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„Es ist obszön: Jeder denkt, er weiß, was hier los ist.“

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  Das Tel Aviver Nachtleben ist wild und überall laufen Menschen in Uniform herum. Das und ähnliches haben junge Deutsche schon oft über Israel erzählt. Katharina Höftmann, 27, zog Anfang 2010 zu ihrem israelischen Freund nach Tel Aviv. Sie begann ein Blog, in dem sie ihren israelischen Alltag beschrieb. Jetzt ist das Buch „Guten Morgen, Tel Aviv! Geschichten aus dem Holy Land“ daraus geworden (ab 9. November bei Heyne). jetzt.de hat mit Katharina über ihre Geschichtensammlung und selbsternannte Nahost-Experten gesprochen.
   
  jetzt.de: Du begeisterst dich schon lange für Israel. Warum?
  Katharina: Ich war das erste Mal mit 13 Jahren hier, zur Zeit der Intifada. Überall standen Leute mit Maschinengewehren. Ich fand das seltsam. Aber ich habe gespürt, dass das ein besonderer Ort ist, ohne zu erfassen, warum. 2005, als ich mit meinem Freund hier war, war alles anders, weil wir sofort eine Familienfeier hatten und ich in kurzer Zeit viel kennen gelernt habe. Dieses Land ist unfassbar vielseitig. Allein die Einwanderer kommen aus 50 Ländern. Und für das Judentum begeistere ich mich schon lange. Auch wenn Israel oft weniger jüdisch ist als manche Gemeinde in Deutschland.
 
  Ihren ersten Blogeintrag veröffentlicht Katharina am 16. November 2010. Darin arbeitet sie die Standardfragen ab, die denen gestellt werden, die eine zeitlang in Israel leben. Außer der Erklärung – Warum gerade Israel? – sind es zwei: Ist es nicht gefährlich? Wie wirst Du als Deutsche behandelt?
 
  jetzt.de: Wie oft hast du diese Fragen schon beantwortet?
  Katharina: Ich muss die immer beantworten, wenn ich mit Leuten spreche, die hier nie waren.
  jetzt.de: Und was antwortest du?
  Katharina: Zur Gefahr: Es ist so, dass es ein Gefälle gibt, gerade in Tel Aviv. Man liest deutsche Nachrichten im Netz und denkt: Oh Gott, wir werden alle sterben. Aber vor der Tür sitzen alle in Cafés, sind gut drauf und scheinen nicht zu wissen, dass sie bald sterben. Doch eine Stunde Autofahrt von hier ist Raketenalarm. Das ist eine Schizophrenie. Andererseits habe ich in Deutschland manchmal mehr Angst als hier, wo man auf Anschläge vorbereitet ist. In Berlin kontrolliert niemand, wer in die U-Bahn steigt. Zur Holocaustfrage: Ich habe Glück gehabt. Noch nie hat mich jemand gefragt, was mein Opa während des Krieges gemacht hat. Aber als ich mal den Gasherd laufen ließ, rief der Mitbewohner meines Freundes: „Die Deutschen vergasen uns wieder.“ Sowas muss ich mir schon anhören. 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Katharina

  jetzt.de: Du schilderst Auseinandersetzungen mit Behörden, Drängeleien am Bus – alles klingt anstrengend.
  Katharina: Ja, das Leben ist stressig. In den ersten Monaten dachte ich oft: ,Verdammte Scheiße.‘ Es gibt praktisch keine Höflichkeitsfloskeln. Wenn einer dir auf der Nase rumtanzt, musst du streiten. Das habe ich mir angewöhnt, finde es aber nicht schön. Wenn meine Eltern mich besuchen, sagen die: ,Du musst ruhiger werden.‘ Aber die verstehen nicht, dass ich dann verliere. Andererseits bin ich entspannter geworden, beharre nicht mehr auf Plan und Zeit. Das kann man mit Israelis eh nicht machen. 

  Katharina nähert sich Israel mit Humor. Ob sie über halbnackte französische Touristen schreibt oder über Russen, die Holocaust „Golocaust“ aussprechen, ihre Texte sind lustig. Damit ist ihr Buch eine Ausnahme unter Texten deutscher Autoren über Israel.
  
  jetzt.de: Besteht, wenn man den absurden Alltag dieses Landes karikiert, nicht die Gefahr, an der Oberfläche zu bleiben?
  Katharina: Natürlich. Aber es gibt Geschichten im Buch, die erzählen, dass Israelis Probleme haben, Sachen weg zu schmeißen oder warum Drängeln Teil des Schoah-Traumas ist. Ich glaube also, dass die Geschichten zusammengenommen einen genaueren Eindruck vom Land vermitteln.
  jetzt.de: Dein Blog liest sich wie eine Art Gegenprogramm zu den Schwarz-Weiss-Fotos in unseren Schulbüchern.
  Katharina: Es gibt in Deutschland schon relativ viel Wissen über Israel, gerade im Vergleich zu anderen Ländern, wo man denkt, hier seien nur Terror und Kamele. Aber das Wissen ist in eine Richtung ausgeprägt. Da wollte ich entgegenwirken.
  jetzt.de: Deshalb hast du den Nahostkonflikt in deinen Geschichten ausgelassen.
  Katharina: Ja. Richtig raus kriegt man ihn nicht, er kommt beispielsweise in der Geschichte „Philosemitenbus“ durch, wo es um die selbst gegebene Definition Deutschlands als „kritischer Freund Israels“ geht. Aber das ist so dünnes Eis, da kannst Du nur verlieren.
  jetzt.de: Aber der Konflikt ist ein Thema, oder?
  Katharina: Ja, vor allem die Deutschen schwadronieren hier gerne darüber. Doch mit Israelis kann man sich viel besser darüber streiten, egal welche Meinung sie haben. Mit Deutschen ist das immer anstrengend, man denkt gleich, die Freundschaft ist kaputt. Mich haben auch Leute schon bei Facebook geblockt. Das würde Dir mit einem Israeli nie passieren.
 
  In ihrem lakonisch-amüsierten Tonfall hat Katharina Alltag protokolliert. Sie lästert charmant über israelische Hochzeiten, leidet mit den Straßenkatzen und schildert den Kühlschrankkauf mit der Großfamilie – die Israelis kommen nicht nur gut weg.
 
  jetzt.de: Was ist an deinem Buch anders als an denen anderer Schriftsteller, die in Israel waren?
  Katharina: „Waren“ ist der Punkt. Die meisten, die ich kenne, sind wieder gegangen. Die kommen für eine Zeitspanne. Ich bin gekommen, um zu bleiben. Ich bin anders eingebunden, habe eine Familie und dadurch eine andere Perspektive.
  jetzt.de: Inwiefern?
  Katharina: Weil ich Leute treffe, die ich nicht treffen würde, wenn ich als normale ausländische Journalistin hier wäre. Allein in der Heimatstadt meines Freundes gibt es beispielsweise diesen Tel Aviver Berlinhype nicht. Und je besser man die Sprache kann, desto mehr Leute lernt man kennen. Beispielsweise die russischen Einwanderer, die meist kein Englisch sprechen.
  jetzt.de: Nervt es, dass immer wieder Leute kommen, ein paar Monate bleiben und dann den Nahostkonflikt erklären?
  Katharina: Klar. Das sind nicht nur Journalisten, sondern alle Leute, am besten die, die nie hier waren. Jeder denkt, er weiß, was los ist, wer Schuld ist, wer nicht. Was unfassbar obszön ist, wenn man hier lebt. Ich bin jetzt seit eineinhalb Jahren hier. Ich weiß, ich habe keine Ahnung. Immer wenn ich denke, ich komme der Sache nahe, höre ich etwas, was mich zum Zweifeln bringt.
 
  Am 12. Oktober diesen Jahres schreibt Katharina auf ihrer Facebookseite „Gilad! Shalit! Home!“ Und zeigt, dass sie den einen Gedanken teilt, der alle Israelis bewegt.
 
  jetzt.de: Du schreibst, dass Israel dein Freund geworden ist. Bist du angekommen?
  Katharina: Ja. Trotzdem bin ich noch auf dem Weg. Israel war mal jemand, den ich vom Namen her kannte. Dann habe ich mich unfassbar verknallt. Dann hatte ich einen Moment der Wahrheit, als ich herzog. Ich war extrem verletzt von der Ungehobeltheit. Das war eine Krise unserer Beziehung. Jetzt kann ich das Land lieben für das, was es ist. Und kriege viel zurück: Meine Arbeit könnte ich woanders nicht machen. Jetzt sind wir in einer gefestigten Beziehung. In 30 Jahren sitzen wir auf der Bank und schauen aufs Wasser, Israel und ich.

Text: lea-hampel - Foto: Anne Kärst

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