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Durch die Berliner Nacht mit Bushido
Es ist ein Mittwochabend im Juli, 22 Uhr. In der Tiefgarage am Berliner Hauptbahnhof, Ebene 2, steht der Rapper Bushido gelangweilt neben seinem frisch polierten 7er BMW. Er trägt ein weißes Hemd und einen schwarzen Designeranzug. Seine Haare sind kurz geschoren. Die erste Szene für den Videoclip zu seinem Song „Von der Skyline zum Bordstein zurück“ ist gerade abgedreht. „Ich hasse Videodrehs“, sagt er genervt. Was erfährt man über die Welt von Bushido, die Welt eines Rapstars aus Berlin, wenn man ihn zwei Tage lang begleitet?
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Zweite Szene. 23 Uhr. Es geht nach oben ans Ende der Bahnhofshalle. Die Putzkolonne bereitet den Bahnhof schon für den nächsten Tag vor. An der Rolltreppe, die zum Gleis 6 hinunterführt, baut die Filmcrew das Set auf. Bushido gähnt, schaut auf seine Breitling-Uhr und reibt sich die Augen. Er sieht, wie seine Freunde D-Bo und Kingsize den Drehort verlassen und wirft ihnen neidische Blicke hinterher. Wenige Sekunden später schaltet Bushido von Standby auf Automatik und rappt seinen Text in die Kamera. Der Regisseur ist begeistert. Bushido steht auf und kommt lächelnd auf mich zu. „So sieht also der Videodreh des erfolgreichsten deutschen Rappers aus: Ich muss bescheuert auf einer Rolltreppe hoch und runterfahren.“ Bushido heißt mit bürgerlichem Namen Anis Ferchichi, er ist bei seiner Mutter aufgewachsen. Kein dramatischer Sozialfall; seinen tunesischen Vater hat der 27-Jährige trotzdem nie kennen gelernt. Seine Schulzeit am Gymnasium behält er in positiver Erinnerung. „Das wurde mir aber erst später klar“, resümiert er, „nachdem ich in der 11. Klasse alles hingeschmissen hatte.“ Bushido wird ein typischer Metropolen-Herumhänger: arbeitslos, Dealer, Krimineller. Eine Karriere als Rapstar ist trotz erster Reime zu NWA noch in weiter Ferne. Stattdessen greifen die Fahnder zu. „Ich saß da mit einer Gras-Lieferung und landete zum dritten Mal vorm selben Richter. Ich hatte Glück: Statt Knast kam ich in ein Ausbildungsheim am Wannsee.“ Hier macht Bushido eine Lehre als Maler und Lackierer. Heute lebt er am Berliner Stadtrand im Bezirk Tempelhof. 0:30 Uhr. In Bushidos BMW geht es zum nächsten Drehort. Er spielt mir Songs von seinem neuen Album vor. „Eigentlich höre ich meine eigene Musik nicht“, sagt Bushido geschäftsmännisch. „Ich kann auch nicht verstehen, warum andere mich so krass feiern. Ich bin kein Fan von mir. Ich höre lieber Depeche Mode!“ Der nächste Ort des Videodrehs liegt im Osten Berlins, neben der U-Bahnstation Warschauer Straße. Ein riesiger Kran hält eine überdimensionale Lichtwanne über das Set. Wir parken darunter, bleiben im Auto sitzen und beobachten das Geschehen. „Da kommen die Nutten“, erkennt Bushido. „Denken die wirklich, irgendwann mal echte Schauspielerinnen zu werden? Schreiben die dann in ihren Lebenslauf, ich habe im Video von Bushido eine Straßennutte gespielt?“ Seine Karriere. Im September 2001 veröffentlicht Bushido sein erstes Tape „King of Kingz“ auf dem HipHop Label „Aggro Berlin“. Seine Alben „Electro Ghetto“ und „Staatsfeind Nummer 1“ werden jeweils mit einer Goldenen Schallplatte ausgezeichnet. Im Juni 2005 wird Bushido wegen einer Schlägerei in Österreich festgenommen, verbringt 15 Tage in Untersuchungshaft, wird aber schließlich freigesprochen. Obwohl er Anfang des Jahres überraschend gegen die großen Favoriten Rammstein und Silbermond den Echo in der Kategorie „Bester Live-Act“ gewinnt, gibt es keinen deutschen Rapper, der so stark polarisiert wie Bushido. Sein Auftritt beim diesjährigen Rock im Park-Festival wird von 8000 Rockfans boykottiert, woraufhin sein Erscheinen einen Tag später bei Rock am Ring aus Sicherheitsgründen abgesagt werden muss. Die nächste Szene spielt vor einer alten Häuserruine. Bushido öffnet den Kofferraum seines BMWs und zieht sich um, weißer Lacoste-Pullover, olive-grüne Bomberjacke, Jeans, weiße Nike-Sneakers. Mittlerweile summt die Crew jede Strophe auswendig mit: „Wie von selbst, Lederjacken, Silberketten. Früher hieß es für mich jede Nacht, ich bin am Rappen!“ Bushido performt auch um 5 Uhr morgens noch fehlerfrei seinen Text in die Kamera. Einmal, fünfmal, zwanzigmal. Drehschluss. „Vielen Dank, dass ich heute wegen euch ungefickt ins Bett gehe“, ruft er zur Crew. Alle lachen. Der erste Drehtag ist zu Ende. 16 Uhr im Gebäude von Universal Music: Im Foyer wartet eine kleine Gruppe junger Mädchen auf Tokio Hotel, die auch im Haus sind. Als sie Bushido erkennen, rennen sie kreischend auf ihn zu. Jessica, 14, aus Potsdam fängt an zu weinen. Bushido wischt ihr mit seinem T-Shirt die Tränen aus dem Gesicht. „Wieso weint sie?“, fragt er ihre Freundinnen. „Na, weil sie in dich verliebt ist!“, schallt es im Chor zurück. Fans von Tokio Hotel mögen also auch Bushido. „Ich bin der erste deutsche Rapper, der auf dem Cover der Bravo war“, sagt Bushido später im Auto. „Deswegen sind die kleinen Mädchen jetzt alle verrückt nach mir.“ Wir fahren zwei Kilometer weiter ans Kottbusser Tor und parken vor Bushidos Lieblingsrestaurant im Halteverbot. „Hier gibts die beste Bohnensuppe und die unfreundlichste Bedienung der Stadt. Aber das ist Berlin, Alter!“. Wir sind die einzigen Gäste, die drinnen sitzen. Kein Wunder, bei 32 Grad im Schatten. Bushido bestellt und legt sofort wieder los: „Ich finde den Bill von Tokio Hotel ja schon ein bisschen geil. Ich bin jetzt nicht schwul oder so, aber der macht mich an. Kingsize, der Produzent von Eko Fresh findet das übrigens auch.“ 20 Uhr. Ankunft U-Bahnstation Rathaus Spandau. Ein paar Jugendliche stehen neben der Rolltreppe. Als sie Bushido sehen, zücken sie ihre Handys. Wir gehen schnell in den kleinen Asialaden, in dem die nächste Szene gedreht wird. Wie am Vortag gibt es keine Bodyguards. Eine halbe Stunde später belagern etwa 50 Fans den Drehort. Der 17-jährige Ahman beginnt zu rappen. Die Mädchen, die um ihn herumstehen, fangen an zu kichern. „Das müssen wir uns immer anhören“, sagen sie belustigt. Jan, 12 Jahre, von seinen Freunden angestachelt, nimmt all seinen Mut zusammen und stellt sich vor den Asialaden: „Bushido, komm’ raus zum Battle. Du bist nicht Sonny Black, du bist Sonny Depp!“ Ich frage ihn, wieso er das sagt, immerhin trägt er ein T-Shirt von Bushidos Label „ersguterjunge“. „Na, warum wohl?“, antwortet der Junge. „Damit er mir ein Autogramm gibt.“ 23 Uhr. Auf dem Weg zurück zum Auto folgen uns die Fans. Ahman läuft seitlich neben Bushido her und hofft auf ein kurzes Gespräch. Bushido geht weiter, ohne ihn anzusehen. Bushido: „Was willst du?“ Ahman: „Darf ich dir was vorrappen?“ Bushido: „Nein!“ Ahman: „Darf ich dir meine Demo-CD geben?“ Bushido: „Nein!“ Ahman: „Darf ich sie dir schicken?“ Bushido: „Die Adresse steht auf meiner Homepage!“ Ahman: „Aber da schicken doch alle was hin.“ Bushido: „Genau. So wie du. Und jetzt geh’!“ Wir fahren weiter. Im Radio läuft „The Sun Always Shines On TV“ von A-Ha. Bushido dreht lauter und wippt im Takt. Mit 90 km/h durch die Berliner Nacht. Rote Ampeln werden konsequent überfahren. Wir halten an der Weidendammer Brücke am Reichstagufer, direkt neben der bekannten Friedrichstraße in Berlin-Mitte, und gehen direkt zum Buffet. Es gibt Salate, Lasagne und frisches Obst. Bushido nimmt sich eine große Schüssel Ananas und setzt sich grinsend an einen der drei Plastiktische: „Wisst ihr, dass Sperma krass übel stinkt, wenn man Ananas gegessen hat?“ In der nächsten halben Stunde erfahren wir alles über Bushidos Sexpraktiken und Lieblingsstellungen. Letzter Drehort. Eine orientalische Bar in Kreuzberg direkt neben dem Stripclub „Rosie’s“. Bushido zieht sich wieder um: weißes Hemd, schwarzer Anzug von Helmut Lang. „Mein Lieblingsanzug“, sagt er. Bushido lässt sich in einen Kissenberg fallen und bestellt zur Entspannung eine Wasserpfeife mit Kirschgeschmack. Es wird über Fußball geredet: über seinen Helden Zinedine Zidane, über den Weltmeister Italien, unverdient, wie Bushido findet, und über die Zukunft des deutschen Fußballs. „Klinsmann hat es richtig gemacht. In Deutschland gibt es sowieso nur Neider. Schau mal, ich bin der einzige deutsche Rapper, der dreimal im Jahr vor ausverkauften Hallen spielt, zweimal Gold holt und trotzdem keinen Respekt bekommt. Dabei bin ich mittlerweile die deutsche HipHop Szene! Aber das passt vielen halt nicht.“ Ob ihm die Anerkennung nicht trotzdem fehle, frage ich ihn. „Scheiß drauf. Mein Kontostand ist meine Anerkennung,“ antwortet Bushido und zieht genüsslich an seiner Wasserpfeife. Drehschluss. Es ist 6 Uhr morgens. Während um Bushido herum alle mit der Müdigkeit zu kämpfen haben, merkt man ihm die beiden Drehtage kaum an. Er verabschiedet sich von jedem Crew-Mitglied persönlich, lässt bei den Frauen seinen Charme spielen und sammelt seine Freunde ein. Bushidos Laune ist wie ausgewechselt. In seinem geliebten BMW rauscht er davon und wird jetzt wahrscheinlich zum ersten Mal seit zwei Tagen echten Spaß haben.