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Elternalarm an der Hochschule
Lara ist gerade 18 geworden, in ihrem Abiturzeugnis stehen nur gute bis sehr gute Noten und neulich kam auch endlich der Brief aus Münster, sie hat die Zulassung für das Jura-Studium bekommen. Damit käme eigentlich in den nächsten Wochen viel Organisatorisches auf Lara zu: Immatrikulation, Änderung des Hauptwohnsitzes, Abschluss einer eigenen Versicherung, BAföG-Antrag, die Suche nach einer Wohnung. Aber diese Aufgaben übernimmt zu großen Teilen Laras Mutter – sie setzt sich bereits seit zwei Jahren ausführlich mit dem Thema Studium auseinander.
Damit ist Lara kein Einzelfall, viele Eltern unterstützen ihre Kinder auch noch nach der Schulzeit. In immer mehr Fällen geht diese Unterstützung weit über das Finanzielle hinaus, manchmal nehmen die Eltern das Leben ihres Nachwuchses komplett in die Hand. In den USA nennt man derart fürsorgliche Eltern „Helicopter-Parents“- Das sind Eltern, die wie ein Rettungshubschrauber immer einsatzbereit über ihren Sprösslingen kreisen.
Dieses Verhalten ist längst nicht mehr auf Amerika beschränkt. Auch in Deutschland gibt es immer mehr Helikopter-Eltern. Und das ist eigentlich komisch. Immerhin sind viele Eltern der heutigen Studentengeneration in einer Zeit groß geworden, in der man sich gegen die Eltern aufgelehnt und seine Selbstbestimmung gefeiert hat. Aber irgendwann sind aus diesen Revolutionären Glucken geworden. Immer mehr Eltern begleiten ihre Kinder zu Bewerbungsgesprächen oder sogar ins Wohnheim. So zumindest beobachtet es Kirsten Schomann vom Studentenwerk Kassel. Sie vermittelt Wohnheimsplätze und hat mittlerweile häufiger mit Eltern zu tun. „Es fängt schon bei der ersten Kontaktaufnahme an“, sagt sie. „Die Eltern rufen an, fragen nach der Warteliste und auf welchem Platz ihre Kinder stehen. Da frage ich schon öfter mal nach, warum das Kind denn nicht selbst anruft, um sich zu erkundigen. Manchmal kommen die Eltern dann sogar mit zu Terminen hier im Haus. Es kam sogar schon vor, dass ganze Familien bei uns aufgeschlagen sind.“
Ähnliches berichtet auch Beate Koch. Sie arbeitet auch beim Studentenwerk Kassel und berät Studenten in Finanzierungsfragen. „Ich hatte mal einen Anruf von einer Mutter, die total aufgelöst war. Ihre Tochter hatte einen wichtigen Brief bekommen, war aber zu dem Zeitpunkt in Griechenland im Urlaub. Ich musste die Mutter erstmal beruhigen. Dann habe ich ihr vorgeschlagen, doch einfach die Tochter im Urlaub anzurufen und abzuklären, ob sie den Brief öffnen darf. Das hat sie dann auch gemacht und war wirklich erleichtert danach. Diese Orientierungslosigkeit und Unsicherheit kommt sehr oft vor.“ Woher kommt die Unsicherheit? Wird sie durch die Vielzahl der Studienangebote ausgelöst? Ist es die Angst vor den gestiegenen Leistungsanforderungen an Schule und Hochschule?
Beate Koch glaubt, dass vor allem der Neuanfang Respekt einflößt. „Am Anfang steht man immer erstmal vor einem riesigen Berg. Da gibt es so viel zu organisieren, so vieles, um das man sich kümmern muss. Aber wenn man sich mal ein bisschen damit auseinandersetzt, merkt man schnell, dass das alles kein Hexenwerk ist. So geht es auch den meisten Eltern: Am Anfang sind sie verzweifelt und dann erleichtert.“
Kirsten Schomann ist dafür, sich den neuen Herausforderungen selbst zu stellen. „Für die angehenden Studenten ist es wichtig, manche Dinge selbst in die Hand zu nehmen und den Schritt ins Studium gleich auch eigenverantwortlich zu gehen“, sagt sie. Die so erlernte Selbständigkeit zahlt sich später aus. Der Personalberater Christian Pape zum Beispiel rät Eltern strikt davon ab, ihren Nachwuchs zu sehr zu bemuttern: „Kinder, die so stark behütet werden, haben später oft nicht die nötige Selbstständigkeit. Fachkenntnis allein ist nicht das Wichtigste, sondern Reife und das Wissen, wohin man später mal möchte. In den Bewerbungsgesprächen zählt nicht ‚was bin ich‘ sondern ‚wie bin ich‘.“
Laras Mutter hat sich den Campus der Universität Münster schon angesehen. Die Hochschule organisiert in Zusammenarbeit mit der Stadt regelmäßig Elternveranstaltungen: Ein Wochenende lang können Mama und Papa die Uni anschauen. Es gibt Führungen, Vorlesungen, Besuche in der Mensa und in Studentenkneipen. Allein der Slogan der „Elternalarm“ genannten Veranstaltung spricht für sich: „Vertrauen ist gut. Ein Besuch in Münster ist besser!“ Auf der zugehörigen Homepage heißt es: „Willkommen in der Stadt Ihrer Kinder! Studiert Ihr Kind in Münster auch ordentlich? Isst es gut und schläft es genug? Kommen Sie doch einfach vorbei und überzeugen Sie sich selbst.“
Mit der Veranstaltung trifft die Hochschule in Münster einen Nerv: Die Elternwochenenden werden regelmäßig von mehr als 1000 Müttern und Vätern besucht. Für viele scheint es selbstverständlich zu sein, regelmäßig nach „den Kleinen“ zu schauen und ihren Werdegang bis ins Detail zu kontrollieren.
Gründe für eine solche Bevormundung gibt es viele. Ein wichtiger Faktor ist das Alter. Momentan liegt der Durchschnitt der Studierenden bei 25,3 Jahren. Aber dieses Jahr strömen bedingt durch den doppelten Abiturjahrgang und den Wegfall von Wehrpflicht und Zivildienst viele sehr junge Studenten an die Universitäten. Der Altersschnitt wird sinken, einige Studenten sind im ersten Semester dann noch nicht einmal volljährig. Ein anderer Grund ist vielleicht das veränderte Eltern-Kind-Verhältnis, das heute weitaus entkrampfter und dadurch vertrauter ist, als es in früheren Generationen der Fall war. Und dann gibt es auch Studenten, die ihre Fächerwahl vor den Eltern rechtfertigen wollen – und sie deshalb in die Planung integrieren.
Doch welcher Motivation die enge Einbindung der Eltern in den Studienverlauf auch entspringt: Die meisten Psychologen, Personalberater und Uni-Mitarbeiter raten von einer zu starken Bevormundung der Kinder durch die Eltern ab. Denn selbst wenn die angehenden Studenten nicht immer auf Anhieb alles richtig machen: Man profitiert ein Leben lang von Erfahrungen, die man selbst macht. Der Literatur-Nobelpreisträger Winston Churchill hat angeblich einmal gesagt: „Es ist ein großer Vorteil im Leben, die Fehler, aus denen man lernen kann, möglichst frühzeitig zu begehen.“
Text: julia-siedelhofer - Foto: stm / photocase.com