Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

"Du musst hart werden"

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

jetzt.de: Ihr habt alle an der Filmakademie Baden-Württemberg studiert und auf der Berlinale Filme gezeigt. Seid ihr Konkurrenten?
Anne: Wenn man wie Oskar und ich das gleiche studiert, denkt man relativ schnell, dass man mit den anderen in Konkurrenz steht. Im ersten halben Jahr des Regiestudiums ist das noch nicht so ausgeprägt, da sind alle noch Freunde, aber dann wird das Studium stressiger und dadurch auch das Gefühl der Konkurrenz stärker.
Oskar: Bei uns in der Regieklasse gab es anfangs einen unfassbar starken Zusammenhalt. Bis zu dem Punkt, an dem es dann auf einmal um bestimmte Ziele geht, die alle verfolgen. Zum Beispiel Gelder für Filmdrehs zu bekommen oder darum, auf den großen Festivals zu laufen. Anne und ich studieren zwar das gleiche, machen allerdings ganz unterschiedliche Filme. Anne erzählt mehr mit den Mitteln des Mainstreams, ich lieber mit denen des Arthouse. Würden wir beide nur Autoexplosionen drehen, wäre es schwieriger.
Anja: In dieser Konstellation, ich als Produzentin und die beiden als Regiestudenten, würden wir eher voneinander profitieren als konkurrieren. Regie und Produktion ist eher eine Kombination, die sich ergänzt.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Anne Berrached, Anja Goll und Oskar Sulowski (v.l.n.r.) kommen von der Filmakademie Baden-Württemberg. Oskar und Anne haben Regie, Anja hat Produktion studiert. Konkurrenzdruck gehört im Filmgeschäft dazu, sagen sie. 

Wenn ihr erzählt, dass der Zusammenhalt anfangs noch stärker war – gab es dann einen konkreten Moment, in dem das zerbrochen ist?
Anne: Nein, das stellt man eher rückwirkend fest. Die Konkurrenz spürt man vor allem, wenn man das Gefühl hat, weniger Erfolg zu haben als die anderen. Sobald die eigenen Vorhaben funktionieren, entspannt man sich auch wieder, wird weniger bissig.
Oskar: Ich kann diesen Moment sogar an Anne festmachen: Ich habe mit 22 das Studium angefangen, sie war ein ganzes Stück älter, hatte schon ein Studium abgeschlossen und war in einer ganz anderen Lebensphase. Während ich mich im ersten Jahr noch orientieren musste, hat sie direkt einen Film gemacht. Das war der Moment, in dem mir klar wurde: Dieses langsame Sich-selbst-finden, das durchlaufen gar nicht alle so.

Gab es auch Situationen, in denen andere euch haben spüren lassen, dass ihr konkurriert?
Oskar: Es gab es auch noch die Momente, in denen Leute auf einmal erfolgreich werden, mit denen du gestern noch große Pläne hattest, wie du das Filmgeschäft revolutionieren willst. Die haben dann plötzlich keine Zeit mehr für dich, weil sie mit Sendern über andere Projekte sprechen.
Anja: Konkurrenz kann aber auch bereichernd sein. Weil jedes Projekt für eine unterschiedliche Richtung steht. Wenn der andere dann gewinnt, gönnt man es ihm meistens auch. Man lernt daraus mit der Zeit, was bisher gut funktioniert, woran man noch hätte arbeiten sollen und was künftig besser laufen könnte. So kommt man näher an den Film, den man wirklich machen möchte. Im Idealfall ist die Konkurrenz also etwas Positives.

Aber wie reagiert ihr, wenn ihr beispielsweise bei einem Festival abgelehnt werdet? Denkt ihr sofort daran, dass euch das sicher künftig bereichern wird?
Anne: Ich habe immer das Gefühl, ich renne irgendwo lang und bin manchmal trotzdem langsamer als die anderen. Das kompensiere ich dann, indem ich süchtig nach Arbeit werde. Ich habe dann kein Privatleben mehr. Andere fangen in dem Moment an, über andere Leute schlecht zu reden.
Oskar: Das mit dem Schlecht-reden habe ich in den ersten Semestern auch noch gemacht, weil ich mich mit meinem angeschlagenen Selbstwertgefühl an irgendwas festhalten wollte. Aber du lernst mit der Zeit: Wenn du andauernd negativ über andere Projekte sprichst, wirst du auch negativ im Bezug auf dich selbst. Ich habe einen Kollegen, der gerade nicht einmal das Wort „ich“ aufschreiben kann, weil er das Gefühl hat, dieses Wort sei was schlechtes. Er will unbedingt ein gutes Drehbuch schreiben, hat aber schon Probleme mit dem ersten Wort. Das ist ein Zeichen dafür, dass man zuviel Angst und Selbstzweifel hat. Bei mir ist das mit den Gefühlen nach einer Ablehnung mittlerweile ähnlich wie bei Anne – wenn ich abgelehnt wurde, setze ich noch mehr Energie in mein Projekt. Es gibt eigentlich nur diese zwei Möglichkeiten: kreativ werden oder anfangen zu hassen.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Wird der Umgang mit Konkurrenz einfacher, wenn man älter wird?
Anne: Du beziehst diese Misserfolge dann weniger auf dich selbst. Du weißt, wer du bist, welche Art von Filmen du machen möchtest und bist nicht mehr so stark auf der Suche. Du hast erst eine Ahnung, welche Stoffe du erzählen willst, wenn du dich selbst gefunden hast
Oskar: Wenn du jung an die Filmakademie kommst, bist du noch nie richtig gescheitert. Dann kommen die ersten Rückschläge im zweiten oder dritten Semester und die ballern richtig rein. Weil du ja noch keine Chance hattest, deinen Selbstwert über etwas anderes als deine Arbeit an der Uni zu definieren. Alles ist gekoppelt an deinen Film. Ihr beide, Anja und Anne, könnt ja schon sagen „dieser Film ist zwar ein Teil von mir, aber ich bin auch sonst als Person gut und habe keine Selbstwertprobleme.“ Für Jüngere ist das schwieriger.
Anja: Trotzdem muss man sagen, dass die Filmhochschule ein sehr geschützter Raum ist. Da kann man einen Film machen, selbst wenn andere ihn ablehnen. Es ist gewünscht, dass man sich entfaltet und auch mal scheitert. Das wird anders, wenn man davon leben muss und unter existenziellem Druck steht. Das Debüt nach dem Abschluss zu machen oder später mal einen „Tatort“ zu drehen, ist nochmal ein ganz anderer großer Schritt.

Habt ihr, Anne und Oskar, Angst vor diesem Schritt?
Anne: Bei Regisseuren läuft das anders als bei Produzenten. Man sagt, dass es in Deutschland nach dem Abschluss noch zwei bis drei Chancen gibt, in den Job einzusteigen. Nach dem Studium gibt es nämlich noch spezielle Gelder für Debüt-Filme. Wenn man da nicht rankommt oder keinen Erfolg hat, wird es schwer, weiter als Regisseur zu arbeiten.
Oskar: Aber dann muss man ja auch definieren, was Erfolg ist. Filmemacher frustriert es erst mal, wenn sie denken, dass es jetzt nur diesen einen Weg für sie gibt: „Wenn der zweite Film nicht bombt, bin ich am Arsch.“ Dabei muss man auch mutig sein, um gute Filme zu machen. Einzigartige Talente werden dann oft auch von Redaktionen und Sendern gefördert.

Mir haben Filmstudenten von Burn-outs und Depressionen erzählt, unter anderem wegen der harten Konkurrenz. Habt ihr das Gefühl, auf euch lastet ein besonders starker Druck?
Anne: Ja, natürlich. Es gibt auch bei uns an der Filmakademie Menschen, die damit nicht zurechtkommen. Das schlägt sich dann unterschiedlich nieder. Viele gehen zum Psychologen, was ja nichts schlimmes ist, aber natürlich schon auffällt.
Oskar: Das ist auch ein natürlicher Prozess in jedem Studium, nicht nur beim Film. Nach ein paar Semestern lernt man die echte Welt kennen und merkt, dass die gar nicht so ist, wie vorher gedacht. Das ist der Moment, in dem bei manchen eine Art von Depression anfängt. An den Filmhochschulen hast du aber, anders als etwa beim Ingenieurstudium, schon im zweiten Jahr ein Team von 25 Leuten hinter dir und die Verantwortung für einen Film. Und dann zeigst du den im Kino vor 300 Leuten und die finden den scheiße und reden danach nicht mehr mit dir. So läuft das in Filmhochschulen ab, und das ist schon hart.

Hast du Angst, einen schlechten Film zu machen?
Oskar: Man hat mal die EKG-Ströme von großen Schauspielern vor wichtigen Szenen gemessen und hat festgestellt: Die haben Todesangst, so sehr schlägt das Herz. Ähnlich ergeht es uns Regisseuren beim Dreh. Wir haben vor schwierigen Szenen riesengroßen Schiss. Aber gleichzeitig sagt der Leiter unserer Filmakademie immer: „Filmemachen ist Lust am Chaos“.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Habt ihr euch durch das Studium in den letzten Jahren persönlich verändert?
Oskar: Am Anfang des Studiums hätte ich nicht mal einem Kellner sagen können, dass mein Kaffee zu kalt ist.
Anne und Anja (einhellig): Das kann man ja nicht glauben!
Oskar (lacht): Ich war mal sehr zurückhaltend! Das haben die drei Jahre aber verändert. Man erlebt es auch gerade auf den Berlinale-Partys: Jeder ist hier und macht Business. Das wissen alle und deshalb passt man sich an und spricht auch offen jeden an. Die drei Jahre Filmhochschule haben mich schon härter gemacht.
Anne: Natürlich haben die vier Jahre mich verändert. Ich habe aber das Gefühl, dass das hier genau das ist, was ich machen möchte. Natürlich gibt dir das auch eine gewisse Härte, in anderen Momenten bin ich durch das Erlernte und durch die Filme aber auch sehr weich geworden.
Oskar: Das musst du aber auch! Diese Dinge leben ja in dir, deshalb hast du auch manchmal sehr weiche und intime Momente mit den Filmen. Du musst automatisch hart werden, weil du der bist, der sein Team vor anderen bis aufs Blut verteidigt. Diese Sicherheit müssen deine Mitstreiter spüren, dann können sie sich verletzlich und kreativ zeigen. Nur dann wird’s geil.
Anja: Das Studium ist eh eine Zeit, in der man erwachsen wird. Man lernt, sich durchzusetzen, mit Druck umzugehen und auch das Chaos zu beherrschen – das ist bei Produktion ja ähnlich wie bei der Regie. Das gibt einem aber auch Sicherheit. Man hat das Gefühl, es gibt für alles eine Lösung, und das ist sehr bereichernd. Im Idealfall überträgt man diese Erkenntnis dann aufs ganze Leben.

Gab es bei euch im Studium Intrigen? Dass man anderen nicht von Preisausschreibungen erzählt, solche Sachen?
Oskar: Ich glaube, F. Scott Fitzgerald hat gesagt „Everytime a friend of me has success, a little part of me dies“. Klar, das war Fitzgerald, der hing mit Hemingway ab. Soll heißen: Ja, so was gibt es. Aber ich hatte schon ein paar Mal die Möglichkeit, Leuten Dinge nicht zu sagen. Von denen ich wusste, dass sie den Stoff gut machen würden. Ein Teil von mir hat dann natürlich Angst, dass die es schaffen und ich nicht. Aber man muss einfach daran glauben, dass das klappt. Wir müssen uns gegenseitig helfen und darauf hoffen, dass einer aus der Gruppe mal groß wird und die anderen mitzieht.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Oskar, euer Film „Die Unschuldigen“ mit Clemens Schick lief gerade in der „Perspektive deutsches Kino“ auf der Berlinale, Annes Film „Zwei Mütter“ über ein lesbisches Paar, das ein Kind adoptieren möchte, lief dort letztes Jahr. Die Filme von Anja liefen auf anderen Festivals, aber nicht auf der Berlinale. Wie waren die Reaktionen eurer Kommilitonen?
Anne: Bei mir war das eine besondere Situation. Ich hatte diesen Film – „Zwei Mütter“ – gemacht und es war nicht abzusehen, dass der Film diesen Erfolg haben würde. Der lief im Kino, wir haben ihn ans Fernsehen verkauft, in fünf andere Länder, und dann erschien er auch noch auf DVD. Ich war mit dem Film eine Weile weg von der Filmakademie, als ich wiederkam, war es schon ein bisschen komisch. Alles hatte sich verändert. Normalerweise tritt dieser Erfolg erst ein, wenn man mit dem Studium fertig ist. Ich habe auch überlegt, ob ich das Studium überhaupt beenden soll oder ob ich direkt raus möchte, um weiterzudrehen. Ich wurde sowohl von den Dozenten als auch von den Studenten anders behandelt. Vorher war es ein Problem, dass ich eigentlich Dokumentarfilm studiere, aber lieber an szenischen Filmen arbeite. Das war immer ein Kampf, nach dem Erfolg war es dann auf einmal kein Problem mehr.
Oskar: Bei mir waren die Reaktionen sehr positiv. Ich habe auch von niemandem gehört, der den Film ganz furchtbar schlecht fand. Wir waren für den deutschen Kamerapreis nominiert, deshalb haben sich alle an der Filmakademie gefreut, dass auch so ein abgefahrener Film wie unserer auf der Berlinale läuft.
Anja: Gerade für Produzenten sind Festivals natürlich wichtig. Nicht nur die Berlinale, aber die ist natürlich eine Wahnsinnsplattform. Die Filme bekommen sehr viel Aufmerksamkeit und das wird auch positiv von der Filmakademie und den Kommilitonen aufgenommen, nach dem Motto: „Ein Film von uns läuft auf der Berlinale!“

Ihr seid jetzt fast am Ende des Studiums oder arbeitet schon. Was ist euer Fazit nach den Jahren der Konkurrenz?
Anja: Es ist schon ein Kampf draußen und man muss schauen, wo man unterkommt. Aber Qualität zahlt sich aus.
Oskar: Ich will anderen die Angst nehmen. Wir haben alle Angst, beim Schreiben, beim Inszenieren, beim Schneiden. Das haben auch die großen Jungs, die die Oscars gewinnen. Es ist okay, diese Probleme zu haben.



Text: charlotte-haunhorst - Fotos: Kim Keibel

  • teilen
  • schließen