regierungspartei UMP sagte der Tageszeitung „Le Monde“ irritiert: Nun habe man eine Regierung, die reformieren wolle - und doch ernte sie nur Backpfeifen. Vielleicht kommen die Proteste nicht nur aus der Wut, sondern aus einem Gefühl, das auch in Deutschland bekannt ist: die Angst vor der Unsicherheit im Berufsleben. Die Studenten stellen die berechtigte Frage, ob jugendliche Arbeitskraft nicht Gefahr läuft, entwertet zu werden: Die Regierung hat zum Beispiel seit Einführung des CNE stolze 355 000 unterschriebene Exemplare vermeldet, der wirkliche Beschäftigungseffekt bleibt aber unklar. Effektiv wurden im Jahr 2005 nur 52 000 Stellen geschaffen. Die Studenten der französischen Mittelschicht sehen ihr geplantes Lebensmodell bedroht, sie sehnen sich nach einem Stück Sicherheit, wie ihre Eltern sie hatten. Sie wünschen sich feste Parameter für die Zeit nach dem Studium, nach der Ausbildung. Sie planen Anschaffungen für einen mindestens normalen Lebensstandard, finanziert von einem Job, der jahrelang hält. Das ist das Modell, das ihnen ihre Eltern vorlebten. Das ist auch Wertkonservatismus a la Frankreich. Dahinter stecken auch Wünsche, die sich wohl nicht mehr erfüllen lassen werden. Trotz allem: Mit diesem Aufstand beginnt etwas. Die Schüler und Studenten bestimmen ihren Stand in der Gesellschaft und beginnen, Fragen zu stellen. Sie sind nun außerdem gezwungen, älteren Generationen eine Antwort zu geben. Sind wir bequem? Haben wir Angst vor der neuen Arbeitswelt? Wie wollen wir arbeiten? Das sind nicht nur rein französische Fragen. Frankreichs Schüler und Studenten haben einen gravierenden Vorteil: Sie lassen sich nicht so schnell desillusionieren wie wir, die deutschen Altersgenossen. Sie verlieren sich nicht in nüchternen Klagen, „man mü0sste endlich was tun“, gegen die Endlosschleife aus Praktika, gegen die Zukunftsangst. Die französischen Studenten sind uns womöglich voraus. Sie haben eine Debatte begonnen, die bei uns zwar anläuft, aber noch sehr zaghaft. Sie reden, und das ist das Wichtigste, laut über ihre Hoffnungen und Ängste. Die Proteste in Frankreich waren auf jetzt.de bereits Thema einer Reportage aus Paris, sowie in einem Interview mit einer der Organisatorinnen des Protests.