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Ein Wurm auf dem Sprung

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Der erste große Applaus des Air & Style 2007 gehört ihm. Als der Sprecher beim Snowboard-Event Anfang des Monats Marco Smolla ankündigt, wirkt sein Heimvorteil: Mehrere tausend Menschen in der Arena und auf den Rängen des Olympiastadions jubeln Marco zu, klatschen, pfeifen, feuern ihn an. Man sieht, dass ihn das berührt. Noch vor wenigen Sekunden stand er konzentriert am Anfang des Inruns für den monströsen Kicker, über den er sich gleich werfen wird. Fast ein wenig in sich gekehrt klatschte er in die Hände, als wolle er sich selbst anfeuern. Jetzt, da das Publikum ihn anfeuert, blickt er auf, saugt die Atmosphäre in sich auf. Mit einem kleinen energischen Sprung dreht er die Nose seines Bretts gen Tal und nimmt Anlauf für seinen ersten Sprung bei der Rookie Challenge des Air & Style. Salto, 180-Grad-Drehung Rookies, das sind die Nachwuchstalente des Sports. Sie haben ihren Auftritt vor dem eigentlichen Spektakel: Bevor 16 der weltbesten Snowboarder im K.O.-System in einem der wichtigsten Contests Europas gegeneinander antreten. Der Air & Style hat in den 14 Jahren seines Bestehens seinen Rang als Vater aller Big Air Contests nicht verloren. Ob in den Innsbrucker Anfangszeiten, in Seefeld oder in München, wohin er 2005 unter lautem Protest der österreichischen Snowboardfans umzog – beim Air & Style zauberten die Fahrer immer wieder Tricks hervor, die man vorher noch nicht gesehen hatte und die richtungsweisend für die Zukunft des Snowboardens wirkten. Ihren Höhepunkt fand diese Entwicklung 2006, als Travis Rice mit einem Double Backflip late 180 gewann (das sind zwei Rückwärtssaltos mit einer 180-Grad-Drehung kurz vor der Landung). Dadurch, dass derart hochkarätiges Snowboarden statt fernab auf einem Gletscher vor einem großen Publikum stattfindet und MTV seit zehn Jahren den musikalischen Teil der Veranstaltung unter seinen Fittichen hat, ist der Air & Style zu einer massenwirksamen Veranstaltung geworden, die weit mehr Leute erreicht als nur die Subkultur, die die Snowboardszene immer noch ist. Mittlerweile ist er sogar mit Live-Mitschnitten im Aktuellen Sportstudio des ZDF angekommen. Als Marco und die anderen Rookies die aus 355 Tonnen Stahl zusammengebaute Rampe erklimmen, befindet sich der Event noch in seiner Aufwärmphase. Noch taucht kein Bataillon aus Scheinwerfern den Kunstschnee und die Luft, durch die die Snowboarder fliegen, in buntes Licht. Es nieselt leicht, das Stadion ist halb leer und die Stimmung noch nicht glühweinschwanger und durch Konzerte aufgeheizt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Marco alias Wurm. Im Portrait und im Sprung. (Foto: Christian Brecheis) Facharbeit im Flieger Diese Degradierung zum Vorgeplänkel haben die Rookies nicht verdient. Ihr Snowboarden ist nicht viel schlechter als das der großen, wie Marco bestätigt: „Jeder der Rookies kann Tricks hinstellen, die ihn auch bei den ‚Erwachsenen’ eine Runde weiterbringen würden.“ Den eindrucksvollen Beweis dafür erbringt später am Abend der 17-jährige Mikkel Bang, der 2006 ebenfalls noch bei den Rookies an den Start ging. Sein Sieg dort hob ihn automatisch in den Hauptcontest dieses Jahres – den er vor vielen großen Namen auf dem zweiten Platz beendet. Bis auch Marco Smolla sich bei den Topfahrern behaupten kann, wird es noch ein bisschen dauern. Es ist noch „ein harter Weg“, das sagt er selbst. Momentan gibt es aber noch andere Fronten als seinen Aufstieg in den Snowboard-Olymp: das dieses Schuljahr anstehende Abitur zum Beispiel. Dass sich beide Ziele in die Quere kommen, ist unvermeidlich, und das stört ihn ein bisschen. Er würde sich lieber auf eine Sache voll konzentrieren. Momentan kann er trotz seines großzügigen Direktors, der ihm viele Freiheiten lässt, nicht so viel Zeit auf dem Berg verbringen, wie er gerne würde. Dass die Schule ihm wirklich Sorgen bereiten würde, kann man allerdings auch nicht behaupten. Eine Klasse des Gymnasiums hat er ohnehin schon übersprungen, und solange er seinen Rektor „mit den Noten einigermaßen zufrieden stellen“ kann, scheint er sich keinen allzu großen Kopf zu machen: Ende November hetzte Marco anstatt zu lernen von Interviewtermin zu Interviewtermin, hielt sich nicht am Schreibtisch auf, sondern beim Training in Hintertux oder im Olympiastadion. Auch wann er seine Mathe-Facharbeit schreiben soll, weiß er noch nicht so recht. Vielleicht während des Flugs zu den Nanshan Open, einem Contest in China, den er im Januar mitfahren wird. „Die fanden mich arrogant“ Marcos Flüge beim Air & Style sind nicht vom Glück begleitet. Dem ersten Sprung mangelt es nicht an Weite und Style, aber er bringt seine Rotation nicht ganz zu Ende und landet unsauber. Unter der Wucht des Aufpralls bricht eine seiner Bindungen. Als hätte jemand eine Guillotine angesetzt, so sauber ist sie halbiert. Nurmehr mit einem Fuß am Brett fixiert, rettet sich Marco irgendwie nach unten. Dann: Hektik. Ein Ersatzbrett hat er dabei, eine zweite Bindung nicht, denn so ein kompletter Bindungsbruch kommt so gut wie nie vor. Die Rettung naht in Person von Tobi Strauß, einem guten Freund aus der Garmischer Snowboard-Crew Isenseven, der ebenfalls am Contest teilnimmt. Dessen Bindung schraubt Marco auf sein Board und eilt mit Verspätung zu einem der Motorradfahrer, der ihn zurück zur Rampe bringt. Doch die Konzentration scheint dahin, auch den zweiten Sprung kann Marco nicht sauber landen. Isenseven ist, was das Snowboarden angeht, Marcos Familie. Die Garmischer machten in den letzten Jahren auch international durch einfallsreiche, mit vergleichsweise wenig Budget produzierte Snowboardfilme auf sich aufmerksam. Zu ihnen fand Marco auf der Zugspitze: „Am Anfang hielten die mich aus irgendeinem Grund für total arrogant. Aber so oft, wie wir uns da über den Weg gelaufen sind, mussten wir uns irgendwann kennen lernen.“ Seitdem ist Marco in das Filmprojekt involviert und unternahm mit den Isenern Filmtrips in die USA, nach Kanada und Norwegen. Auf Deutschlands höchstem Berg war es auch, wo Marco von seinem ersten Sponsor Nitro entdeckt worden ist. Erst zwei Jahre stand er da auf dem Brett. Der Veranstalter seines Snowboard-Anfängerkurses von damals ist heute übrigens auch einer seiner Geldgeber. Marco war immer der Kleinste und Jüngste bei Isenseven und im Snowboardzirkus. „Wurm“ lautet deswegen sein Spitzname, der seit einiger Zeit sogar in Snowboardmagazinen auftaucht. Gelten kann diese Bezeichnung aber höchstens auf sein nicht gerade steil nach oben strebendes Äußeres. Denn wer mit ihm spricht, stellt fest: Marco wirkt ziemlich erwachsen. Er ist keines der vielen Yo-Bro-Snowboardkids. Er blickt über seinen Tellerrand hinaus, hat einen kultivierten Musikgeschmack. Immer mit Älteren unterwegs zu sein, so viele Teile der Welt zu bereisen und Verantwortung zu tragen – das hat ihn reifen lassen. Während anderen in seinem Alter die Vereinbarung eines Friseurtermins als organisatorische Herausforderung erscheint, holt Marco, der mit 15 schon alleine in Neuseeland war, am Telefon in perfektem Englisch Informationen für seinen Trip nach British Columbia ein – nach BC, wie er es fachmännisch nennt. Aber Marco kann auch ein ganz normaler 18-Jähriger sein. Einer, der viel feiern geht im Atomic Café, der mit Kumpels Snooker spielt, am Eisbach surft und Musik hört. Der, nachdem er den Rookie-Contest hinter sich gebracht hat, mit seinen Jungs auf der Tribüne des Olympiastadions steht und selbst Teil des tosenden Applaus ist, der zu Beginn des Air & Style noch ihm galt.

Text: christian-helten - Fotos: Christian Brecheis

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