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1. Cheerleaden

Eine echte Cheerleaderin braucht als allererstes die richtige Unterwäsche. Es ist Freitag Abend, ich darf am Training bei den Cheerleadern des „Munich Cowboys Spirit Squad“ teilnehmen. Auf der Toilette eines Münchner Berufsschulzentrums habe ich mich gerade in schwarze, sehr enge Hotpants gequetscht. Original-Cheerleader-Höschen aus den USA. Auf der Verpackung stand „S“, aber, erklärt mir Cheerleader-Trainerin Sandra, ebenfalls ein US-Import, die Wäsche falle unerwarteter Weise leider zwei Nummern kleiner aus. Ich denke an die Sprünge und Stunts, die ich in den nächsten Stunden vor mir habe. Zum ersten Mal in meinem Leben befürchte ich, dass mir ein Kleidungsstück reißen könnte.

Während die Slips alle einheitlich und nicht zu freizügig sein sollen, gilt für die BHs: bitte unsichtbar. „Wenn heute ein Spiel wäre, würde sie nicht cheeren“, sagt Sandra in breitestem Amerikanisch und zeigt auf ein Mädchen, das sich gerade mit ein paar Schritten aus einer Choreographie aufwärmt, unter dessen Cheerleader-Dress ein verrutschter Träger hervorlugt. Beim Cheerleaden geht es eben auch sehr um den richtigen Look: ein knappes Kleid in Vereinsfarben, Pompons in Vereinsfarben, und sogar: Glitzerhaarschleife in Vereinsfarben. Wie wir, ein gutes Dutzend junger Frauen, bis ins Detail schwarz-gelb uniformiert und zugleich recht synchron durch die Turnhalle hüpfen und dabei im Chor Sprüche wie „Go, Cowboys, Go!“ skandieren und Pompons gen Decke strecken, muss schon eine ziemlich beeindruckende Erscheinung sein, denke ich. Das Wichtigste aber: Es fühlt sich vor allem gut an. Automatisch lege ich das breite Lächeln auf, das zu einem echten Cheerleader gehört wie die Pompons. Ich mochte Tanzen und Verkleiden schon immer, Rampensau bin ich sowieso.

Von daher war es nicht abwegig, dass ich mit 16 den Wunsch äußerte, Cheerleader zu werden. Meine Mutter war von der Idee nicht so begeistert. Es war wohl eine Mischung aus: Der Unlust, mich dreimal pro Woche ans andere Ende der Stadt zum Training zu chauffieren. Dem Wunsch, mich zu einer emanzipierten jungen Frau zu erziehen, was sich in ihren Augen wahrscheinlich nicht allzu gut damit vertrug, dass ich im kurzen Röckchen an einem Spielfeldrand entlang hüpfen würde, als schmückendes Beiwerk für die Jungs. Und womöglich der Sorge, dass mich am Ende ein Quarterback schwängert. Die Mädels hier, die meisten sind Anfang 20, wirken allerdings viel zu selbstbewusst, als ob sie sich vom nächstbesten Football-Spieler abschleppen lassen würden. Und entgegen der Klischees aus amerikanischen Teenie-Filmen auch völlig unzickig. Wenn komplizierte Stunts geübt werden, stehen immer alle bereit, um sich gegenseitig aufzufangen. Niemand scheint einer anderen einen verknacksten Fuß zu wünschen, um beim Spiel an ihrer Stelle oben auf der Pyramide zu thronen.

Ich habe damals nur einmal meine Mutter gefragt, wahrscheinlich hätte ich hartnäckiger sein sollen und wenigstens einmal zum Probetraining gehen: Denn Cheerleaden, das wär was für mich gewesen.

Juliane Frisse

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Soft-Air-Pistole

Der Junge mit dem Bürstenschnitt lächelt so verschwörerisch, als hätten wir soeben gemeinsam einen Tresor geknackt. Dabei habe ich nur ein leeres Pistolen-Magazin über den Tresen geschoben und gemurmelt: „Brauche Kugeln dafür.“ Ich stehe zum ersten Mal in einem Waffengeschäft. Im Schaufenster lehnt eine Kalaschnikow an einer Plastikbirke. Ungefähr so, denke ich, muss sich ein Pfarrer fühlen, der im Supermarkt eine Packung Kondome aufs Band legt. Der Junge stellt eine Flasche voller kleiner roter Kügelchen vor mich. „Sechs Millimeter, 2 700 Stück“, sagt er. „Nix für Großeinsätze, aber erstmal genug.“

In meinem Rucksack steckt eine Maschinenpistole, die fast so lang ist wie mein Arm. Es ist die größte Waffe, die in meinem Bekanntenkreis zu haben war, sie gehört dem Freund einer Kollegin. Eine Heckler & Koch MP5. Kenne ich von den Polizisten am Flughafen. Meine ist zwar aus Plastik und kaum schwerer als ein Tennisschläger, sieht aber aus wie echt. „Kriegsspielzeug“, würde meine Mutter sagen. In den kommenden Tagen werde ich sehr oft an meine Mutter denken. Ich bin ein bisschen hibbelig, denn ich besitze nun das einzige Spielzeug, das ich nie haben durfte: eine Softair. Die MP5 schießt mit Druckluft Plastikkugeln, die angeblich Pappscheiben durchschlagen. Nichts hätte ich als Kind lieber gehabt – gegen nichts sträubte sich meine Mutter mehr.

Als ich elf war, schmuggelten ein paar Jungs am Tag vor den Sommerferien Skibrillen und Softairs in die Schule und spielten Banküberfall in der Turnhalle. Für sie endete der Tag mit einem verschärften Verweis, für mich mit einem innigen Geburtstagswunsch. Er wurde nie erfüllt. Das Schicksal einer möglichst waffenfreien Erziehung teilte ich mit den meisten meiner Freunde. Unsere Mütter hielten zusammen, eine von ihnen löste eine mittelschwere Krise aus, als sie an einem Kindergeburtstag gelbe Wasserpistolen verteilte. Wenn wir auf dem Pausenhof Schießereien zwischen feindlichen Agenten simulierten, behalfen wir uns bis in die späten Grundschuljahre mit Stöcken und Bananen.

Mit der Waffe im Rucksack beachte ich penibel alle Verkehrsregeln. Ich fürchte, dass mich eine Polizeistreife nach dem Ausweis fragt und, sobald ich den Rucksack öffne, in Notwehr erschießt. Laut Waffengesetz begehe ich eine Ordnungswidrigkeit, die mit bis zu 10 000 Euro Geldbuße bestraft wird, denn ich führe eine „Anscheinswaffe“ mit mir. Nüchterne Erkenntnis: Waffen haben, rein äußerlich, nichts von ihrer urtümlichen Faszination verloren. Nichts pumpt ein Zimmer schlagartig so voll mit Männlichkeit wie eine Pistole auf dem Tisch, selbst wenn sie aus Plastik ist. Ich schließe die Vorhänge, reiße gierig die Pistole aus dem Rucksack, stopfe die roten Kugeln ins Magazin und lade durch. Es klingt nicht nach einer Waffe, eher nach einem Pürierstab. Die Pistole ist zu leicht, ich fühle mich kein Stück nach Agent, nicht mal nach Flughafenpolizist. Ich drücke den Abzug. Die Pistole knattert wie eine rostige Nähmaschine, ein paar rote Kugeln fliegen durchs Zimmer, schmieren ab wie schlechte Papierflieger und rollen unter das Sofa. Draußen bellt ein Hund. Ich hätte jetzt gern eine gelbe Wasserpistole. 

Jan Stremmel

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Bravo lesen

Der Hauptgrund, warum man als Teenager immer die Bravo lesen wollte, waren natürlich die Nackten in der Mitte des Hefts. Die mit dem Selbstauslöser in der Hand und dem Steckbrief daneben. Die waren aber auch der Grund, warum die Bravo bei mir zu Hause nicht gerne gesehen war.

Ich kann mich an kein wortgenaues Verbot erinnern, aber sie war meinen Eltern wohl einfach etwas zu explizit und rangierte in ihrem Ansehen irgendwo in der Kategorie „Schundblättchen“. Eine meiner älteren Schwestern hat sich immer dann über dieses Verbot hinweggesetzt, wenn es in der neusten Ausgabe Poster der „Kelly Family“ gab. Das bedeutete aber noch lange nicht, dass ich als Jüngste dann auch mal reinschauen durfte.

Heute, da ich kaufen und lesen kann, was ich will, hole ich dieses große Versäumnis meiner Adoleszenz endlich nach. Erster Effekt: Das Bravo-Lesen entspannt mich so, wie mich die Lektüre der „Freundin“ im Flugzeug oder im Wartezimmer entspannt. Und das, obwohl die Menge an Reizen, die das Heft bietet (Farben, Schriftarten, Sprechblasen, Fotos, Unterzeilen), eigentlich hart an die Grenze geht.

In meiner Bravo-Nachholzeit gab es aber nicht nur Musestunden voller Reize, sondern auch Aufreger. Erstmal wird man sehr skeptisch beäugt, wenn man mit Mitte Zwanzig Teenagerhefte kauft. So sehr sogar, dass ich verführt war „Ist für meine kleine Schwester!“ zu sagen. Und dann, daheim beim Lesen, der Schreck: Die Nackten wurden abgeschafft! Es gibt noch die „Dr. Sommer Sprechstunde“ mit Fragen zu Liebe und Sexualität. Auf der nächsten Seite folgt die Serie „Mein erstes Mal“. In der Ausgabe 24/2012 sogar ganz modern über das erste Mal zwischen zwei Mädchen. Aber keine Selbstauslöser-Fotos mehr. Außerdem ist das Heft sprachlich eine Katastrophe. Andauernd werden die Worte „Boys“, „Girls" sowie „Boyfriend“, „Girlfriend“ und „sexy“ verwendet. Beste Freunde sind im Bravo-Jargon übrigens „BFF“ – „Best Friends Forever“. Kann man einfach so gebrauchen, das Wort: „Miley und ihre BFF Vanessa sind voll auf einer Wellenlänge.“

Neben Liebe, Sex und Zärtlichkeit sind die Hauptthemengebiete einer Bravo natürlich die Stars. Oft ist Justin Bieber vorne drauf und dann auch mehrmals drin. Außerdem diese komischen Zwillinge vom Eurovision Song Contest 2011 sowie diverse Stars aus „Twilight“, Disney-Musical-Filmen und Boybands. Die Bravo stellt die ganzen Berühmtheiten supersympathisch und Fan-nah dar. Vor allem die Interviews sind voller „(lacht)“ und Natürlichkeit und oft gibt es ein Foto, auf dem der Redakteur Arm in Arm mit dem Promi zu sehen ist. Hätte ich Bravo lesen dürfen, wäre ich daher wahrscheinlich in die gleichen Sunnyboys verliebt gewesen wie alle anderen Mädchen – und nicht in Tom Hanks. Der kam in der Bravo nämlich nicht vor. Sondern nur in der „Cinema“, die ich stattdessen gelesen habe. 

Nadja Schlueter

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Der Game Boy

Eigentlich war ich im besten GameBoy-Alter, nämlich etwa elf, als er langsam Teil des Straßenbildes wurde. Ich erinnere mich gut, als ich mit meiner Mutter beim Vedes in der Theatinerstraße „diesen Game Boy“ von einem Spielwarenfachverkäufer vorgestellt bekam. Der Mann hielt meiner Mutter das Gerät unter die Nase und ich sagte altklug: „Pöh, ist ja nur Tetris!“ Irgendwie hatten die fallenden Steine meine Mutter aber nicht überzeugt und ich blieb ohne Game Boy. „Brauchst du doch gar nicht, geh’ lieber an die frische Luft!“ lautete das Gegenargument. Ich war im Schullandheim also der, der darauf wartete, dass den GameBoy-Kindern irgendwann langweilig wurde. Meistens war dann aber auch die Batterie leer.

Die Zeit, die ich mit dem grauen Backstein verbringen durfte, war jedenfalls immer zu kurz, immer gehetzt, nie konnte ich in den Spielen nennenswerte Erfolge erringen, nie waren meine Finger trainiert genug für Steuerkreuz und A-B-Tasten. Es hat mir nicht geschadet, da ist nur bis heute so ein Gefühl, als ob ich eine Rechnung offen hätte. Und sei es nur das dritte Level von Super Mario. Jetzt darf ich selbst bestimmen und habe einen alten, gelben Game Boy (wieder nur geliehen). Die Finger sind vom Smartphone trainiert, deswegen kommen ihnen die Spielkassette und das Gerät ganz unhandlich vor. Ich spiele Super Mario. Mehr noch als Tetris, ist das für mich das Gameboy-Spiel schlechthin, das Jump-and-Run überhaupt, ich habe es sicher seit fünfzehn Jahren nicht gesehen und trotzdem ist alles gleich wieder da: Die trügerische Ruhe der ersten Schritte, die kleinen Gefahren von denen man weiß, sie sind noch zu meistern, die Abgründe, die weißgedrückten Fingernägel, als könnte der Sprung damit den einen Pixel länger werden und nicht im Loch enden.

Die Spannung funktioniert also, trotz des Altersunterschiedes zwischen SuperMario und mir. Was nicht mehr funktioniert, ist die Hingabe. Nach zweimal Game Over im zweiten Level, fällt es mir schwer wieder von vorne anzufangen, ich mache neue Fehler, weil ich mich nicht konzentriere.

Komisch ist, dass ich immer noch weiß, wo die Klötzchen mit Endlos-Punkten sind, wo die geheimen Eingänge, als wäre das evolutionär wichtiges Wissen. Als am Ende des Levels der Zufallsgenerator entscheidet, wie oft meine Punkte multipliziert werden, habe ich sofort meinen Grundschulfreund Florian im Ohr, der diesen Vorgang hundertmal mit maximaler Spannung und dann: „Yes!“ kommentierte. Vor lauter Erinnern vergesse ich fast zu spielen. Aber schließlich dringe ich doch in neue Welten vor, das U-Boot-Level, das im Pausenhof kurzzeitig mal was galt, erreiche ich nach fünfzehn Minuten. Dann lasse ich Mario dreimal an der gleiche Stelle aufspießen und weiß nicht mehr, wie ich am Endgegner-Seepferdchen vorbei komme. Früher hätte ich das in der großen Pause klären können, heute bin ich mir nicht mal sicher, ob es im Netz dazu einen Hinweis gäbe. Ich sehe auch nicht nach. Ich habe eine Abend lang noch mal Game Boy gespielt und werde es aller Vorraussicht nach nie mehr tun. Abgehakt.

Max Scharnigg

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Der Ohrstecker

Es ist ein bisschen wie beim Zahnarzt. Ein kleines Zimmer, ein verstellbarer Stuhl mit gräulichem Lederbezug, ein Tischchen mit sauberem Besteck. Nur dass neben mir kein Mediziner in weißem Kittel steht, sondern Anja: Kurz geschorene Haare, ein bisschen Metall in den Ohren, Nietengürtel, bunte Tattoos bis zu den Handgelenken beider Arme. Sie beugt sich über mich, zuerst nur mit einem Filzstift. Sie markiert die Stelle an meinem linken Ohr, die sie gleich durchbohren wird. Durchstechen, um genau zu sein.

 

Es gibt zwei Methoden, ein Ohr zu durchlöchern, lerne ich: stechen oder schießen. „Beim Schießen wird das Gewebe nur weggesprengt“, sagt Anja, Stechen sei viel sauberer. Okay. Dann also stechen. Eigentlich wäre ich gerne mit ungefähr elf Jahren an diesem Punkt gewesen. Als ich in der vierten und fünften Klasse war, hatten fast alle coolen Jungs einen Ohrring. Kleine Stecker oder richtige runde Ringe waren das, getragen im linken Ohr („Links cool, rechts schwul!“, sagten sie), gerne in Kombination mit einem Zöpfchen im Nacken. Es war die Zeit, in der wir Guns’n’Roses toll fanden und Bon Jovi. Jon Bon Jovi trug auch manchmal Ohrringe, Slash und Axl Rose glaube ich auch. Ich hätte mich da gerne eingereiht. Aber, sobald der Wunsch aufkam, wusste ich: Es wird ein Wunsch bleiben.

 

Ich habe meine Eltern noch nicht mal gefragt. Sie hätten das nicht gut gefunden. Und die einzige Macht, die sie eventuell hätte umstimmen können, hätte es nicht getan: Meine Schwestern. Ich habe zwei Schwestern, zehn und 13 Jahre älter als ich. Sie waren meine ganze Kindheit über so etwas wie meine Style-Polizei und achteten immer darauf, dass ich nicht auf die schiefe Geschmacksbahn geriet. Sie redeten mir Benjamin Blümchen aus. Sie gaben mir zu verstehen, dass die Musik von David Hasselhoff verachtenswert sei und schenkten mir Mixtapes mit Musik von The Cure und Public Enemy zum Geburtstag. Ohrring und Schwänzchen – das hätten sie auf jeden Fall verhindert.

 

Heute sind meine Schwestern nicht da. Anja nimmt eine Art Pinzette mit Loch und klemmt mein Ohrläppchen ein. „Jetzt tut es gleich ein bisschen weh.“ Die Kanüle durchbohrt mein Fleisch, leichter Schmerz, in etwa wie bei einer Spritze. Anja steckt den medizinischen Glitzer-Stecker durch das frische Loch. Noch mal Schmerz. Dann kann ich mich im Spiegel anschauen.

 

Was ich sehe, gefällt mir gar nicht. Ich sehe aus wie eine prollige Version meiner selbst, dieses Glitzerding, so klein es ist, verleiht mir sofort einen Anschein von Cristiano-Ronaldo-Eitelkeit. Und offenbar täuscht mich mein erster Eindruck nicht. Die Reaktionen sind verheerend. In den Tagen nach meiner Durchlöcherung bekomme ich im Zusammenhang mit meinem Aussehen mehrmals in aller Offenheit das Wort „Scheiße“ zu hören, Leute erschrecken bei meinem Anblick und fragen, was mit mir los sei. Schlimmer noch sind zum Beispiel Begegnungen im Aufzug, mit Menschen, die ich ein bisschen kenne, die aber nicht so weit gehen würden, mir gleich die Meinung zu sagen. Die sich ihren Teil denken, ohne mir die Gelegenheit zu geben, mich zu erklären.

 

Wenn ich den Ohrring nach ein paar Tagen wieder herausnehme, wachse das Loch wieder zu, hat Anja gesagt. Nach vier Tagen bin ich soweit. Der Ohrring muss raus. Meine Schwestern hatten Recht.

 

Christian Helten

 

Fotos: Juri Gottschall

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