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Die Sohle des Rock: Eine Hommage an den 100jährigen Chuck
Es ist eines dieser Bilder, auf dem man kaum etwas sieht, und das man trotzdem nie vergisst. Es spukt immer noch im Internet, es zeigt ein Zimmer, der Boden ist mit einem schmetterlingsartig gemusterten Teppich bedeckt und in den linken Bildrand ragt ein Bein, neben dem ein Arm liegt. Der Fuß, der nur auf diese Weise nach außen fällt, wenn sein Besitzer entspannt ist, steckt in einem Converse One Star. Der Fuß gehört Kurt Cobain. Das Bild entstand um den 5. April 1994, dem Tag, an dem sich der Nirvana-Frontmann in seinem Haus in Seattle die Lebenslichter ausschießt – mit einer Überdosis Heroin und einer Schrotflinte. Und auch wenn man das Bild noch so oft gesehen hat: Der Blick bleibt immer wieder bei dem Schuh mit dem weißen Stern und den weißen Schnürsenkeln haften, so als wäre er die einzig reale Sache in einem immer wieder bösen Alptraum. Und obwohl man den eigenen Schuh der gleichen Marke am liebsten an die Wand geworfen hätte, weil er diesem großen Menschen nicht mehr Halt gegeben hat, wurde die Marke, als Kurt als Ikone wiederauferstand, selbst ein bisschen größer. Ohne Kurt Konkurs gegangen? Dass Cobain an seinem Todestag Converse trug, war kein makabrer Werbe-Deal, sondern nur konsequent – schließlich waren sie ihm schon zu Lebzeiten fast wie angewachsen. Er mochte das Wildleder-Modell One Star, mit dem Stern auf der Seite, genauso wie die schwarzen knöchelhohen Converse Chuck Taylor All Stars mit der weißen Kappe, kurz Chucks, die er etwa beim legendären Nirvana-Konzert für die MTV-Sendung „Unplugged in New York“ trug. Wenn Kurt und einige seiner Kollegen nicht gewesen wären, wäre die Welt nicht nur um diverse Helden ärmer. Converse würde in diesem Jahr vielleicht nur leise Geburtstag feiern, und wer weiß, vielleicht wäre die Firma schon Konkurs gegangen. Denn nicht zuletzt, weil sich viele Rockstars freiwillig den gleichen Schuh anzogen, wurde der All Star zum meistverkauften Turnschuh aller Zeiten.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
So hoch hinaus wollte Marquis Converse damals in Malden, Massachusetts, im Jahr 1908 eigentlich gar nicht. Der Besitzer einer Gummistiefelfabrik ärgerte sich nur ein wenig darüber, wie unbeständig und wetterabhängig sein Geschäft doch war. Er dachte: ,Ein leichter Leinenschuh mit Gummisohle, das wär’ doch was.’ Zwei Jahre später war der Prototyp kreiert. Ein knöchelhoher Schuh aus schwarzem Leinenstoff mit weißer, flacher Sohle und weißer Gummikappe – der später als All Star in die Geschichte und sogar in ein Wörterbuch eingehen sollte (seit 1984 steht sein Spitzname Chucks im „Dictionary of Contemporary Slang“). Noch aber war der All Star ein simpler Turnschuh mit einer, und das war in Amerika Anfang der 20er Jahre revolutionär, rutschfesten Sohle. Dass man mit der auch toll abbremsen und Haken schlagen konnte, entdeckten bald auch Basketballspieler. Einer von ihnen arbeitete dann an der Optimierung des Schuhs mit: Chuck Taylor war sein Name, und 1923 ließ er das Converse-Patch mit seiner Signatur auf die Innenseite des Turnschuhs nähen, um die Knöchel der Sportler zu schützen. Im Laufe der Jahre brachte die Schuhmanufaktur immer neue Modelle auf den Markt und verpasste seinem All Star regelmäßig einen zeitgemäßen Anstrich. Doch die schwarzen Ur-Chucks sollten ihre Monopolstellung auf dem Schuhmarkt lange Zeit behalten. Der Ruhm dieses Turnschuhs hat aber nicht nur mit Basketball zu tun, auch die Rockmusik liebte ihn und damit war er für die beiden großen Säulen der amerikanischen Kultur von Belang. In den 50er Jahren wurde ein Lastwagenfahrer aus Tennessee durch die wendigen Chucks, die einen eindrucksvollen Hüftschwung ermöglichten, zu einem heißen Eisen namens Elvis. In den 60er Jahren sah man sie an den Füßen von John Lennon und Yoko Ono. In den 70er Jahren dann verlor der Schuh sein Sauber-Image, der verschallerte Sid Vicious von den Sex Pistols trug ihn ebenso wie die Ramones, was seiner Popularität aber nicht schadete. Das verwegene Image wurde zum Alleinstellungsmerkmal gegenüber der Konkurrenz. Fortan wanderte der Sportschuh durch alle Genres. Von Punk-Rock zu Hip-Hop, von Heavy Metal zu Indiepop. Er wurde fester Bestandteil vieler Band-Uniformen. Aber warum gerade dieser Schuh? Nun, Chucks waren komfortabel, und für Sprünge auf der Bühne prädestiniert. Aber viel entscheidender: Sie waren für jeden erschwinglich (1957 kostete ein Paar All Stars 6 Dollar) und unprätentiös. Ihre Einfachheit war sogar fast schon eine Provokation – um viel mehr ging es damals nicht. Klar also, dass Rolling Stone Mick Jagger, als er in St. Tropez heiratete, zum grünen Anzug All Stars trug.
Altes Image raufbeschwören
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Zeig’ mir deine Chucks, und ich sage dir, wie du drauf bist: Das Geheimnis der All Stars ist, dass sie alles speichern, was in einem Lebensabschnitt passiert. Der Segeltuchstoff wirft Falten, wird fleckig, kriegt Löcher. Chucks sind nur dann richtige Chucks, wenn sie fertig, abgefeiert, abgelatscht aussehen, so richtig vom Leben mitgenommen. Was einst Provokation war, ist in heutigen Zeiten kluges Eigenmarketing. Jemand, der zum tadellosen Designer-Jackett verratzte Chucks trägt, wirkt um einiges interessanter, als hätte er klobige Deichmann-Boots gewählt. Es verwundert also wenig, dass es Leute geben soll, die den Alterungsprozess ihrer All Stars künstlich vorantreiben, indem sie mit den neu erworbenen Schuhen erst mal durch dreckige Pfützen springen.
So uramerikanisch Converse sind, sie wurden auch von deutschen Bands herzlich aufgenommen. Die Toten Hosen und Die Ärzte waren die ersten, die Chucks auf der Bühne trugen, die Fantastischen Vier trugen sie auch, und Tocotronic, Kettcar und Tomte immer noch. Kann sich wer daran erinnern, die Mitglieder von Silbermond und Juli jemals ohne gesehen zu haben? Und sogar die deutsch-amerikanische Boygroup US 5 versucht mit Hilfe des lässigen Turnschuhs ihr musikalisches Defizit auszugleichen.
Zwei deutsche Musiker sind nun auch in der aktuellen Kampagne von Converse zu sehen. In eine Phalanx All Stars-tragender Stars aus Film und Musik reiht sich Nina Hagen ein, die bei ihrem ersten Konzert in Westberlin in Chucks hüpfte („Chucks geben Dauerpower!“). Und auch Tierfreund Thomas D. ist mit von der Partie, der die Converse-Treter vor allem deshalb schätzt, weil sie, wie er in einem Interview sagte, „ohne Leder“ sind. Dass Converse auch Chucks aus Leder herstellt, hat er sicher nur vergessen.
Ein wenig verwundert es schon, dass eine Kultmarke wie Converse eine Imagekampagne in über 75 Ländern nötig hat – warum was für’s Image tun, wenn die Zahlen und die Fansan sich für sich sprechen? Über 750 Millionen Paar Chucks hat das Unternehmen schließlich bisher verkauft und der Basketballschuh hat es sogar bis in die elitäre Modeszene geschafft: Carine Roitfeld, Chefredakteurin der französischen Vogue, trug einst ein Paar bei einer Pariser Fashion-Show.
Man wird den Eindruck nicht los, Converse wolle mit der Werbung sein altes Image heraufbeschwören, das immer mehr verblasst. Kein Wunder, bei dem gegenwärtigen Produktangebot: In den Trendshops stehen All Stars wie die Einzelteile eines Regenbogens im Regal, gefühlte vierzig Farben, andere sind verziert mit Streifen, Pailetten, Karos. Jeder soll sein Stück vom Mythos haben, aber den schwarzen Ur-Chuck, den will kaum mehr einer. So verschwindet das Einfache, das Unmodische, das Coole eben.
Diesen Sommer kommt eine Edition von Kurt-Cobain-Converse-Schuhen auf den Markt, mit einem One Star-Modell und Chucks, die mit handschriftlichen Zeilen aus Kurt Cobains Buch Journals bedruckt sind. Wenigstens muss Kurt das nicht mehr erleben. Er ging bis zum letzten, um nicht zu verblassen. Seine Abschiedszeilen waren: „It's better to burn out than to fade away“.
Text: verena-stehle - Abbildung: Converse