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"Die Studenten wollen zahlen": Der Studiengebühren-Boykott in München

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An über 30 deutschen Hochschulen versuchten Studenten in diesem oder dem vergangenen Semester einen Boykott der Studiengebühren. Meist setzten sich die Boykotteure das Ziel, mindestens 25 Prozent der Studentenschaft dazu zu bewegen, ihren Uni-Obolus auf ein Sperrkonto zu überweisen. Wo dieser Wert erreicht wird, wollen die Studenten mit der jeweiligen Hochschule neu über die Gebühren verhandeln - mit den vereinnahmten Gebühren als Druckmittel. Bisher aber wurde das 25-Prozent-Quorum noch an keiner großen Hochschule erreicht. Freitag ist der Stichtag für die hiesigen Boykotteure: Bis dahin sollen 10.000 Studenten auf das Treuhandkonto überwiesen haben. Ob diese Zahl erreicht werden kann, ist zurzeit mehr als fraglich. Der Boykott in München, so ist derzeit abzusehen, könnte im Reigen der studentischen Vetoversuche in Deutschland eine Art traurigen Tiefpunkt darstellen. In Hamburg, wo die Einzahlungsfrist vergangene Woche endete, hatten sich immerhin mehr als 6 000 Studenten am Protest beteiligt. Woher diese rätselhafte Tatenlosigkeit der Münchner Studenten? Ein Rekonstruktionsversuch. Montag, 16. April 2007. Semesterbeginn. Noch 67 Tage. Bis zum 22. Juni, haben Jonas, Felix, und die anderen Zeit, um drei Millionen Euro auf dem Treuhandkonto zusammenzubringen. Wenn es klappt, soll mit dem Geld Geschichte gemacht werden. Es geht ihnen darum, die Erhöhung der LMU-Gebühren von 300 auf 500 Euro zum Sommersemester 2008 zu verhindern. Am Anfang der Historie würde dann ein Tapeziertisch vor dem Hauptgebäude der LMU gestanden haben, an dem junge Menschen Faltblätter verteilen: "Informationen und Argumente" gegen Studiengebühren und für den Boykott. "Viele sind noch unentschieden hinsichtlich der Frage, was von Studiengebühren zu halten ist", sagt Felix Binder, 22jähriger Physikstudent, "mit dem Boykott möchten wir ein Stück von einer Debatte in die Gesellschaft tragen, die versäumt wurde." Sie haben es hingenommen Aber waren die Zeitungen und die einschlägigen Internetseiten nicht jahrelang voll von Diskussionen über die Studiengebühren? "Die Stunde, die sie zur Information bräuchten, nutzen viele möglicherweise lieber dazu, auf Youtube Videos anzusehen", vermutet Felix. Außerdem hat für ihn die Gebührendiskussion nicht an Brisanz verloren, egal wie oft sie bereits geführt wurde. "Offiziell heißt es, Studiengebühren seien unumgänglich. Warum eigentlich? Die Kassen sind gar nicht leer, wie gerne behauptet wird. Die Steuereinnahmen steigen stetig. Warum können wir die nicht für das Menschenrecht Bildung einsetzen? Warum soll es stattdessen ein Transrapid sein?"

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Auch wenn das Unterfangen Gebührenboykott in München nur auf wenig Widerhall stieß - sie haben es versucht: Jonas, Felix und Tobi (von links). Donnerstag, 19. April 2007. Noch 64 Tage. Hörsaal M118, in dem normalerweise Vorlesungen vor mehreren hundert Studenten stattfinden: "der Boykott" hat zur Informationsveranstaltung und Vorstellung des Treuhänders eingeladen. Am Rednerpult in 68er-Lederweste der Anwalt, der erläutert, inwiefern Studiengebühren unsozial sind. Im Saal: 27 Studenten. Ein paar Stunden zuvor hat der bayerische Wissenschaftsminister Thomas Goppel gesagt, dass die in Bayern Studierenden ihre 74 Millionen Studiengebühren "hingenommen" hätten. Tobi Rupp, 21, lehnt sich in seinem Holzklappstuhl ungeduldig vor und wieder an. Der angehende Versicherungskaufmann ist der einzige Boykott-Mitarbeiter, der nicht studiert. "Auch wenn die Gebühren mich nicht unmittelbar betreffen, finde ich sie nicht gut", sagt er, "deswegen möchte ich wenigstens zeigen, dass nicht alle dafür sind. Gegen den Irakkrieg habe ich ja auch demonstriert, ohne dass er mir direkt an den Kragen ging." Für den Boykott braucht es nicht viel: Nur ein Überweisungsformular. Genau darin, dass die gemeinschaftliche Zahlungsverweigerung kein gesellschaftspolitisches Interesse voraussetzt, sieht Komparatistik-Student Jonas Bokelmann, 22, die Chance: "Wir suchen nicht 10 000 Personen mit einer bestimmten politischen Motivation. Diesen Konsens gibt es nicht. Stattdessen kann jeder mitmachen, dem die Gebühren wehtun. Egal aus welchem Grund." Wehtun - das können 300 Euro durchaus. Aber tun sie auch noch weh im Angesicht des gesetzlichen Versprechens, das Geld würde zur Verbesserung der Studienbedingungen eingesetzt? Vielleicht schmerzen überfüllte und veraltete Lehrsäle und Dozenten, die bis zum Haareraufen überarbeitet sind, stärker als 300 Euro pro Semester. So viel stärker, dass die Frage, ob es nicht prinzipiell Aufgabe des Staates ist, die Qualität der staatlichen Hochschulen zu sichern, inzwischen von den meisten Studenten einfach nicht mehr gestellt wird. Bei welchem Betrag wären die Studenten bereit, ihr Veto einzulegen? Thomas Goppel sah in einem TV-Interview bereits vorher, dass das Studieren nach dem abgeschlossenen Grundstudium bis zu 2500 Euro kosten könnte. Wäre das teuer genug für einen kleinen Aufstand? Freitag, 25. Mai. Noch 28 Tage. Am "der Boykott"-Infotisch auf dem "Stustaculum"-Festival in der Studentenstadt. Von Seiten der Festivalbesucher landen Wellen von Sympathie für die Aktion am Tapeziertisch. Gefolgt aber von Zweifeln, ob an den Gebühren überhaupt zu rütteln sei. Klar, mehrere hundert Euro weniger im Semester zu haben, nennen viele "schon irgendwie Riesenmist". Und alle kennen jemanden, der einen kennt, der das Studium abbrechen musste, weil er keine reichen Eltern hat. Trotzdem ist da dieses Abwägen, dieses Zaudern, dieses vielleicht-doch-Einsehen. "Danke, dass Ihr das macht", sagt eine Medizinstudentin, "aber im Ausland muss man doch auch überall zahlen?" Für ein Mädchen bedeutet die Information, dass es bereits für das nächste Sommersemester 500 statt 300 Euro zahlen muss, eine herbe Überraschung: "Echt jetzt?"


In den vergangenen Jahren haben Politiker beharrlich die Bereitschaft zu "Einschnitten" und Gürtel-enger-schnallen gefordert. Ist die Botschaft also nun angekommen? Dann wäre die Akzeptanz der Gebühren ein Kind der "Krise" oder könnte mit dem Unwohlsein beim Wort "Globalisierung" zu tun haben. Warum noch an Gesellschaftsentwürfen basteln, wenn man sich sowieso darauf gefasst machen muss, zwischen Zeitverträgen und "lebenslangem Lernen" in der Welt hin und her geschubst zu werden? Gegen die Abschaffung? Dienstag, 5. Juni. Noch 17 Tage. Plötzlich ist das Boykottkonto in den Händen eines Konkursverwalters. Die Kanzlei des Treuhänders musste Insolvenz anmelden. Das heißt erstens: neue Vertrauensarbeit leisten und denen, die Angst haben, das Geld wäre auf einem Treuhandkonto nicht sicher ("Und wer sagt mir, dass der Anwalt nicht durchbrennt mit dem Zaster?") erklären: Das Geld ist sicher, da das Treuhandkonto nicht zum Insolvenzvermögen des Anwalts gehört. Der Unfall heißt zweitens, dass ein neuer Anwalt gefunden werden muss, der für die geringe Gage, die "der Boykott" bieten kann, das Treuhandkonto führt. Und drittens: Bisher sind bloß 27 mal 300 Euro Boykott-Studiengebühren auf dem Konto. Das ist nicht viel Zuspruch für sehr viel Arbeit. Galgenhumor bei den Organisatoren. Nur einer fragt: "Lohnt sich der Aufwand überhaupt?" - "Nach all dem Stress in den vergangenen sechs Monaten - ja!", antwortet Tobi. "Ja! Schon fürs Ego." Dann schlängelt Felix sich durch den Türspalt in den Konferenzraum. "Der Anwalt Markus Rainer würde als Treuhänder bereit stehen." Für wenig Geld, weil die derzeitige Studiengebührenregelung die "Zementierung der Zweiklassengesellschaft" verstärkt und er es "politisch absolut richtig" findet, sich dagegen einzusetzen. Freitag, 15. Juni. Noch 7 Tage. Stichtag beim Boykott der Universität Hamburg: 6078 Studenten haben auf das Sperrkonto überwiesen. Die auch dort für Verhandlungen mit der Uni und dem Senat gesetzte Mindestteilnehmerzahl von 10 000 ist damit unterschritten, das Geld wird fristgerecht an die Uni geleitet. Und doch feiern die Hamburger ihr politisches Statement: "Das massenhafte und eindeutige Nein! zu den Gebühren ist ein großer Erfolg", heißt es auf der Website dieses Boykotts. Wie wird in München am Freitag das Fazit lauten? Etwa: "Der wahre Boykott der Münchner Studenten richtet sich nicht gegen die Studiengebühren, sondern gegen den Wunsch, sie abzuschaffen"? "Es ist doch offensichtlich", sagt Tobi und grinst. "Die Studenten wollen zahlen". Auf dem Treuhandkonto lagen am Montag, 18. Juni, 75 Überweisungen.

Text: friederike-knuepling - Foto: Maria Dorner

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