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"Eine latente Sehnsucht nach Ruhe"
Deutsche Rapper besingen gern Probleme aus dem Ghetto, selbst wenn sie aus gefegten Kleinstädten stammen. OK Kid sind da ehrlicher. Jonas, Raffi und Moritz kommen aus Gießen, ihre Songs handeln von Luxusproblemen der Mittelschicht: Mittzwanziger hadern darin mit dem Erwachsensein und wollen vom Leben so viel, dass es weh tut. Damit haben OK Kid einen sogenannten Nerv getroffen. Schon vor dem ersten Album haben sie im Internet zehntausende Fans.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Wer sagt denn, dass Luxusprobleme nicht auch quälen können? Die Band OK Kid aus Gießen
jetzt.de: Komische Frage, aber: Was für Musik macht ihr eigentlich?
Jonas: Popmusik, obwohl die hierzulande ein sehr schlechtes Image hat. Mein Verständnis von Popmusik ist aber vermutlich ein anderes als das von vielen anderen. Ich verstehe darunter Acts wie Friendly Fires, Hot Chip oder Miike Snow – nicht dieses Larifari-Mainstream-Zeug. Wir könnten natürlich auch sagen: Wir machen Indietronic-Elektronika-Rap, aber für uns ist das einfach Popmusik.
Manche sagen, ihr orientiert euch gar nicht am Zeitgeist, sondern eher an der Musik eurer Jugend. Stimmt das?
Ja, total. In der Jugend gibt es ja eine Phase, in der man noch völlig unbefangen an Musik herangeht: in der man Songs feiert, ohne dass das Genre oder die vermeintliche Coolness des jeweiligen Acts eine Rolle spielen. Da geht es einfach und allein um das Gefühl, das die Musik in einem auslöst. Genau da wollten wir mit dem neuen Album wieder hin – zu einem guten Popsong, ohne uns die Frage zu stellen: Was ist eigentlich gerade der hippe Scheiß?
Die deutsche Rap-Szene ist mit Künstlern wie Marteria, Casper und Kraftklub gerade so facettenreich und aufgeschlossen wie selten zuvor.
Kann sein, dass wir gerade zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind. Aber das war kein kalkulierter Business-Move, sondern hat sich so entwickelt.
http://www.youtube.com/watch?v=4Fvxi0IKJno
Hätte man eure Platte auch vor fünf Jahren schon verstanden?
Nein, auf keinen Fall. Da hätten wir es sehr viel schwerer gehabt, weil die Grundlage für das Verständnis für diese Form von Musik damals noch gar nicht vorhanden war. Damals steckten alle noch zu sehr in ihrem eigenen Genre, eine Vermischung gab es nicht. Ich glaube aber, dass jede Musikrichtung am Anfang diese Abschottung braucht, um sich erst einmal selbst zu begreifen.
Wie wichtig ist Abgrenzung für euch als Band?
Abgrenzung um der Abgrenzung willen ist albern. Aber wir versuchen, uns gegen bestimmte Klischees zu stellen und nicht in diese Hipster-Rap-Ecke geschoben zu werden, bloß weil das gerade in ist.
Die Platte wirkt wie ein Dokument der sogenannten Twenty-Somethings von heute. Seht ihr das auch so?
Absolut. Für mich ist jeder einzelne Song wie eine Episode einer Serie über die heutige Zwanzig-Irgendwas-Generation. Zum Beispiel das Stück „Kaffee warm“: Da geht es um die Entscheidungsschwierigkeiten, Bindungsängste und den ungelenken Umgang mit dem Überangebot unserer Generation. Ich kenne unglaublich viele Menschen, die keine Partnerschaft mehr führen können, weil sie wegen der Masse an Möglichkeiten immer noch auf etwas Besseres warten.
Ist diese vermeintliche Vielzahl an Möglichkeiten nicht trügerisch? Schließlich ist nicht jeder Single der Stadt gleichzeitig auch ein potenzieller Partner.
Stimmt natürlich. Trotzdem kann man in unserer Generation eine Rastlosigkeit beobachten, die in der Generation unserer Eltern in dieser Form nicht da war. Heute ist jeder auf der Suche nach seinem individuellen Glück. Bei der Masse an Möglichkeiten ist das oft wie eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Bei unseren Eltern war der Weg viel klarer vorgezeichnet: Heiraten, Kinder kriegen, Haus bauen, fertig. Da gab es mehr Struktur, das war einfacher. Ob das deshalb auch besser war, steht auf einem anderen Blatt.
Woran merkst du das im Alltag?
Ich habe mich letztens mit meinem Vater unterhalten und ihn gefragt, warum er eigentlich keinen Getränkehalter im Auto hat. Er sah mich ganz verwundert an und sagte, dass er seinen Kaffee lieber in Ruhe zuhause trinkt. Für unsere Generation ist das völlig normal – wir haben in der linken Hand das Handy, in der rechten den Kaffeebecher und steuern mit der Macht der Gedanken noch irgendwie den Wagen. Dieses Leben ist von permanentem Multitasking geprägt, was uns aber nicht unbedingt glücklicher macht. Deshalb ist unsere Platte auch geprägt von einer latenten Sehnsucht nach Ruhe.
Diese Unfähigkeit, sich festzulegen, hängt vielleicht auch damit zusammen, dass wir krampfhaft versuchen, die eigene Jugend in die Länge zu ziehen.
Ja, das stimmt. Die 40-Jährigen sind heute die neuen 30-Jährigen. Und dieser Druck, weiterhin jung zu sein und verrückte Sachen zu machen, ist ein Trend, der so schnell nicht aufhören wird. Aber es wird auch wieder eine Gegenbewegung geben, die Werte wie Familie, Ruhe und Geborgenheit propagiert. Ihr werdet sehen.
Das Album „OK Kid“ erscheint am 5. April.
Text: daniel-schieferdecker - Foto: Stefan Braunbarth