Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Ein Lob auf die Kurzkultur: Trailer, T-Shirts, Twitter – warum die beste Unterhaltung selten mehr als drei Minuten braucht

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

1 Dreißig Sekunden. Länger brauchte Yael Naim nicht, um ihren Ohrwurm so in die Köpfe der Zuschauer zu singen, dass „New Soul“ zu einem überraschenden Welt-Hit wurde. Die Sequenz, die ein Computerhersteller als Werbespot für sein dünnstes Notebook wählte, reichte aus, um Yael Naim und ihre Musik weltweit bekannt zu machen. An dieser Erfolgsgeschichte kann man beispielhaft ablesen, wie Werbung heute Hits produziert. Wenn eine große Marke wie Apple einen Song für ihre Werbespots auswählt, macht das die Band mit größerer Gewissheit zu Superstars als ein Besuch bei Dieter Bohlen. Nächster Beweis für diese These wird die britische Band The Ting Tings sein, deren Lied „Shut Up And Let Me Go“ vertont gerade auf allen Sendern die iPod-Werbung und ist auf dem besten Weg, ein Sommerhit des Jahres 2008 zu werden.

2 Hits funktionieren heute mehr denn je auch ohne die komplizierte Verpackung eines so genannten Albums. Musik kauft man nicht mehr wie Eier im Dutzend, sondern liederweise. Das muss nicht den Tod des Albums bedeuten, es heißt aber sicher, dass man langweilige Lieder nicht mehr wie früher mit der Forward-Taste am CD-Player überspringt. Heute hört man sich online vorab einen 30-Sekunden-Ausschnitt an und kauft nur noch die Songs, die einem gefallen.

3 Bei dieser Entscheidung spielt übrigens wider Erwarten das Musikvideo eine stetig wichtige Rolle. Obwohl MTV das M nur noch aus nostalgischen Gründen im Namen zu tragen scheint, werden weiterhin gute und interessante Clips produziert. Das Genre Musikvideo verdankt dem Internet einen neuen Schub. Bestes Beispiel dafür ist die gerade eben  mit inszeniertem Gewalt-Skandal per Musikvideo beworbene Single „Stress“ des französischen Weezer. Bereits 1995 ließen sie sich für den Clip zu „Buddy Holly“ von Regisseur Spike Jones in Arnold’s Diner in Szene setzen. So entstand ein Clip, der in Wahrheit eine kondensierte Homage auf die TV-Serie „Happy Days“ war, in deren Kulisse das Video nämlich spielte. Im Sommer 2008 melden sich Weezer erneut mit einer Homage zurück. Mit ihrem in diesen Tagen erschienenen Video zum Song „Pork and Beans“ verneigen sie sich vor der Schnipsel-Kultur des Internets. In den 3:15 Minuten, die der Clip dauert, treten zahlreiche Webstars auf, die man aus kurzen Filmen auf Plattformen wie YouTube bereits kennt.

4 Überhaupt reicht der Verweis auf das von Chad Hurley und Steve Chen gegründete Videoportal, um den Aufstieg der Kurzkultur zu illustrieren. YouTube ist der vermutlich wichtigste, aber nicht der einzige Weg, über den man kurze Kultur konsumieren kann. So hat die Produktionsfirma „Brainpool“ vor kurzem die Seite MySpass ins Netz gestellt, über die sie speziell fürs Internet portionierte Häppchen ihrer TV-Sendungen wie Stromberg, Pastewka oder Ladykracher verbreitet. Und auch außerhalb des Netzes zeitigt die Häppchen-Kultur ihre Folgen. So ist der Weiter-Erzählwert der früher dreiviertelstündigen Late-Night von Harald Schmidt heute auf die knapp dreiminütige „Bayern-WG“ mit Oliver Pocher geschrumpft.

5 Schmidt und Pocher bedienen mit diesen kurzen Filmen den Humor der Menschen, die sich selbstverständlich per Mobiltelefon in 160 Zeichen unterhalten können. Denn die SMS genannte Kurzmitteilung ist sozusagen die Mutter der Kurzkultur. Trotz aller Klagen über den Wertverlust, die die daumengetippte Smiley-Kommunikation mit sich bringe, ist sie in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Schließlich gibt es kaum mehr Texte über das Leben der Kanzlerin, in denen darauf verzichten würde, zu betonen, wie modern die SMS-tippende Regierungschefin sei.

6 Dass die Kurzmitteilungs-Kommunikation nicht nur zu merkwürdigen Emoticons führt, sondern auch einen aufs Wesentliche konzentrierten Sprachstil fördert, beweisen T-Shirt-Angebote im Internet. Auf Webseiten wie CafePress, Threadless oder Spreadshirt  kann man kurze Botschaften aufs kurze Hemd drucken lassen – bei steigender Popularität. Das Magazin Wired lobte dies unlängst mit den Worten: „In Zeiten wachsender Medien-Sättigung werden T-Shirts zu engverbundenen Nano-Statements.“ Soll heißen: Jeder kann seine eigenen Shirts mit eigenen Botschaften gestalten.

7 Doch das Interesse an der kurzen Kultur beschränkt sich nicht auf den privaten Freundeskreis. Auch die Wirtschaft hat die Verkürzung und Verknappung für sich entdeckt. Nicht nur in Form von Smoothies, die als vermeintliches Trend-Getränk diesen Gedanken in den Saftladen tragen. Dabei verhält sich der Apfel zum Smoothie wie die Hoch- zur Häppchenkultur. Letztere ist populärer, aber nicht minder nahrhaft. 

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Zahlreiche Firmen versuchen, diese Popularität für ihre Interessen nutzbar zu machen. Ein Fernseh-Hersteller beauftragte beispielsweise unlängst den Akte X-Regisseur David Nutter damit, Programm-Trailer für eine erfundene US-Serie zu erstellen. Die Clips mit Hauptdarstellerin Scarlet, die einen weiblichen James Bond gibt, wurden in der TV-Werbung ausgestrahlt.

 

8 Wenn die SMS die Mutter der Kurzkultur ist, dann muss man den Filmtrailer als Vater anerkennen. Den Inhalt von Kinofilmen mit bombastischer Musik und tiefen Männerstimmen zu unterlegen und auf eine maximale Länge von zwei Minuten zusammenzuschneiden, ist nicht neu. Diese Kurzfilme haben ein eigenes Genre begründet – jährlich ehrt der Goldentrailer-Award die besten ihrer Art. Sie sind mittlerweile so gut, dass das US-Satiremagazin Onion seine Leser unlängst mit dieser Meldung überraschte: „Paramount Pictures“ plane wegen des Erfolgs des Trailers von Iron Man, daraus einen Spielfilm zu machen. 

Der Witz funktioniert deshalb so gut, weil manche Trailer tatsächlich besser sind als die Filme, die sie bewerben sollen. Man versteht innerhalb von zwei Minuten den Inhalt von anderthalb Stunden, lacht über alle guten Witze und kann zudem jederzeit mitreden, wenn das Gespräch auf den Film kommt.

 

9 Neben dem klassischen Trailer hat sich so eine weitere Kunstform der Komprimierung herausgebildet: Der amerikanische Sender HBO lieferte dafür unlängst ein besonderes Beispiel, indem er den Inhalt seiner Serie The Wire auf eine Länge von je einer Minute pro Staffel reduzierte und im Internet verbreitete. Ähnlich funktionieren Clips, die dieser Tage im Netz kursieren und „alle Filme von Stanley Kubrick“ innerhalb von acht Minuten versprechen.

 

10 Mutter und Vater der Kurzkultur geht es so gut, dass sie sich gerade an einem besonders populären Sprößling erfreuen. Er hört auf den Namen Twitter und steht für eine neue Form des Microbloggings (Hier ist das Twitter-Prinzip erläutert). Dabei handelt es sich um eine besonders verknappte Form des Publizierens im Internet. Dem Schreiber stehen lediglich 140 Zeichen zur Verfügung, in denen er vor allem die Frage beantwortet: „Was machst du gerade?“ Diese Überhöhung des Alltäglichen wird jetzt auch in Deutschland zum nächsten großen Internet-Hype erklärt. Doch selbst wenn man die allgemeine Aufregung abzieht, bleibt immer noch eine spannende neue Anwendung, deren Reiz vor allem in der Reduktion liegt.

 

Welche Kurzkultur gefällt dir? Oder bist du gegenteiliger Ansicht? Die Debatte über Reduktion in den Kommentaren!

  • teilen
  • schließen