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Elf Freundinnen sollt ihr sein

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Plastikflaschen fliegen durch die Luft. Die Schlachtrufe „Wir wollen euch kämpfen sehen“ und „Schiri, wir wissen, wo dein Auto steht“ erschallen – mit lauter, aber nahezu engelsgleicher Stimme. Denn eine Gruppe 11- bis 13-jähriger Mädchen feuert vom Spielfeldrand aus ihre Mitspielerinnen in der D-Jugend-Mannschaft des HSV Friedenstal an. Dann singen sie im Chor ihr Lieblingslied: „Auf den Deichen liegen Leichen mit aufgeschlitzten Bäuchen. In den Bäuchen stecken Messer mit der Aufschrift: Wir sind besser.“ Die Mädchenmannschaft aus Herford spielt in der Kreisliga der Jungen mit und veranstaltet an diesem Tag ihr eigenes Hallenturnier. Dazu hat sie nur Jungs-Mannschaften eingeladen. „Für uns ist das Nachwuchsförderung“, sagt die Vereinsvorsitzende Birgit Schmidt. Im Wettstreit mit gleichaltrigen Jungen würden die Mädchen in Sachen Schnelligkeit und Aggressivität mehr gefordert. „Wir hoffen, dass wir möglichst viele Mädchen in die Damenmannschaft hochziehen können und mit so starken Spielerinnen dann irgendwann in die 2. Bundesliga der Frauen aufzusteigen.“ Bis dahin ist es jedoch noch ein weiter Weg. Erst muss die D-Jugend-Mannschaft nach der Winterpause die Rückrunde, die an diesem Wochenende begann, in der Kreisliga bestehen. In der Hinrunde haben sich die Friedenstaler so gut gegen die Jungs-Mannschaften behauptet, dass sie auf Platz Zwei der Tabelle stehen. Die zwei wichtigsten Führungsspielerinnen der Mannschaft sind Christin Horst und Nina Göking. Obwohl die beiden bereits 13 Jahre alt sind, dürfen sie in diesem Jahr noch einmal in der D-Jugend mitspielen – der Verein hat eine Sondergenehmigung beantragt, weil es in der Altersklasse darüber nicht genügend Mädchen für eine Mannschaft gab. Beide Mädchen spielen in verschiedenen Auswahlteams, in denen Talentierte gefördert werden sollen. Sie helfen im Verein aber auch schon mal in der Mannschaft der 15- und 16-jährigen Mädchen aus. Christin ist Mittelfeld-Spielerin mit Drang zum Tor. Jetzt in der Partie gegen den SV Rüdinghausen gewinnt sie kurz vor der Mittellinie in einem Zweikampf den Ball. Dann umspielt sie einen Gegenspieler links, einen Gegenspieler rechts und knallt den Ball hart mit Vollspann aufs Tor. Der Keeper pariert knapp. Hätte er Zeit gehabt darüber nachzudenken, hätte er das seinen Händen vielleicht lieber doch nicht angetan. Sprücheklopfende Jungs und brüllende Trainer Das war erst der Anfang. Während des Eins, Zwei, Drei, Vier zu Nulls rastet der Trainer der Rüdinghausener mehr und mehr aus. Er möchte von seinen Spielern wenigstens ein bisschen Gegenwehr sehen. „Ihr guckt dumm zu, während die euch den Ball wegnehmen und euch stehen lassen“, brüllt er. Kurz vor dem Spiel hatte der vollbärtige Mann im blauen Trainingsanzug noch wie ein sozialpädagogisch sensibilisierter Mann gewirkt, der den Kindern beibringen möchte, dass Siegen nicht das Wichtigste im Leben ist. Der 11-jährige Nikolai meint: „Spaß macht das nicht, von Mädchen so versohlt zu werden.“ Christin erzählt, in der Kreisliga machten die Jungen vor dem Spiel manchmal blöde Sprüche, von wegen Mädchen und Fußball, das wäre doch nichts. „Aber wir sind meist die stärkere Mannschaft. Spätestens zur Halbzeit ist die Sache dann geklärt.“ Gelegentlich gebe es hinterher auch schon mal Be-schwerden, sie und die anderen Mädchen würden zu hart spielen, so Christin. „Fouls sind nicht in Ordnung“, betont sie. „Aber mit vollem Einsatz spielen wir natürlich schon.“ Ihre schwarzen Stutzen sind nicht ganz abgerollt, so dass ein Teil der Schienbeinschoner zu sehen ist. Im Spiel wirkt Christin fast so routiniert, als hätte sie den Fußball miterfunden. Sie spielt Fußball, seit sie vier Jahre alt war. Wann hat Christin bemerkt, dass sie besser spielen kann als viele andere, auch besser als viele Jungs? „In unserer Mannschaft spielen alle gut. Ich finde nicht, dass ich da was Besonderes bin“, antwortet sie. Sie weiß, dass das nicht stimmt - obwohl sie es nie zugeben würde. Aber sie weiß eben auch, dass Fußball ein Mannschaftssport ist, bei dem es auf jede Mitspielerin ankommt. Sie findet es gut, dass bei ihr in der Mannschaft alle etwa gleich lang zum Einsatz kommen. „Wenn eine die ganze Zeit auf der blöden Bank sitzen müsste, dann wäre das doch richtig unfair“, sagt sie. Nina trägt an ihrem linken Arm die Kapitänsbinde. Auf dem Rücken ihrem rotem Trikot steht eine große weiße Nummer 1. Als Torhüterin legt sie vor allem Wert auf die Strafraumbeherrschung. Meist steht sie ein kleines bisschen vor der Linie. Aus dieser Position kann Nina auch viel besser ihre Mitspielerinnen in Olli-Kahn-Manier anschnauzen. „Der Torwart muss die Hintermannschaft dirigieren“, betont sie. Bevor sie in der Friedenstaler Mannschaft angefangen hat, stand sie in einer Jungs-Mannschaft im Tor. „Da wollten sich einige Jungs anfangs von einem Mädchen nichts sagen lassen“, erzählt Nina. Zu dieser Zeit habe sie sich angewöhnt, notfalls laut zu werden. Torhüterin ist Nina vor allem deshalb so gern, weil sie auf diese Weise immer den Überblick über das ganze Spiel hat. Außerdem findet sie, dass der Torwart in kritischen Situationen wie beim Elfmeter in der angenehmeren Position ist. „Vom Spieler erwarten beim Elfmeter alle, dass er trifft. Im Tor ist es okay, wenn ich den Ball nicht bekomme. Aber wenn ich einen halte, dann werde ich richtig gefeiert. Ich springe immer vor der Linie hin und her, um den Jungen nervös zu machen.“ Interessieren sie und die anderen sich eigentlich schon für Jungs, also auch außerhalb des Fußballfeldes? Klar, sagt Nina. Aber beim Fußball würde man nie einen kennen lernen. „Die geben nach dem Spiel nur kurz die Hand und sind dann immer sofort weg.“ Das Vorbild des 13-jährigen Mädchens ist die Torhüterin Silke Rottenberg. Wie sie würde Nina später natürlich gern in der Nationalmannschaft spielen, Welt- und Europameisterin werden. Doch bevor es irgendwann vielleicht auf die internationale Fußballbühne geht, ist das Ziel zunächst, sich hier beim eigenen Turnier möglichst gut zu schlagen. Der Weg zum Ruhm führt durch die Sporthalle des Berufsschulzentrums – gegenüber von einem türkischen Autohändler und dem Sonnenstudio „Hawaii“ in Herford. Nudelsalat für die Kasse Die meisten Eltern der Friedenstaler Spielerinnen sitzen im kargen Ein-gangsbereich der Halle. Dort verkaufen sie Nudelsalat und essen Torte. Eigentlich sollten sie beides verkaufen, damit möglichst viel Geld für die Mannschaftskasse zusammenkommt. Doch der Nudelsalat ist selbst gemacht und die Torte kommt aus dem Tiefkühlfach – nur selbst gemacht verkauft sich gut. Der Rest muss selbst gegessen werden. „Nina kommt aus einer Torwartfamilie“, berichtet ihr Vater Jörg Göking, während er ein Stück Kuchen mit der Gabel zerkleinert. „Meine Frau war Fußballtorhüterin, ich war Handballtorwart.“ Ihm wäre es lieber gewesen, seine Tochter hätte sich für Handball entschieden, sagt der 50-Jährige. Dann ergänzt er: „Egal. Man muss die Kinder einfach machen lassen. Wenn sie Spaß haben, dann strengen sie sich auch an und haben Erfolgserlebnisse.“ Doch an diesem Tag bleibt der Erfolg ausnahmsweise einmal aus. Denn ausgerechnet beim eigenen Turnier scheiden die Mädchen unglücklich im Halbfinale aus. Danach vergeigen sie auch noch das Spiel um Platz Drei. Christin ist richtig sauer. „Wenn es immer perfekt laufen würde, wäre es doch auch nicht normal“, meint Nina hingegen. Die Gelassenheit ist kein Wunder. Nina hatte in diesem Turnier ihren großen Elfmeter-Moment: Ihre silbern-glänzenden Schuhe blitzen, während Nina auf der Linie herumtänzelt, um den Schützen nervös zu machen. Schon vor dem Anlauf blickt der 12-Jährige unsicher zur rechten Seite des Tores. Dort fischt Nina den halbhoch geschossenen Ball wenige Sekunden später weg – mit eiskalter Reaktion und schnellem Flug. Kurz: mit einer Glanzparade. Diesmal fliegen keine Plastikflaschen durch die Luft. Dafür jubelnde Arme. Die Mannschaftskameradinnen am Spielfeldrand singen mit engelsgleichen Stimmen: „Das war super, das war elegant.“

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