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"Erst erfrischend, dann kalt" - Wie es sich anfühlt, alleine zu verreisen
Schlimmster Moment: Als es losging Matthias Goetz, 28, reiste nach seinem Zivildienst sieben Monate durch Afrika und Asien. In Marrakesch fiel er auf einen Teppichhändler rein und in Indien entging er nur knapp einem Erdbeben. Wo warst Du und wie lange? Unterwegs war ich insgesamt sieben Monate. Davon war ich für jeweils einen Monat in Spanien und Portugal, Marokko und Tunesien. Von dort bin ich über Italien für eineinhalb Monate nach Nepal und den Rest der Zeit, also zweieinhalb Monate, habe ich in Indien verbracht. Was war die längste Zeit, in der Du alleine warst? Den ersten Monat lang haben mich zwei Kumpels begleitet, bis nach Marokko, von da an war ich sechs Monate allein unterwegs. Warum bist Du alleine weggefahren? Mir war es nach meiner Schulzeit und nach dem Zivildienst viel zu eng in Deutschland und vor allem in meiner bayerischen Heimat. Ich war auf jeden Fall ziemlich „Anti-Alles“ unterwegs und wollte das ändern. Ich wollte herausfinden, wie die anderen Menschen auf dem Planeten dem Leben gegenüberstehen, was die so denken. Und natürlich wollte ich ein paar Abenteuer erleben.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Größter Vorteil am alleine Reisen? Man kommt zur Ruhe, kann alles selbst entscheiden und muss es aber auch. Es gibt dann keinen, der dich motiviert, wenn du nicht mehr kannst. Was war die unangenehmste Situation? Obwohl die wirklich gefährlichen Momente erst auf der Reise passiert sind, war der schlimmste Moment genau der, als ich wusste: Jetzt geht’s gleich los. Die Angst die ich da hatte, kam auf der ganzen Reise nicht mehr. Auf der Reise gab es dann nur ab und an ein wenig Adrenalin, nicht wirklich Angst. Unangenehm waren oft die Schlafplätze. Wie fühlt sich Einsamkeit an? Das kann ich schwer sagen, da ich nicht einsam war. Wenn man in arabischen oder asiatischen Ländern unterwegs ist, fällt man auf der Straße auf wie ein bunter Hund und wird ständig angesprochen. Und dann sind da die Hostels, in denen man die anderen Backpacker finden kann. Die bekannten Reiseführer geben ja immer Hotelempfehlungen für so gut wie jede Stadt ab, da weiß man wo die Leute sitzen. Man kann also immer Leute kennen lernen, wenn man will, und manchmal auch, wenn man nicht will. Ein gesundes Misstrauen schadet deswegen nicht. Aber zum Reden hat man schnell jemand gefunden. Alleine Reisen bedeutet für mich nicht Einsamkeit sondern Alleinsein. Zur Einsamkeit braucht man das Gefühl der Verlassenheit und mangelnde soziale Kontakte, etwas, das man meiner Erfahrung nach im Berufsalltag viel schneller erreicht. Von welchem Erlebnis erzählst Du in 20 Jahren Deinen Kindern? Ich würde ihnen vom Gefühl des Wegfahrens erzählen, wie es ist, sich zu überwinden und einfach mal loszufahren und das Risiko einzugehen. Ich würde ihnen von dem schmierigen Marokkaner erzählen, der mir in Casablanca einen Teppichdeal angeboten hat, bei dem am Ende 100 Prozent Profit für mich raus springen sollten, und warum ich darauf eingegangen bin (Verdammt!). Ich würde ihnen vom Erdbeben in Indien erzählen, bei dem unglaublich viele Menschen getötet wurden. Wie ich am Tag vor dem Erdbeben, dank eines Tuk-Tuk Fahrers, der meinen verpassten Bus auf offener Straße überholt und aufgehalten hatte, doch noch mitfahren konnte. In der Stadt, in der ich dann während des Erdbebens war, gab es keinen einzigen Toten zu beklagen. Hätte er mich, wie ich ihm eigentlich gesagt hatte, zurück ins Hotel gefahren, wäre die Geschichte anders ausgegangen. Aber am wichtigsten sind eigentlich meine persönlichen Erkenntnisse aus der Reise: das Gefühl, etwas alleine geschafft zu haben, und, dass sich Menschen nicht so sehr voneinander unterscheiden. Das, was uns die Medien vermitteln, ist nicht immer das ganze Bild. Die grundlegenden Moralvorstellungen und die Bedürfnisse, die man selber hat, ähneln auch denen der meisten anderen Menschen.
Schweigen im Kloster Kristofer Harris, 31, war vier Wochen alleine in Thailand, eine davon verbrachte er meditierend in einem buddhistischen Kloster. Was war die längste Zeit, in der Du alleine warst? Richtig alleine war ich nie, vielleicht mal einen Tag lang. Warum bist Du alleine weggefahren? Alleine unterwegs zu sein, öffnet die Augen. Man befasst sich noch mehr mit der ungewohnten Umgebung und kann erstmal mit niemanden darüber reden. Dadurch nimmt man die Umwelt auf andere Art wahr, als wenn man mit Freunden unterwegs ist. Man ist weniger abgelenkt. Größter Vorteil am alleine Reisen? Man lernt Menschen kennen, mit denen man sonst vielleicht nicht in Kontakt kommen würde. In Ayutthaya hatte ich ein interessantes Gespräch mit einen schwedischen Ex-Alkoholiker und Mitglied der Anonymen Alkoholiker, der AA als Religion der kommenden Generationen anpries.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Was war die unangenehmste Situation? Bei einer langen Busfahrt war ein Essen im Ticket inbegriffen. Wir hielten bei einer Autobahnraststätte um 2 Uhr morgens. Dort wurden dann alle aufgeweckt, um vertrocknete Eier mit Reis zu essen. Ansonsten war alles gut. In Thailand habe ich mich immer sehr sicher gefühlt. Wie fühlt sich Einsamkeit an? Wenn niemand auf die Emails antwortet, in denen man am Tag zuvor ausführlich die neuen Erlebnisse beschrieben hat, fühlt man sich alleine gelassen. Man hat das Gefühl, dass daheim wahnsinnig viel passiert und man nichts davon mitkriegt. Von welchem Erlebnis erzählst Du in 20 Jahren Deinen Kindern? Ich war eine Woche in einem buddhistischen Kloster, um zu meditieren. So etwas hatte ich zuvor noch nicht gemacht. Jeden Tag mussten wir dem Abt des Klosters von unseren Erfahrungen mit der Meditation berichten, ansonsten sollten wir möglichst wenig sprechen. Um vier Uhr früh ging der Tag los, dann wurde meditiert, bis es um sechs Uhr Frühstück gab. Danach wurde wieder meditiert. Nach dem Mittagessen durfte man keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen. Jeden Tag wurde die Meditation länger und konzentrierter. Im Laufe der Woche wurde der Rhythmus auf zwölf Stunden Meditation täglich hoch geschraubt. Es war eine sehr anstrengende, aber interessante Erfahrung, bei der ich viel über mich selbst gelernt habe.
Zweimal alleine Abendessen Lisa Sonnabend, 26, war vier Wochen alleine in Mexiko. Wie sich Einsamkeit anfühlt, weiß sie aber immer noch nicht. Was war die längste Zeit, in der Du alleine warst? Keinen ganzen Tag. Man hat ständig jemanden getroffen. Zweimal war ich immerhin alleine in einem Restaurant Abendessen. Warum bist Du alleine weggefahren? Das hatte ich länger schon mal vor. Zwei Freundinnen von mir waren auch mal alleine in Mexiko, deswegen bin ich dorthin gefahren. Vielleicht wollte ich ein bisschen mehr über mich erfahren, ein Tagebuch habe ich aber nicht mitgenommen. Größter Vorteil am alleine Reisen? Man kann machen, was man will. Pyramiden besichtigen oder an den Strand fahren, Tortilla mit Bohnen essen oder zu McDonald gehen, heute weiterreisen oder erst übermorgen. Und da es im Urlaub in der Regel immer Streit gibt, hat man diesen Ärger schon mal los.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Was war die unangenehmste Situation? Ich bin über Nacht mit dem Bus von Mexiko City nach Oaxaca gefahren. Statt sechs Stunden hat er nur dreieinhalb gebraucht und ich bin mitten in der Nacht angekommen. Da musste ich erst einmal drei Stunden am Busbahnhof warten, bis mein Hostel aufgemacht hat. Es war kalt und um mich herum merkwürdige Leute. Aber so schlimm war das eigentlich nicht. Wie fühlt sich Einsamkeit an? Das weiß ich jetzt leider – bzw. zum Glück – immer noch nicht. Nach einer Woche lernte ich einen Kanadier kennen. Mit dem bin ich zwei Wochen gereist. Danach wollte ich eigentlich die letzte Woche ganz alleine bleiben, hat aber nicht geklappt. Wenn man einsam sein will, sollte man nicht nach Mexiko fahren. Von welchem Erlebnis erzählst Du in 20 Jahren Deinen Kindern? Was, du willst alleine verreisen? Spinnst du! Was da alles passieren kann. Als ich damals in Mexiko war, wäre ich fast von einer Pyramide gestürzt, in Mexiko City von Drogendealern erstochen worden und bekam so starken Durchfall, dass ich fast gestorben wäre. Oder so ähnlich.
Erst erfrischend, dann kalt Heinz Helle, 28, war vier Wochen alleine in Prag – um ein Buch über einen Kinderschänder zu schreiben. Wann warst Du in Prag? Im Herbst 2004. Es war kalt, grau und sehr traurig. Genau richtig für das, was ich vorhatte. Was hattest Du denn vor? Ich wollte ein Buch über den Kinderschänder Marc Dutroux schreiben. Zuhause gelang es mir nicht, mich in das Thema hineinzudenken. In Prag ging das. Durch das völlige Fehlen sozialer Kontakte war ich ganz allein mit meinen Gedanken und meinem Text. Und mit den Texten, die ich zur Recherche oder zur Inspiration las. Leider waren das aufgrund des Themas sehr finstere Texte. Die Stimmung, in ich mich so versetzte, war für das Projekt ideal. Für mein Wohlbefinden nach einer Weile nicht mehr. Ich musste dann auch etwas früher abreisen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Größter Vorteil am alleine Reisen? Die Ruhe. Nichts stört die Gedanken. Man spricht nicht. Mit niemandem, wochenlang. Außer mit dem Kellner. Was war die unangenehmste Situation? Als mich in meinem Stammcafé ein Mann um die Sechzig zum Sex auf der Toilette überreden wollte. Er war eigentlich sehr freundlich, und weil ich dankbar war, doch mal wieder mit einem Menschen zu sprechen, genoss ich die Unterhaltung zunächst auch. Wir sprachen über Philosophie und griechische Mythologie. Irgendwann fragte er mich dann, wie oft ich onanierte. Ich bestellte die Rechnung. Wie fühlt sich Einsamkeit an? Erst ist es sehr erfrischend. Nach einer Weile wird es kalt. Von welchem Erlebnis erzählst Du in 20 Jahren Deinen Kindern? Bestimmt nicht von dem Mann um die Sechzig. Vielleicht erzähle ich ihnen davon, wie ich mich damals im Café Louvre in eine Frau verliebte, obwohl ich nur ihren Rücken sehen konnte. Das passiert nur, wenn man lange allein ist.
Der fremde Klang der eigenen Stimme Philipp Mattheis, 28, war ein Jahr nach seinem Zivildienst alleine auf Weltreise. Seitdem verbringt er jedes Jahr mindestens einen Monat alleine. Wo warst Du und wie lange? Auf den Kanaren habe ich auf einem Schiff angeheuert. Eigentlich wollte ich damit in die Karibik, aber nach einer Woche bin ich auf den Kapverden ausgestiegen und nach New York geflogen. Von dort aus ging es nach Mexiko, durch Mittelamerika bis nach Panama. Die letzten Monate habe ich Südostasien verbracht. Insgesamt war ich ein knappes Jahr unterwegs. Danach bin ich fast jedes Jahr mindestens einen Monat alleine verreist, zuletzt nach Indien. Was war die längste Zeit, in der Du alleine warst? Als ich von Guatemala nach Nicaragua gefahren bin, bestand mein Tagesablauf aus Busfahren, Essen und in einer verwanzten Herberge übernachten. Diese fünf Tage waren die längste Zeit, in der ich wirklich alleine war. Nach einem Tag Schweigen hört sich die eigene Stimme verdammt komisch an. Warum bist Du alleine weggefahren? Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn jemand mitgefahren wäre. Aber für ein knappes Jahr konnte ich schwer einen meiner Freunde überzeugen. Im Nachhinein bin ich sehr froh darüber.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Warum? Wer alleine wegfährt, erlebt mehr. Man lernt mehr Leute kennen – und vor allem interessantere Leute. Nach ein paar Wochen ist die heimische Schüchternheit überwunden und man quatscht alles und jeden an. Außerdem wird man alleine öfter angesprochen. Pärchen dagegen wirken wie eine eingeschworene Gemeinschaft, in die man sich lieber nicht einmischen möchte. Was war die unangenehmste Situation? Seekrank, mit Sodbrennen und vollkommen übermüdet, die Nachtwache auf dem Segelschiff zu machen. Dazu ein tyrannischer Südfranzose, der den ganzen Tag Edith Piaf hörte. Auch schlimm: mit Fieber auf einer verschimmelten Matratze in einer Zwei-Quadratmeter-Zelle. Da war ich kurz davor, Mama anzurufen. Wie fühlt sich Einsamkeit an? Die Gedanken finden keinen Halt mehr und gleichzeitig stauen sie sich im Kopf, weil man sie mit niemand mehr teilen kann. Anfangs macht das Angst. Dann irgendwann stellt sich eine sehr angenehme Ruhe ein. Den nächsten Menschen, den man dann trifft, begegnet man anders. Man schätzt ihn einfach nur, weil er da ist. Von welchem Erlebnis erzählst Du in 20 Jahren Deinen Kindern? Von einer achtstündigen Vulkanbesteigung auf der Isla de Ometepe in Nicaragua. Zwei Tage vorher hatte ich meine Turnschuhe in die Waschmaschine gesteckt. Dreckig machen wollte ich sie nicht mehr. Also bin ich den Vulkan mit Flipflops raufgeklettert. Seitdem habe ich keinen einzigen Berg mehr bestiegen. Wenn sie älter sind, erzähle ich ihnen vielleicht auch von dem Hotel in Kambodscha, bei dem es kostenlos Gras für alle Gäste gab, und im Hintergarten eine Krokodilfarm war.
Allein mit Kumar Meggie Herz, 25, reiste vier Wochen durch Tibet. Immer mit dabei: Ihr imaginärer Freund aus China. Was war die längste Zeit, in der Du alleine warst? Vom Morgengrauen bis in die Abendstunden. Dann gab es meistens eine Tür, an die ich klopfen und hinter der ich schlafen konnte. Warum bist Du alleine weggefahren? Wer will denn schon im Januar durch Tibet wandern? Meine Freunde jedenfalls nicht. Größter Vorteil am alleine reisen? Keiner macht einem Vorwürfe, wenn man aufgrund mangelhafter Reiseplanung völlig unverhofft nachts auf 5500 Metern ohne Zelt und Proviant dasteht und das nächste Dorf hinter einem hohen Berg liegt. Was war die unangenehmste Situation? 16 Stunden ohne Essen und Wasser durch Tiefschnee und über verdammt hohe Berge. Das Tempo wurde von drei jungen tibetischen Pilgerburschen vorgegeben. Aber ich habe gelernt, dass ein Körper so schnell nicht kaputt geht. Wie fühlt sich Einsamkeit an? Wie Freiheit und manchmal kalt. Wovon erzählst Du in 20 Jahren Deinen Kindern? Davon, wie sehr mir mein imaginärer Freund Kumar Rashkuma, 25, Nepali, Single, gut aussehend, ans Herz gewachsen ist. Ursprünglich war er nur im Rahmen meiner Beschwichtigungsstrategie für die chinesischen Grenzbeamten in mein Leben getreten. Wer nach Tibet will, muss nämlich eine Art „Aufpasser“ vorweisen. Alleine darf man nicht einreisen. Die Herren ließen sich schließlich mit einem Trinkgeld überzeugen, Kumar nicht auch noch sehen zu müssen. Während der Zeit in der Schnee- und Eiswüste wurde unser Verhältnis dennoch inniger, obwohl Kumar nun auch offiziell nur noch in meinem Kopf existierte. Seine warme Stimme hat mir in so manchem Schneesturm geholfen weiter zu gehen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.