- • Startseite
- • jetztgedruckt
-
•
Ein bißchen glücklicher
Im Hostel „The Groove“ in Budapest sitzen vier 21-jährige Amerikaner um den Tisch in der Lobby. Es ist Samstag, ein Uhr nachts und Hostelgründer Dániel nickt müde zu Sätzen wie „Budapest is definitly the best place ever“. Er ist mit Essen beschäftigt: Seine Gäste haben Pasta gekocht, er ist eingeladen. Von innen sieht das Hostel aus wie eine durchschnittliche Berliner WG. Die Wände sind terracottafarben gestrichen und auf einem Regal über der Küchenzeile thronen leere Schnaps- und Whiskeyflaschen wie Trophäen. Es gibt drei Mehrbett- und ein Doppelzimmer. In den Zimmern stehen Pflanzen und bunte Kissen, das Badezimmer ist schwarz-rot gekachelt. Irgendjemand ist immer wach und noch am frühen Morgen dringen Gitarrenklänge aus der Lobby. Dániel ist 31, trägt weite Hosen und sieht aus wie der Globetrotter, der er gar nicht ist. Zum Reisen hatte er bisher wenig Zeit, er musste arbeiten, er gehörte zu den Gewinnern der EU-Erweiterung: Acht Jahre arbeitete er als Koordinator bei einem Mobilfunkanbieter und verdiente gutes Geld, mehr als die meisten Menschen in Ungarn, wo das Durchschnittseinkommen bei 420 Euro liegt. „Aber“, sagt Dániel, „die Arbeit war extrem langweilig.“ Eines Morgens wachte er auf und kündigte. Er fuhr zu seinem Schulfreund Peter und schlug ihm vor, gemeinsam ein Hostel zu gründen. Seit er 1996 im Urlaub in Barcelona in einem übernachtete, hat er von seinem eigenen Hostel geträumt.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Dániel (links) in seiner neuen Arbeit.
Im Sechsbettzimmer hockt Alison Wood auf dem Boden. Sie hat das Theatergebäude nebenan abgezeichnet, dann gescannt, dann mit Beamer an die Wand projiziert und schließlich schwarz, wie einen negativen Scherenschnitt mit Tusche auf die mangofarbene Wand gemalt. Alison kommt aus New York und hat einen dreiwöchigen Yogakurs in Budapest gemacht. Dániel hat ihr einen Deal angeboten: Sie bemalt die Wand und bekommt dafür einen Spezialpreis.
„Ein Hostel zu gründen“, sagt Dániel, „ist gar nicht so einfach.“ Man braucht eine Wohnung, die zentral und in einer sicheren Gegend liegt, die die richtige Größe und die richtige Anzahl Zimmer hat. Vor allem aber braucht man einen Vermieter, der sich mit dem Hostelbetrieb anfreunden kann.
„The Groove“ liegt in einem Haus aus der Gründerzeit an einer der Hauptverkehrsstraßen Budapests. Im Erdgeschoss gibt es zwei Bars, ein Fahrstuhl aus den Zwanziger Jahren bringt die Gäste in den zweiten Stock. Bevor „The Groove“ im August 2008 eröffnen konnte, mussten die Wände gestrichen, mussten eine Waschmaschine und ein Trockner gekauft werden. Dann noch: Telefone, Internetverbindungen, Buchungssystem, Homepage. Und Personal. Eine Schicht im Hostel geht von neun Uhr morgens bis ein Uhr nachts. Lily, eine Studentin, arbeitet hier für zwei Euro die Stunde. Wenn neue Gäste kommen, kocht sie ihnen einen Tee oder einen Kaffee und fängt ein Gespräch an – meist auf Englisch. 95 Prozent aller Hostelgäste sind zwischen 18 und 22 Jahren alt, die meisten kommen aus Westeuropa, den USA oder Australien, sind gerade mit der Schule fertig und haben Zeit und Geld, die Welt zu sehen. An ungarische Gäste kann sich Dániel nicht erinnern.
Redet man mit ihm, spürt man, dass der große Traum von einem eigenen Hostel auch sehr schnell ziemlich alltäglich wenn nicht gar nervig sein kann. Für die Besucher, die nur eine Nächte bleiben, ist im Hostel alles spannend und neu, bei ihnen herrscht immer Euphorie, sie sind immer begeistert, sie müssen, scheint es manchmal, nie schlafen. Jedes Gespräch mit ihnen ist small talk, jedes Kleinod, das sie in Budapest gefunden haben, kennt Daniel schon. Er hat ihnen den Geheimtipp schließlich gegeben.
Heute sieht er nicht mehr soviel von der Stadt. Er arbeitet nebenher noch für das Unternehmen seiner Mutter und eine Drogen-NGO und sitzt den größten Teil des Tages telefonierend in der Lobby, vor sich den Rechner. Er kauft das Klopapier, macht die Werbung, er hört seinen Gästen zu. Ist er glücklich?
„Ich sehe das so“, sagt er: „Wer hierher kommt, ist auf Reisen. Wer auf Reisen ist, hat meistens gute Laune. Und wer guter Laune ist, lächelt. Es gibt schlimmeres, als den ganzen Tag von glücklichen Menschen umgeben zu sein.“
Es wird wieder Nacht über Budapest, zwei Australierinnen und ein Brite wollen ausgehen. „Willst du mitkommen, Dániel?“ fragen sie. Er schüttelt den Kopf. Er muss noch die Abrechnung vom vergangenen Monat machen, die Löhne überweisen.
Schlafen gehen.
Text: anke-luebbert - Foto: privat