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Die Weltstadt mit Schmerz

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Fünf Nächte Straßenschlacht: Vor 45 Jahren, vom 21. bis zum 25. Juni 1962, begehrte die Münchner Jugend auf - lange vor dem Höhepunkt der APO in den Jahren um 1968. Nacht für Nacht gingen tausende Jugendliche auf die Straßen. Der Auslöser der sogenannten „Schwabinger Krawalle“ war nichtig: ein Polizeieinsatz gegen fünf Straßenmusikanten, die mit Gitarren auf der Leopoldstraße spielten. Einer von ihnen war Wolfram Kunkel, 63, der heute als Theater- und Fernsehschauspieler in der Nähe von Landsberg lebt. Im Frühjahr 1962 haben die Münchner ihrer Stadt den Namen „Weltstadt mit Herz“ gegeben. Wie haben Sie dieses München der frühen sechziger Jahre wahrgenommen? Wolfram Kunkel: Die Leute sind schon viel gereist und haben so in Paris oder Rom ein neues Lebensgefühl kennen gelernt: Cafés mit Stühlen auf den Straßen, Straßenmusiker, solche Sachen. In München gab es das nur ansatzweise in Schwabing. Um 1962 fing es dann an, dass die Studenten manchmal auf dem Geschwister-Scholl-Platz im Freien Vorlesungen hielten oder Theater spielten. Ein kleiner Aufbruch gegen die Zeit: Früher hatten die Jungen auf der Straße nichts zu suchen - und auf einmal bemächtigten wir uns der Straßen genüsslich.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Eine Handvoll junger Menschen mit unverstärkten Gitarren - das war der Beginn der Schwabinger Krawalle. Foto: privat Sie waren dann auch Straßenmusiker – und übten eines Tages im Juni 1962 im Englischen Garten. . . Es war der erste schöne Tag im Jahr, der Fronleichnamstag 1962. Wir gingen zum Monopteros und spielten dort. Gegen Abend wurden wir dann von der Polizei vertrieben – das muss man sich vorstellen: aus dem Englischen Garten, wo ja wirklich niemand wohnt. Wir sind dann mit den Instrumenten auf die Leopoldstraße. Dort haben Straßenmaler ausgestellt. Wir haben uns dazu gesetzt und gespielt: fünf Jugendliche mit unverstärkten Gitarren. Um uns herum hatten sich sehr viele Zuhörer angesammelt. Straßenmusik war noch nicht so üblich. Nach einer Viertelstunde kam ein Funkstreifenwagen. Die Polizisten haben sich vor uns aufgestellt und gesagt: „Jetzt ist Schluss, steht auf und kommt mit.“ Beim Aufstehen wurden wir und die Instrumente durchaus fester angefasst. Wie haben die Zuhörer reagiert? Die Menge war ziemlich erregt. Sehr schnell kam ein Sprechchor auf, der das Empfinden der Leute ausgedrückt hat: „Vopo! Vopo!“ Dieser Vergleich mit der DDR-Volkspolizei hat die Polizisten natürlich ebenfalls aufgeregt: Weil sie rüde vorgingen, reagierte das Publikum anders als sonst und deshalb haben die Beamten es mit der Angst bekommen. Als die Polizisten uns dann in das Polizeiauto gezerrt hatten, sind zwei von uns auf der anderen Seite des Autos gleich wieder ausgestiegen und weggelaufen – na ja, zu fünft hätten wir sowieso nicht auf die Rückbank gepasst. Wie ist die Situation eskaliert? Die Menge wurde allmählich rabiat: Die Leute haben an dem Polizeiauto gerüttelt, die Reifen zerstochen und als die Polizisten den Motor starteten, wurde das Auto von einigen angehoben und fallen gelassen, so dass der Motor wieder abstarb. Als die Polizisten Verstärkung anfordern wollten, wurden die Funkantennen abgeknickt. Irgendwann haben die Polizisten es dann doch geschafft, mit uns wegzufahren. Mit den zerstochenen Reifen sind wir aber nur bis zum „Schwabinger Nest“ gekommen, einer damals sehr bekannten Kneipe. Dort wurden wir in ein anderes Auto verladen und aufs Revier gebracht. Warum reagierten die Zuschauer an diesem Abend so heftig? Ich glaube, das ist, wie wenn einem jemand im Garten die Blumen zertritt: Was wir taten, war harmlos und lustig – und dann kam die Polizei. Es war ein gravierender Eingriff in einen schönen Sommerabend. Es war der Beginn der sogenannten „Schwabinger Krawalle“. Sie haben den Rest des Abends aber verpasst, oder? Wir saßen bis morgens in einer Großzelle auf dem Polizeirevier: Schon als wir ankamen, waren dort dreißig Leute – alle hatte man bei den „Schwabinger Krawallen“ festgenommen. In der Nacht wurden es dann immer mehr. Auch auf der Wache wurde ziemlich rüde mit uns umgegangen: Mir hat zum Beispiel ein Polizist „aus Versehen“ eine brennende Zigarettenkippe in den Schuh geschnippt. Was geschah am Tag nach ihrer Festnahme? Man hatte uns verboten, wieder nach Schwabing zu gehen. Selbstverständlich waren wir aber wieder da, schon allein um zu hören, was noch passiert war. Am frühen Abend sind immer mal wieder junge Leute – demonstrativ langsam – über die Leopoldstraße gegangen, Eistüten wurden nur noch mitten auf der Straße verzehrt. Dann sind Leute mit den Cafétischen immer weiter an die Straße gerückt und irgendwann war alles voller Menschen. Es war klar: Die Aktion vom vorigen Abend nehmen wir so nicht hin. Relativ schnell kam dann die Polizei. Die Ereignisse schaukelte sich hoch. Die Polizei hat massiven Gebrauch von Schlagstöcken gemacht, aber auch auf der Seite der Protestierenden gab es eine erhebliche Gewaltbereitschaft. Woher kam dieser Umschwung vom Protest mit Happening-Charakter zum Gewaltexzess? Schon am zweiten oder dritten Abend kamen Gruppen aus anderen Städten, die sich einfach nur prügeln wollten. Aber die Gewalt ging ganz klar von der Polizei aus: Die Prügeleien der ersten Tage waren immer dort, wo Polizisten provoziert haben und zum Beispiel auf Pferden durch den Außenbereich von Cafés geritten sind. Wie klangen die Krawalle dann ab? Schuld war der Regen. Ein Wettereinbruch beendete alles. Aber: Es wurde mit Humor genommen. An den Bäumen klebten Zettel: „Das Polizeisportfest fällt heute wegen schlechter Witterung aus.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wolfram Kunkel heute. Foto: privat Was waren die Folgen dieser Tage? Es gab erhebliche psychische und körperliche Verletzungen. Aber es gab auch positive Folgen: Spontan hat sich eine Bürgerinitiative zur Wahrung der Bürgerrechte gegründet. Zynisch könnte man auch sagen, die Polizei hat gelernt: Unter dem Schlagwort der „Münchner Linie“ kam es zu einer Reform der Stadtpolizei. Zum Beispiel wurde der erste Polizeipsychologe der Bundesrepublik eingestellt. Hatten die „Schwabinger Krawalle“ für Sie persönlich irgendwelche Folgen? Ja. Ich wurde politisch aufmerksam, habe begonnen, zu verfolgen, was in den Zeitungen steht und was falsch läuft in der Bundesrepublik. Man darf nicht vergessen: Wenige Monate nach den „Schwabinger Krawallen“ war die „Spiegel-Affäre“. Irgendwie hat sich ganz Schwabing politisiert. Vor 1962 waren die Schwabinger ja schon irgendwie ein unpolitisches Künstlervolk – plötzlich wurde aber heiß diskutiert. Für mich waren die „Schwabinger Krawalle“ der Beginn des Aufbegehrens um das Jahr 1968.

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