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Die Supermenschen

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Neulich hat der amerikanische Verleger James Atlas Post bekommen. Nix großes, nur eine Broschüre, in der die Auserwählten eines Stipendiums vorgestellt wurden, mit dem man im Ausland studieren kann. Atlas, der selbst einst ein tolles Auslandsstipendium ergattert hatte, schaute sich die Lebensläufe der Leute genau an und wunderte sich dann. Die Stipendiaten hatten offenbar schon ein ziemlich reichhaltiges Leben hinter sich: Ausweislich der Vorstellung spielen sie Instrumente, haben in einem fernen Land eine Schule oder ein Krankenhaus mit aufgebaut, haben mehrere Hochschulabschlüsse vorzuweisen, haben allerlei eher aufwändige Hobbys wie Mountain Biking und Kayakfahren und sind, das ist das verblüffendste: trotzdem wahnsinnig jung. James Atlas trieb um, was er da in der Post gefunden hatte, und er schrieb schließlich einen Text für die New York Times, der die Überschrift 'Super People' trug. Die Supermenschen.



Wenn man in den vergangenen Jahren in Deutschland die Zeitungen gelesen hat, fühlt man sich gleich an den Begriff von der 'Generation Lebenslauf' erinnert. Die ist im Grunde mit der Hochschulreform entstanden. Mit dem Bachelorstudium wurden die Stundenpläne an den Hochschulen enger getaktet und das Studium definierte sich plötzlich durch harte Arbeit und nicht mehr durch gepflegtes Schlendern. Die Schüler gingen zwar an die Hochschule, studierten aber im Schulmodus. Fleißig, pflichterfüllend. Und immer mehr begannen, sich die Dinge 'drauf zu schaffen', die angeblich unbedingt von Arbeitgebern gefordert werden: Auslandserfahrung, Berufserfahrung, Fremdsprachen, den Schein eines interessanten Lebens.

Im Lauf des vergangenen Jahrzehnts merkten die Hochschulen, dass es so nicht geht. Man schickt Idioten in die Welt, wenn man auch ein Studium komplett verschult. Deshalb wird nun an vielen Orten wieder Dampf aus dem Kessel gelassen. Bachelorprogramme werden von sechs auf sieben oder acht Semester verlängert. Was aber noch da ist und wohl noch eine Weile bleiben wird, ist das Prinzip Leistung, das in den vergangenen Jahren die Hochschulen erobert hat: Auch in Deutschland gibt es immer mehr Supermenschen.

Ein bisschen muss man aber differenzieren. Die Situation in Amerika und Deutschland ist nicht ganz die Gleiche. Der Wirtschaft geht es immer schlechter. Die Proteste der 'Occupy Wallstreet'-Bewegung werden zu einem beträchtlichen Teil von Studenten getragen, die trotz guter Ausbildung ihre Studienkredite nicht abzahlen können. Weil sie keinen Job bekommen. Deshalb ist es in den USA vermeintlich noch wichtiger, hervorragende Noten zu bekommen und überhaupt ein Supermensch zu sein. Sonst hat man, denken die meisten, keine Chance auf einen Job. Aber nicht jeder kann ja ein Supermensch werden. Vor allem die Kinder reicher Eltern gehören laut James Atlas zur Supergruppe. Sie werden schon als Kind gefördert und bis in die Studientage hinein von den Eltern betreut. Die Mütter und Väter haben Angst, ihr Kind könne einmal ohne eine ordentliche Zukunft dastehen.

Gerhard Teufel hat die Zeilen von James Atlas mit Interesse gelesen. Teufel ist der Generalsekretär der Studienstiftung des Deutschen Volkes und hat schon beruflich viel mit Supermenschen zu tun. Von der Studienstiftung werden die Besten eines Abiturjahrgangs im Studium gefördert. Die Stiftung bietet aber auch eine Reihe von tollen Auslandsstipendien für die Zeit nach einem Studium an. Sind die Besten denn auch in Deutschland noch besser als früher?

'Die werden nicht in dem Sinne besser, dass Begabung und Persönlichkeit besser werden', sagt Teufel. 'Aber sie haben tatsächlich mehr Erfahrungen. Die Auslandserfahrung der Studenten hat sich dramatisch verändert. Ich selbst war während meines Studiums nur einmal im Ausland, in Frankreich. Diese neue Generation geht aber nicht nur einmal ins Ausland - sie hat sich von Australien bis Südamerika den Globus Untertan gemacht.' Immer häufiger liest Teufel in den Bewerbungsschreiben, dass deutsche Schüler ihr Studium im Ausland beginnen und viele an den prominenten Hochschulen in Paris, St. Gallen, Oxford oder Cambridge. Außerdem habe das Engagement bei Stiftungen oder Nichtregierungsorganisationen zugenommen. 'Was früher im Lebenslauf die Feuerwehr oder die Blasmusik war, könnte heute das Engagement bei Robin Wood oder Greenpeace sein', so Teufel. Jedes Engagement soll dringend Sinn ergeben. Die Gründe für die immer dichter bepackten Biografien sieht Teufel in der Studienreform und auch, wie in Amerika, bei beflissenen Eltern. 'Die haben die Erfahrung gemacht, dass Bildung ein wichtiger Faktor für das Berufsleben ist.' Diese Eltern wollen ihren Kindern einen weiteren Horizont bieten, als sie ihn selbst hatten - vor allem jene, glaubt Teufel, die es sich leisten können. Denn so toll es ist, wenn jemand in einem Entwicklungsprojekt hilft: Es muss auch jemand das Flugticket und die Unterkunft bezahlen. Viele Supermenschen kommen deshalb aus gut situierten Haushalten.

Gibt es eigentlich ein Limit? Gibt es so etwas wie den idealen Lebenslauf, das perfekt arrangierte Leben? Kann es denn sein, dass es immer so weiter geht? Mehr Ausland, mehr Sprachen, mehr Super?

Gerhard Teufel versucht sich in einer Entspannungsübung und relativiert den Wert des Auslandsaufenthalts ein bisschen. 'Es wäre ein Schnellschuss, zu sagen: Wer die Welt global erforscht hat, ist in seiner Persönlichkeit gewachsen.' Der Mann von der Studienstiftung glaubt, dass das Engagement im Sportverein oder die Arbeit auf einem Bauernhof ähnlich viel zu einer reiferen Persönlichkeit beitrage. Und Teufel sieht auch ein natürliches Limit für vollgepackte Lebensläufe. 'Das Limit ist dann erreicht, wenn die Leute das, was sie gemacht haben, nicht mehr ausfüllen können.' In den Bewerbungsgesprächen spürt Teufel immer wieder, wenn Studenten einen Auslandsaufenthalt nicht verarbeitet haben. Wenn sie ihn noch nicht reflektiert und in ihr Leben einsortiert haben, weil sich alles so schnell weiterdreht. Als er einmal einen Bewerber um ein Stipendium fragte, warum das Praktikum gerade bei dem Anwalt in Venedig gemacht habe, antwortete der: Ein Kollege seines Vaters arbeite auch dort. Der Vater habe deshalb geraten dort mal hinzugehen.

Gerhard Teufel hält nichts von unselbständiger Lebensgestaltung und schon gar nicht von Auslandsaufenthalten um der Aufenthalte willen. 'Die Leute sind zu beneiden, weil sie mehr Möglichkeiten haben, die sie im Leben nutzen können. Es besteht aber die Gefahr, sich dabei zu verzetteln.' Er schreckt mittlerweile vor designten Lebensläufen zurück, in denen Signalwörter wie 'Harvard' auftauchen. Er freut sich über 'wahrhaft echte Lebensläufe' von Menschen, die nicht aus akademischen Elternhäusern stammen, die echte Barrieren überspringen müssen. Teufel erinnert sich an einen Bewerber aus Rosenheim. Er schrieb, dass er auf dem heimischen Bauernhof Kühe melken müsse - und sich deshalb nicht bei Amnesty International engagieren könne.

Auch wenn der Generalsekretär von begabten und strebsamen Menschen umgeben ist: Er glaubt immer noch, dass die Studienjahre keine Hatz sein dürfen. Es müsse Zeit zum Nachdenken bleiben. 'Ein tolles Studium', sagt er, 'muss aus Studieren und Flanieren bestehen.' Da ist er sich mit James Atlas einig, der am Ende seines Textes den Dichter Walt Whitman mit den Worten 'I loaf and invite my soul' zitiert. Ein Satz, der andeutet, dass sich erst beim Schlendern, beim Umherstreifen in der Welt die Seele wirklich den Dingen öffnet. Diese Wünsche der Herren könnten sich für viele Superstudenten ein bisschen wohlfeil anhören. Aber aufschreiben kann man sie sich ja mal.


Text: peter-wagner - Foto: Franziska Fiolka/photocase.de

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