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Abwasch In einer Wohngemeinschaft (WG) fühlt sich immer nie jemand für den Abwasch zuständig. Das ist ein Problem. Studien haben ergeben, dass selbst Ranga Yogeshwar keine Lösung weiß. Bürgermeister Manchmal gibt es einen Hauptmieter und der ist dann sowas wie der Bürgermeister der WG. Wenn es auf der Party zu laut wird, zieht er Sorgenfalten in seine Stirn und sagt: „Und wenn die Polizei kommt, bin ich der Depp!“ Gibt es keinen Hauptmieter, dann gibt es keinen Bürgermeister und keine Sorgen. Casting Die Vermietung eines Zimmers ist in immer mehr WGs so kompliziert wie die Besetzung des Beirates der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“. Mit großem Aufwand wird nach dem perfekten Mitbewohner gesucht. Die Partei „Die Linke“ spricht bereits von Diskriminierung von Wohnungssuchenden, die nicht aussehen wie Soap-Schauspieler. Bald soll es zu dem Thema eine Montagsdemonstration geben. Dusche Wenn eine WG eine Wanne hat, hat sie meist keine Dusche. Dafür hat die Wanne einen Duschvorhang, an dem sich sehr einfach die Konfliktpotentiale einer WG erkennen lassen: Wurstige Menschen lassen den Vorhang nach dem Duschen zusammengestaucht, der Vorhang schimmelt alsbald. Vorsorgende Menschen ziehen den Vorhang nach dem Duschen auf, machen damit aber den Nachfolgern Angst, weil die gelernt haben, dass hinter aufgefalteten Duschvorhängen a) Leichen liegen oder b) Messerstecher stehen. Normalerweise landet ein Duschvorhang in einer WG alsbald verschimmelt im Müll. Ersatz kauft keiner. Eremit versus Plaudernase Nicht jeder WG-Mensch sucht Kontakt und Plauderei. Manche genießen das Alleinsein unter anderen, manche arbeiten beim BND und trainieren in einer WG das Abhören. Eremiten werden schnell zu einem Phänomen wider Willen, weil sie nur für Tiefkühlpizza aus dem Zimmer kommen. Die Mitbewohner ergehen sich derweil in Diskussionen über die unbekannte Welt hinter seiner Zimmertür. Die Plaudernasen, die diese Diskussionen anzetteln, sind das Gegenteil von Eremiten. Sie richten weltweit großen Schaden an, weil sie die Ohren ihrer Mitbewohner wund reden. Frieden Frieden gibt’s im Himmelreich und im Kopf von Barack Obama. Wer ihn in der WG sucht, muss Eremit oder ein angefressener Joghurt werden. Beide werden selten belästigt. Geschirr WG-Küchen bestechen durch einen heterogenen Werkzeugbesatz. Ausziehende lassen staubige Zitronenpressen und Bundeswehrbesteck in den Küchenschränken liegen. Einziehende bringen Gewürzbords und Muttis Erbgerümpel mit. Selten sind Weingläser da, weil die nach Erstgebrauch beim Spülen zerbrochen werden. Dafür gibt es Tassen ohne Ende. Tassen kann jeder. Sie taugen für Kaffee, Wasser, Wein und wenn es eng wird auch für Bier und als Suppenschöpfer. Als Aschenbecher ist fies. Als Blumentopf ist lustig. Hausschmuck WG-Dekorationen bestehen normalerweise aus gelbschwarzen australischen Känguruh-Schildern und aus Zeitungsschlagzeilen wie „Beckstein: Mit 2 Maß kann man noch fahren“. Bisweilen wird das Arrangement mit einem Che Guevara-Poster ergänzt.


Ideale WG-Sitzungen dienen dem Verabschieden von Guidelines und sind gut für die soziale Hygiene. Während solcher Treffen verspricht man sich eifriges Putzen. Am nächsten Tag sind aber alle wieder wie die Vereinten Nationen: handlungsunfähig. Joghurt Naturjoghurt ist der Depp unter den modernen Lebensmitteln und in einer WG bekommt er das zu spüren: Er bleibt bis zum schimmligen Ende auf seinem Kühlschrankrost. WG-Menschen bevorzugen nämlich Convenience-Produkte wie den CurryKing von Meica und das Hirsch-Gulasch von Frostkrone. Lebensmittel in ihrer Urversion, zum Beispiel Möhren oder Naturjoghurt, werden meist in Kochlaune eingekauft und vergammeln nachher ganz normal. Irgendwann macht dann einer den Kühlschrank und das übrige Naturjoghurt auf, nimmt einen Löffel und blökt: „Mää! If ja ohne Pfucker!“ Und stellt ihn wieder rein. Krach Wenn dreckiges Geschirr zu lange neben der Spüle stehen bleibt und losgelöste Schamhaare die Badfliesen schmücken, gibt es in einer WG Krach. Menschen, die alleine wohnen, zitieren gerne das Geschirrproblem und den Schamhaarkonflikt, wenn sie ihr einsames Leben rechtfertigen wollen. Liebe Liebe hat häufig mit Gewöhnung zu tun. Menschen, die einem bei einmaligem Kontakt nicht auffallen, können, wenn man ihnen täglich begegnet, Liebreiz entwickeln. Manchmal findet sich ein Paar in einer WG erst nach mehreren Jahren des Zusammenlebens. Und dann wird es heikel. Frische Pärchen brauchen mehr Privatheit als normale Menschen, weil sie viel poussieren müssen. Übrige Bewohner rollen die Augen, wenn die beiden Zimmernachbarn plötzlich in Form eines Paares bei Kerzenschein „gemütlich frühstücken“. Dafür werden sie später mal zur Hochzeit eingeladen. Dort rekapitulieren die übrigen Bewohner im Rahmen eines Powerpoint-Vortrags die gemeinsame WG-Zeit. Müll Eine der weltweit größten Wohnweisheiten lautet: Reinbringen ist leichter als Rausbringen. Immer gibt es jemand, der glaubt, er trage mehr Müll raus als andere. Wenn dieser Jemand glaubt, sein Maß an Mitmenschlichkeit ausgelöffelt zu haben, sagt er: „Mich kotzt es an, dass immer nur ich den Müll raustrage.“ Es wäre gut, wenn es in allen WGs einen Menschen gäbe, der in Folge eines Programmierfehlers ausschließlich altruistisch funktionierte. Nachmieter Sie benehmen sich zwei Wochen lang so, wie man sich benehmen soll. Dann gehen auch Nachmieter den Bach runter. Ozapft is In manchen WGs wird gepichelt bis die Wampe wackelt. Dort gibt es dann auch ein Regal mit Reste-Alkoholika. Meist handelt es sich dabei um ungetrunkene Mitbringsel von Gästen. Deshalb steht neben der Proseccoflasche angebrochener, selbstgemachter Erdbeerlimes. Von den legendären Suffgeschichten, die WG-Bewohner verbreiten, sind 40 Prozent wahr. Post it Es kann sein, dass Apple nächstes Jahr das iPad als Brotzeitbrettchen rausbringt. Darauf kann man dann Knackwurst schneiden oder mit dem bloßen Finger Nachrichten hinterlassen. Bis es soweit ist, taugt noch der Post it. Man legt ihn zum Beispiel in den Kühlschrank an eine Stelle, an der vorher Essbares lag. Aufschrift: „Sorry, ich wäre sonst verhungert!“ Mit dem iPad wird dies schwierig.


Quote Reine Jungs-WGs degenerieren schnell zu Wollmaus-Zuchtvereinen. Die Anwesenheit auch nur einer Frau inspiriert viele Kerle zu einem Mindestmaß an Reinlichkeit. Sie geben sich dann Mühe und stapeln das dreckige Geschirr ordentlich neben die Spüle. Reinemachefrau: Sie ist das, was für die sogenannte Mittelschicht unserer Gesellschaft der Swimming Pool ist: ein schwüler Traum. Das bleibt er auch. Sex Der Geschlechtsverkehr findet in WGs in handelsüblichem Umfang statt. Alle anderen Gerüchte beziehen sich auf Kommunen. Tatort Sonntagabend kehren Wochenendheimfahrer zurück und erschrecken, weil im Zimmer eine nasse Krähe auf dem Boden hockt. Sie kann sprechen und sagt mit gebrochener Stimme: „Ich bin’s, die Einsamkeit!“ Das ist der Moment, in dem eine WG ihren Segen entfaltet. Die anwesenden Einsamen versammeln sich vor dem Fernseher und wissen von 20.15 Uhr bis 21.45 Uhr, dass das ganze Land gerade den Sonntagabendblues mit einem Krimi betäubt. Schön. Unterhosen Wenn der Umstand Wohngemeinschaft ein Wappensymbol bräuchte, es wäre die Unterhose. Sie beschreibt den in einer WG üblichen Grad an Exhibitionismus perfekt. Wer noch eine Unterhose trägt, zeigt viel, aber nicht alles. Eine fremde Unterhose unter dem Bett signalisiert: Hey, es gab bessere Zeiten! Null Unterhosen in der Kommode sagen: Waschen! Eine Fund-Unterhose in der Waschmaschine sagt: Du bist nicht allein. Vorräte Mitbewohner haben immer das interessantere Essen. Das ist so. WG-Party Menschen, die alleine wohnen, können mit wenigen Zutaten eine WG-Party simulieren. Sie müssen dazu Bier in die mit kaltem Wasser gefüllte Badewanne legen, einen Nudelsalat machen und die Polizei rufen. Fertig! Xanten In einer WG lernt man Deutschland kennen, weil sich hier verschiedene Menschen treffen. Selbst seltsame Wohnzonen wie der Niederrhein bekommen in WGs ein menschliches Antlitz. Yvonne Der Name steht an dieser Stelle stellvertretend für Mädchen oder Jungs, die frisch in eine WG ziehen und alles auf den Kopf stellen, weil ihre Hübschheit die bekannten Maße sprengt. Die vorhandenen Menschen ringen mit Verknalltheit und Eifersucht. Zieht „Yvonne“ aus, sind sich alle wieder gut. Zwischenmieter Sie sind menschliche Stoßlüfter. Sie kommen für ein Erasmussemester oder ein Praktikum aus Hamburg oder aus Paraguay. Einer verknallt sich in den Zwischenmieter und am Ende gibt es einen Heimatabend, an dem dieser versucht, die Rezepte seiner Mama nachzukochen. In der Woche nach seinem Auszug sind alle traurig, weil es so lustig war. Danach ist alles wie immer.

Text: peter-wagner - Illustration: Katharina Bitzl

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