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Es wird besser
"It gets better!“ Hundertfach wird dieser Satz dank Youtube seit Wochen um die Welt geschickt. Amerikas Internetgemeinde schweigt nicht länger zu den zahlreichen Selbstmorden von Teenagern, die das Land erschüttern. Jugendliche, die homosexuell sind oder dafür gehalten werden, setzen ihrem Leben ein Ende: Sie halten dem Druck nicht stand, dem sie sich durch gehässige Mitschüler oder die eigene Familie ausgesetzt sehen. Der Fall des 18-jährigen Tyler Clementi veranlasste die populäre Moderatorin Ellen DeGeneres in ihrer Sendung zu einem Appell: „Es muss etwas geschehen!“ Clementi hatte sich von der George-Washington-Bridge vor Manhattan in den Hudson River gestürzt, nachdem ihn sein Zimmergenosse beim Sex mit einem Mann heimlich gefilmt und das Video ins Netz gestellt hatte. Der selbst gewählte Tod als letzter Ausweg: Wie DeGeneres wollen immer weniger Menschen dieser tragischen Entwicklung zusehen. Täglich wächst die Zahl von Schwulen und Lesben, die in bewegenden Videos von ihrem Coming-out erzählen, von den Schwierigkeiten und Selbstzweifeln, von Ausgrenzung und Einsamkeit. Sie tragen ihre Botschaft mantra-artig vor: „Du bist schwul oder lesbisch, du bist allein, du wirst gemobbt – das alles ist schlimm. Aber es wird besser!“ Das ist ein Versprechen. Es lautet: „Da draußen wartet eine Welt voller Akzeptanz. Auch du wirst diese Welt betreten!“ Prominente und Normalbürger sprechen Amerikas Teenagern eindringlich Mut zu. Die Nachricht erreicht auch im hintersten Winkel von Idaho eine tief verunsicherte Gruppe junger Menschen. „It Gets Better!“ setzt ihrer Hoffnungslosigkeit ein starkes Signal entgegen: „Du bist nicht allein, es lohnt sich zu kämpfen!“ Das kann im Augenblick größter Verzweiflung ein wichtiger Halt sein. „It Gets Better!“ inszeniert mit all seinem Pathos eine schwule Variante des American Dream, der den Weg vom Underdog zum glücklichen Menschen weist. Doch so viel Glück, dass es für jeden reichte, hält selbst das Land Of The Free nicht bereit. Ein unsanftes Erwachen aus diesem Traum wird für viele der Angesprochenen Realität bleiben.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Die Homophobie, die zu der aktuellen Suizidwelle führte, ist tief verwurzelt. Eine Nation wie die USA, in der religiöse Fundamentalisten eine machtvolle Größe darstellen, entledigt sich nicht einfach ihrer Familienwerte, die diese Ablehnung unterfüttern. Sie sind dort weit mehr als hierzulande eine tragende Säule der Gesellschaft. Die Familie ist Amerika heilig, aber keine Lösung für Homosexuelle. Für sie liegt dieses Lebensmodell so lange in weiter Ferne, wie sie von Heirat und Adoption ausgeschlossen bleiben. Schwulen und Lesben bleibt keine andere Wahl als eigene Lebensformen zu entwickeln. Dafür benötigen sie Rollenmodelle, die häufig fehlen: Es fehlen Schauspieler, Politiker oder Musiker, die sich öffentlich zu ihrem Anderssein bekennen und Normalität vorleben. Das würde Identität schaffen.
Wenn es gut läuft, gehen Schwule und Lesben aus dem Prozess ihres Coming-out fürs Leben gestärkt hervor. Dass es häufig anders ist, zeigt die jüngste Selbstmordwelle in den USA auf dramatische Weise.
Hierzulande hat sich die schwule Spaßgesellschaft längst ihren Platz erobert. Berlins „Regierender Partymeister“ Klaus Wowereit machte vor neun Jahren den Anfang. Heute ist Homosexualität kaum noch skandaltauglich. Wenn Außenminister Westerwelle seinen Freund heiratet, sind von Bunte bis FAZ alle dabei. Eitlen Selbstdarstellern wie Harald Glööckler widmet Bild am Sonntag Homestorys mit Fremdschäm-Garantie. In der ARD-Soap „Verbotene Liebe“ wird ein schwules Paar von einem effeminierten Pfarrer kirchlich getraut, und die Nation ist zu Tränen gerührt. All dies ist Ausdruck einer Selbstverständlichkeit, von der Schwule jenseits der 50 in ihrer Jugend nicht zu träumen wagten. It does get better, auch in Deutschland.
Wer an der Oberfläche kratzt, stellt jedoch schnell fest, dass längst nicht alles gut ist. Guido Westerwelle wird seinen Mann künftig nicht mehr auf Reisen in Länder mitnehmen, in denen Homosexuelle verfolgt werden: Der Außenminister möchte nicht unnötig provozieren. Pfarrer, die schwule oder lesbische Paare segnen, müssen sich selbst in fortschrittlichen evangelischen Gemeinden dafür rechtfertigen und werden offen angefeindet. Harald Glööckler wird als Verkaufskasper akzeptiert, in seiner Tuntigkeit aber nicht ernst genommen. Immerhin: Klaus Wowereit hat es geschafft, mit seinem Outing ein geflügeltes Wort zu schaffen: „Und das ist auch gut so.“ Nur redet er kaum öffentlich über schwule Themen. Selbst wenn sie als Rollenmodelle taugen, haben Prominente mit dem Alltag von Schwulen und Lesben nichts tun; der ist weniger glanzvoll. Out im Job zu sein, ist für viele von ihnen unmöglich. Nicht allein für Fußballer. Beschimpfungen auf dem Schulhof werden von Lehrern gedeckt, weil sie Angst haben, mit dem Thema in Berührung zu kommen. Gewaltopfer, die einen Überfall zur Anzeige bringen, fühlen sich von Polizisten nicht ernst genommen. Nur Wohnungssuchende haben es manchmal gut, weil Homosexuelle als ordentlich gelten und Vermieter sich witzig finden wenn sie sagen: „Ich vermiete gerne an Schwule, das senkt die Heizkosten.“ Für all dies gibt es ein Anti-Diskriminierungsgesetz. Es ist ein Beleg für die Hilflosigkeit einer Gesellschaft, mit ihrer Vielfalt umzugehen.
„It Gets Better!“: Die aktuelle Botschaft der Netzgemeinde ist in Wahrheit 26 Jahre alt. Sie ist richtig und falsch zugleich. Hier wie dort ist der Preis der Freiheit das Ticket in die Großstadt. Das galt im Berlin der Zwanziger Jahre und es gilt bis heute. 1984 brachte es die Band Bronski Beat mit ihrem Song Smalltown Boy auf den Punkt: „Run away, turn away, run away, turn away, run away“ lautet seither der kollektive Refrain mehrerer Generationen schwuler Männer. „Mother will never understand / why you had to leave / but the answers you seek / will never be found at home“ singt der junge Jimmy Somerville. „The love that you need / will never be found at home“. Im Videoclip dieser Schwulenhymne steht Somerville allein in einem Hallenbad. Er blickt den Jungs sehnsüchtig hinterher, die nach einem Satz vom Sprungbrett ins Wasser gleiten und abtauchen. Nachdem eine Gang den schüchternen Rotschopf vermöbelt hat, löst auch er sein Ticket in die Freiheit und sitzt am Ende des Films mit den Jungs aus dem Schwimmbad im Zug. Run away. Es wird schon gut gehen.
Der Autor ist Chefredakteur des Hamburger Schwulenmagazins hinnerk.
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Text: stefan-mielchen - Foto: gschpaenli/photocase.com