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Die Super-Muslime
„Seid ihr Aliens oder warum ist das Interesse an euch so groß“, hat Emels Mutter ihre Tochter und deren Mann Amin neulich gefragt, als wieder ein Fernsehsender anrief. Der Bayerische Rundfunk war schon da, der Südwestrundfunk, verschiedene Zeitungen, sogar ein Fernsehteam von al-Dschasira hat das Ehepaar besucht, genauso wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das sie für eine Expertise im Rahmen der Islamkonferenz befragte, zu der die beiden ebenfalls einen Tag lang eingeladen waren. Emel und Amin Rochdi, beide 24, gehören zu einer seltenen Spezies. Seit drei Jahren studieren sie in Nürnberg nicht nur Geschichte, Deutsch und Englisch für das Realschullehramt, sondern auch ein Schulfach, das es noch gar nicht gibt: Islamische Religion. Auf dem Lehrplan stehen unter anderem Glaubenslehre und Ethik des Islams, die Sprache des Korans, nicht-islamische Religionen und Religionspädagogik.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Während in Österreich schon etwa 40 000 Schüler im islamischen Religionsunterricht sitzen, gibt es in Deutschland zwar in einigen Bundesländern Modellversuche mit dem Fach Islamkunde, aber kein islamischen Religionsunterricht mit Lehrern, die sich zu ihrem muslimischen Glauben bekennen. Da die Muslime in Deutschland in verschiedenen, oft zerstrittenen Verbänden organisiert sind, gab es bisher keinen zentralen Ansprechpartner und der Islam ist nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt. Laut Grundgesetz haben aber nur diese das Recht auf Religionsunterricht an Schulen. Im April hat sich allerdings der Koordinierungsrat der Muslime (KRM) als Dachverband der Muslime in Deutschland gegründet, der eben jener zentrale Ansprechpartner für den Staat werden könnte. Bisher ist er allerdings noch nicht anerkannt. Koran als E-Book Angst, ins Leere hinein zu studieren und nicht gebraucht zu werden, haben Emel und Amin jedoch nicht. „Das Fach wird kommen, da sind wir uns sicher“, sagt Amin. „Die Frage ist nur wann. Und wenn nicht, haben wir genug Angebote aus dem Ausland: aus Österreich, England und sogar aus Ägypten. Deutschland ist in all diesen Fragen ziemlich hintendran. Das sieht man auch an den Diskussionen um den Bau von Moscheen.“ In England stünden in jeder Kleinstadt allein vier Moscheen. Kennen gelernt haben sich Emel und Amin in Heidelberg, wo sie zunächst Islamwissenschaften studierten, bevor sie nach Nürnberg wechselten, um Islamlehrer zu werden. Beide waren damals waren auf der Suche nach theologischer Orientierung und wollten mehr über ihre Religion erfahren, die sie zwar von klein auf kannten, deren Hintergründe sie aber nie erklärt bekommen hatten. Wer heute ihre Zweizimmerwohnung in Nürnberg gegenüber der Agentur für Arbeit betritt, sieht sofort: Hier leben gläubige Muslime. Über einem Stuhl im Wohnzimmer hängt ein Gebetsteppich, im Regal, neben zahlreichen Büchern über den Islam, steht eine Gebetsuhr in Form des Taj Mahals, die den Muezzin ersetzt und piepst, wenn die Gebetszeit beginnt und an den Wänden hängen Poster mit den „99 schönen Namen Gottes“ oder von der so genannten Haddsch, der Pilgerreise nach Mekka, die Amin Anfang des Jahres unternommen hat. Sogar eine E-Book-Version des Korans haben sie, um über das Hören und Nachsprechen der Suren den Koran besser auswendig lernen können. Die Religion, das Beten, der Moscheebesuch, das alles gehört heute selbstverständlich zu ihrem Alltag, aber das war nicht immer so. „Als ich meinem Vater gesagt habe, dass ich Islamwissenschaften studieren will, war er sehr besorgt“, erzählt Emel, die aus einer türkischen Familie aus Mannheim kommt, in der die Religion jenseits von Fasten und Verzicht auf Schweinefleisch keine große Rolle spielte. Weder Emel noch ihre Mutter oder ihre beiden Schwestern tragen Kopftuch, sie durfte immer mit auf Klassenfahrt und zum Schwimmunterricht und studieren sollte sie auch. Nur nicht ausgerechnet Islamwissenschaften. „Mein Vater hatte Angst, dass ich manipuliert und zu einer Islamistin werde. Deshalb hatten sie anfangs auch etwas Bedenken Amin gegenüber, weil er ihnen zu religiös war. Das war ja nach dem 11. September, als der Islam in einem Atemzug mit Terrorismus genannt wurde.“ Eben jener 11. September war es auch, der Emel dazu brachte, sich intensiver mit ihrer Religion zu beschäftigen und sie zu studieren, denn mit diesem Tag wurde sie in der Schule plötzlich mit der Frage konfrontiert: Ist der Islam wirklich so? Zu beten begann Emel allerdings erst, nachdem sie Amin kennen gelernt hatte, der schon in der Pubertät zu seinem Glauben gefunden hatte. Auf der nächsten Seite liest du, wie Amin zum Glauben fand und was Emels und Amins Mission ist
Als Sohn eines Marokkaners und einer Italienerin war der 24-Jährige auf dem humanistischen Gymnasium im bayerischen Landshut der einzige Muslim weit und breit, ein Exot. Immer fragten ihn Eltern oder Mitschüler, was ein Muslim eigentlich sei. „Ich konnte diese Fragen nie beantworten. Deshalb habe ich angefangen, Bücher zu lesen und mich mit meiner Religion zu beschäftigen. Und irgendwann fing ich auch an, fünfmal am Tag zu beten.“ Seither beten auch sein Vater und sein kleiner Bruder regelmäßig, die katholische Mutter, in deren Familie es mehrere Missionare und einen Pfarrer gibt, freut sich, dass ihre Kinder so gläubig sind. Dass deren Gott Allah heißt, stört sie nicht. Wichtig ist, dass sie gute Menschen sind. Glauben ohne Kopftuch „Es gibt so viele Klischees über Muslime“, sagt Emel etwas genervt. „Bei mir bezweifeln die Leute zum Beispiel immer wieder, dass ich wirklich gläubig bin, weil ich kein Kopftuch trage. Egal, wie man sich verhält, man macht es immer falsch.“ Gegen diese Klischees wollen Emel und Amin als Islamlehrer ankämpfen – ganz bewusst, weshalb es sie auch nicht stört, als Super-Muslime vor der Kamera zu stehen. „Es ist zwar traurig, dass so etwas nötig ist“, sagt Amin, „aber ich finde es gut, wenn nach all den negativen Berichten über Muslime auch endlich positive Beispiele gezeigt werden. Religiös sein heißt nicht automatisch fundamentalistisch sein. Man kann ein guter Muslim sein und gleichzeitig mit beiden Beinen in der deutschen Gesellschaft stehen und ein mündiger Bürger sein.“ Genau wie sie früher, wüssten viele junge Muslime in Deutschland nicht, was die Grundlagen ihres Glaubens seien, erzählen Emel und Amin. Genauer gesagt, vor allem Amin. Wie aus einem Wasserfall sprudelt es unermüdlich aus ihm heraus, er erklärt in einer Powerpoint-Präsentation seine Pilgerreise nach Mekka, führt die Gebetsuhr vor, druckt Lehrpläne und Aufsätze aus, erklärt warum er die Islamkonferenz an sich positiv findet, aber die Zusammensetzung der Teilnehmer fragwürdig, und hält ein langes Plädoyer für islamischen Religionsunterricht an den Schulen. Im deutschen Schulsystem, sagt Amin, würden die Schüler lernen, selbständig zu denken und Dinge kritisch zu hinterfragen. Im Koranunterricht sei das nicht der Fall, da es dort immer nur um Auswendiglernen gehe, aber nie die Bedeutung des Korans oder bestimmter Suren erklärt werde. „Viele Schüler können zum Beispiel nur auf Türkisch erklären, warum sie fasten müssen, obwohl sie sonst perfekt deutsch sprechen. Aber der Koranunterricht ist auf Türkisch“, ergänzt Emel. Das wollen Emel und Amin ändern. Sie wollen dem Islam in Deutschland und den jungen Muslimen eine Stimme geben und sind sich sicher, dass der islamische Religionsunterricht einen großen Beitrag zur Integration leisten kann. Sie erzählen, wie Eltern, die bis dahin nur passiv am Schulleben ihrer Kinder teilgenommen hätten, plötzlich zu Elternabenden gekommen seien, als in einer Erlanger Grundschule ein Modellversuch „islamischer Religionsunterricht“ eingerichtet wurde. Sie erzählen von Schülern, die sich plötzlich ernst genommen fühlen, weil sie nicht mehr länger im Ethik-Unterricht geparkt werden. Und sie erzählen von einem Hauptschüler, der bei Emel und Amis Anblick aus allen Wolken gefallen sei, weil er noch nie einen Lehrer mit Migrationshintergrund gesehen hatte. „Dass in Deutschland jemand aus einer türkischen oder arabischen Familie Lehrer werden kann, das war unvorstellbar für ihn“, erzählt Emel. „Ausländersein“, sagt Amin, „bedeutet für viele eben immer noch den Fleischspieß am Dönerstand zu schneiden. Das wollen wir ändern. Wir wollen ein Vorbild für die Jugendlichen sein und ihnen zeigen: Ihr könnt was erreichen.“ ------------------- Fakten zum Schulfach Islam: . . . in Deutschland leben 3,5 Millionen Muslime, als Religionsgemeinschaft ist der Islam jedoch nicht anerkannt. . . . nur anerkannte Religionsgemeinschaften haben laut Grundgesetz (Art. 7 Abs. 3 ) das Recht auf ordentlichen Religionsunterricht an Schulen. . . . in Berlin hat sich die Islamische Föderation das Recht erstritten, islamischen Religionsunterricht erteilen zu dürfen. 37 Schulen nehmen daran teil. . . . in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bayern gibt es in Kooperation mit lokalen und regionalen Islam-Vertretern islamkundlichen Unterricht, in dem über den Islam informiert wird, es gibt aber keine Erziehung zum Glauben. . . . langfristig wollen die Landesregierungen islamischen Religionsunterricht einführen. . . . Lehrer dafür werden seit 2004 in Münster, seit 2005 in einem interdisziplinär angelegten Studiengang an der Universität Nürnberg-Erlangen und seit 2006 in einem Erweiterungsstudiengang in Bayreuth ausgebildet.
Text: caroline-vonlowtzow - Foto: Enno Kapitza