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Es ist der Schnellste, der gewinnt
Der P86/7 ist ein 8-Zylinder-V-Saugmotor mit Trockensumpfschmierung und 2400ccm Hubraum. Schon den ganzen Morgen, es ist der 16. Januar 2007, steht er bedeckt mit Ballonseide im Erdgeschoss von Spaniens größtem Messegelände und wartet. Wartet bis fünfhundert Journalisten und Funktionäre geweckt und aus der Innenstadt von Valencia angereist sind, wartet bis das Licht aus und ein Dolby-Suround-Sound eingeschaltet ist, der den Zuschauern ein spannendes Gefühl in die Magengegend brummen soll. Es brummt, es bummt, Licht und die Kameras gehen an: die Ballonseide ist explodiert und der P86/7 hat im Kleid eines nagelneuen Formel-1-Autos seinen Auftritt. "Jedes Jahr das Gleiche", sagen später Motorsportjournalisten in Lederwesten und erzählen an der Espresso-Bar vom "Car-Launch" neulich bei McLaren Mercedes, von Toyota und Renault, überall gleich: Knall, Formel-1-Auto raus, Häppchen in die Journalisten rein - außer neuen Motordaten gibt es nichts, was von einem Formel-1-Car-Launch erinnert werden müsste. Vom Morgen des 16. Januar 2007 im Messegelände von Valencia aber wird noch etwas anderes in Erinnerung bleiben, etwas Goldenes: ein Kindergesicht.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Es gehört Sebastian Vettel, einem 19-jährigen Jungen, der die Fähigkeit besitzt, fünfhundert Fachmänner in sich verliebt zu machen, indem er nichts weiter tut, als vor einem P86/7 zu sitzen und Fragen zu beantworten. Gefragt wird von Japanern, Briten und Deutschen ähnlich: Wie es sich anfühlt, die Formel-1-Welt auf den Kopf zu stellen? Wie es ist, schon dank eines einzigen Trainings als Nachfolger von Michael Schumacher gehandelt zu werden? Wie es überhaupt ist, jetzt gerade Sebastian Vettel aus Heppenheim zu sein? Vom Abitur ins Cockpit "Es ist toll", sagt Sebastian auf schulenglisch und strahlt, "ich freue mich, in diesem Team und für meine beiden Top-Kollegen hier arbeiten zu dürfen", dabei pufft er dem verspannten Nick Heidfeld in die Seite, der neben ihm auf einem Barhocker sitzt und beinahe runterfällt - alle lachen. Heidfeld ist die Eins im BMW-Sauber-Team, er wird an diesem Nachmittag den gerade präsentierten Wagen über den Circuito de Comunidad fahren dürfen. Sebastian muss dann zuschauen, denn er ist erst die Nummer drei. Weil jedes Formel-1-Team beim Rennen nur mit zwei Wagen antreten darf, bedeutet das für Sebastian, dass er in der Saison 2007 jeweils nur am Freitag vor einem Grand Prix zum Einsatz kommen wird - im so genannten freien Training, in dem die Teams Autos und Strecke testen und versuchen, mit einer Runden-Bestzeit den anderen Teams schon im Vorfeld einzuheizen. Sebastian gelingt das bereits an seinem ersten Arbeitstag als Formel-1-Fahrer, im Sommer 2006. Frisch aus der Abiturprüfung fährt er in der Türkei die schnellste Runde des Tages - vor Schumacher und Weltmeister Alonso, vor den richtig guten Autos ist er eingestiegen, hat den ersten Platz geholt, Rekord gemacht - große Augen überall und Japaner, die gleich seinen Namen auswendig lernen. "Ich weiß auch nicht, was ich anders mache als die anderen", unbekümmertes Vettel-Schulterzucken. "Ich möchte in jedem Rennen nach vorne kommen, immer den nächsten überholen, ganz einfach!" Ganz einfach meistert der Gymnasiast mit seiner kleinen Heldentat im Istanbul Park letzten Sommer den Einstieg in die Weltspitze des Motorsports, einer seltsam künstlichen Spitzenwelt, in der vor allem braungebrannte Männer vor allem eines tun: Geld ausgeben. Für einen Sport, bei dem es immer nur um Technik und Tempo geht und weil dazwischen noch ein Mensch sitzt, gelegentlich auch um Tod.
"Ich bin damit aufgewachsen", sagt Sebastian und meint - es ist jetzt Nachmittag - vor allem seine Umgebung: Hochglanzpolierte Trucks, die eine kleine Stadt bilden, in der Fahrer und Techniker jedes Jahr wochenlang wohnen, meint das Hitzeflimmern über dem Rennasphalt, die dicken Armbanduhren, die alle hier tragen, die Daumen-Hoch-Fotos für Sponsoren, die Millionen in die Teams stecken und meint das infernalische Röhren des P86/7, das sich jetzt fortwährend nähert und wieder entfernt. Heidfeld fährt die ersten Runden für die Kameras, Seabstian spaziert durch die Boxen, durchs Pressecenter, wo alle ihm aufmunternd zunicken, weil er aussieht wie das, was für Deutschland eigentlich nicht in Sicht war: die große Hoffnung, der nächste Schumacher vielleicht und dann noch einer, der nicht so kühl und kantig ist, sondern lustig und offen - ein Wunderkind. "Die Japaner scheinen mich jedenfalls schon alle zu lieben, ich weiß nicht, ob das nur an meinen Haaren liegt. Nicht wichtig - ich muss jetzt erstmal fahren, die Zeitungen können viel schreiben, das macht mir überhaupt keinen Druck. Ich fahre freitags um das Auto zu testen und Informationen an das Team zu geben."
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Sebastian spricht die Sprache aus dem PR-Training: maßvoll, überlegt, vorsichtig und Herr Brack der Communication Manager schreibt sich mit Schweizer Handschrift alle seine Antworten auf. An das Interesse der Medien ist Sebastian gewöhnt, es ist da seit er gewinnt - und das tut er seit seinem siebten Lebensjahr. Er ist im Vorschulalter als sein Vater ihm ein Kart kauft - etwas, das er in Zukunft öfter tun muss, denn sein Sohn wechselt immer schneller in die nächste Leistungsklasse, die Motoren werden größer, genau wie die Pokale und die Entfernung zum nächsten Rennen. Während seine Schulkameraden auf ein Mofa sparen, fährt Sebastian bereits in der internationalen Formel BMW mit 230 km/h über den Hockenheimring - und gewinnt. "Einen ganz normalen Führerschein musste ich trotzdem machen und richtig büffeln, Verkehrsschilder, Autos, die entgegenkommen, das kannte ich von der Rennstrecke nicht." Sebastian Vettel ist auf eine nette Art cool, zum Stichwort Angst fällt ihm ein "Mäuse, weil die immer so aus der Ecke hervorhuschen." Sonst nichts und schon gar nichts, was mit dem P86/7 und den über 300 km/h zu tun haben könnte, auf die ihn seine Fahrer beschleunigen. "Schnell fahren habe ich gelernt, ich denke nicht darüber nach, nur manchmal fällt mir ein: Oh Gott, du fährst mit 270 in eine Kurve - aber ich kann das einschätzen. " Gelassene Mutter Größere Schwierigkeiten bereiten ihm andere Dinge. Gerade ist Sebastian zu seinem neuen Arbeitgeber, zum BMW Sauber F1-Team nach Hinwil in die Schweiz gezogen, in die erste eigene Wohnung und vor das Armaturenbrett einer Maschine, die ihm nicht so gut gehorcht: dem Herd. "Ich stehe im Supermarkt und weiß einfach nicht, was ich einkaufen soll, damit etwas Richtiges zum Essen daraus wird." In solchen Fällen ruft er zu Hause in Heppenheim an und hört auf die Ratschläge der Mutter - einer Frau, die sich, zumindest nach Sebastians Einschätzung, gut daran gewöhnt hat, dass ihr Sohn in einem feuerfesten Anzug aber ohne Dach durch Haarnadelkurven rast. "Was soll ich auch zur Beruhigung sagen? Mama, in Monza fahre ich mal bisschen langsamer? Das geht nicht und muss auch nicht sein." Es ist warm geworden in den Hügeln vor Valencia, in der Nachmittagssonne werden auf den Plantagen rund um die Rennstrecke Orangen geerntet. Sebastian Vettel steht auf dem riesigen Parkplatz und telefoniert, das geht gerade, weil die Motoren schweigen. Vorhin sollte er noch über seine Wünsche sprechen. Vettel-Grinsen. Er wünscht sich jetzt erstmal ein Hotel, das näher an der Strecke liegt. Das kriegt er sofort. Er wünscht sich, einmal nach Australien zu reisen. Das kriegt er demnächst, denn am 18. März startet die Saison mit dem Grand Prix in Melbourne. Und sonst? Er wünscht sich einen Stammplatz in der Formel 1. Das kriegt er, bald. Fotos: BMW AG