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Die Schönwetterjüdin
Mit langen Vorreden hält sich Miriam Held nicht auf. „Also, welche Stereotypen soll ich wiederlegen oder bestätigen?“, fragt die 27-Jährige lachend gleich zu Beginn des Treffens im Stadtcafé, das eigentlich vereinbart wurde, damit sie Antworten gibt.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Darauf, wie eine junge Frau in München lebt, wie sie aufgewachsen ist, wie sie zur Gemeinde und dem neuen Zentrum am Jakobsplatz steht, das man durchs Fenster sehen kann. Auf Fragen also, die ihr kaum jemand stellen würde, wäre sie katholisch und der Neubau mitten in der Stadt eine christliche Kirche. Aber der Neubau ist eine Synagoge, Miriam Held eine Jüdin und antijüdische Vorurteile noch vor dem ersten Cappuccino sind für sie kein Problem. „Viele Menschen denken, dass Juden reich sind.“ „Fänd’ ich toll, wenn das stimmen würde! Ich musste immer arbeiten, um mir mein Studium zu finanzieren, meine Familie hatte nie sehr viel Geld.“ „Juden beherrschen die Welt.“ „Eine Freundin von mir sagt oft, wenn wir ein Problem mit dem Job, Männern oder was anderem haben: Du gehörst doch auch zu dieser jüdischen Weltverschwörung, mach doch jetzt gefälligst endlich mal was! Hat leider bisher nie funktioniert.“ Dann der letzte Versuch: „Alle Juden fühlen sich Israel mehr verbunden als dem Land, in dem sie wohnen.“ „Israel ist ein schönes Land, in dem man gut essen und baden kann, aber ich war das letzte Mal vor zehn Jahren dort und leben könnte ich da nicht. Das ist mir zu unsicher, ich will nicht ständig Angst haben. Für mich stellt sich die Frage nicht, ich bin Münchnerin.“ Sicherheitsleute vor der Schule Geboren wurde Miriam unweit der Theresienwiese, „am Maurermontag, das ist der Tag, an dem die Handwerker auf die Wiesn gehen“. Ihre Eltern, die sich trennten als Miriam drei Jahre alt war, schickten sie auf die Sinai-Grundschule in Bogenhausen, „wahrscheinlich weil sie dachten, dass ich wenigstens dort etwas vom Judentum vermittelt bekommen würde“. Zu Hause nämlich spielte die Religion nie eine große Rolle. Miriam wuchs bei ihrer Mutter auf, einer in München geborenen Jüdin ostpreußischer Abstammung, die mit dem Glauben abgeschlossen hatte und keinen Kontakt zur Gemeinde suchte. Alle Beweggründe für diese Entscheidung kennt Miriam nicht, eine sehr wichtiger sei aber, „dass sie nicht glaubt, dass es einen Gott gibt, der seinem Volk so etwas zustoßen lässt wie den Holocaust“. Miriams Vater, aufgewachsen mit einem jüdischen Vater und einer christlichen Mutter im Rumänien Ceaucescus, war zum Judentum konvertiert, um Miriams Mutter heiraten zu können. In der Sinai-Grundschule lernte Miriam verschiedene Aspekte der jüdischen Religion kennen: die Feiertage und ihre Bedeutung, das Lesen in der Tora, Gebete – und die Angst. In den 80er Jahren war es weniger die Sorge vor rechtsradikalen Übergriffen als die Furcht vor Überfällen palästinensischer Terroristen. Vor der Schule waren bewaffnete Sicherheitsleute postiert, niemand durfte die Schule unbefugt betreten. Als einmal ein Onkel Miriam von der Schule abholen wollte, wiesen die Posten ihn ab: Sie kannten ihn nicht und er hatte keine Vollmacht dabei. „In den Pausen haben wir dann mit ihnen Fußball gespielt“, erinnert sich Miriam, „bewaffnete Männer gehörten einfach zum Alltag.“ Miriam erzählt lachend, locker und selbstbewusst. Die Vierergruppe am Nachbartisch ist neugierig geworden. Vielleicht, weil die Worte „Maschinenpistole“, „Jude“ und „Schulkind“ in einem Satz selten so deutlich vernehmbar in einem deutschen Café zu hören sind. Vielleicht, weil die fröhliche, ganz in schwarz – Oberteil, Stiefel, Mütze – und pink – T-Shirt, Ohrringe, Gürtel – gekleidete junge Frau einfach gute Unterhaltung bietet. Erst als sie von ihrem Erlebnis in der achten Klasse erzählt, auf dem St. Anna-Gymnasium, auf das sie wegen des dort angebotenen jüdischen Religionsunterrichts ging, wird sie zum ersten Mal leiser. Und sie greift zu ihren Zigaretten, die in einem pinkfarbenen Etui auf dem Tisch liegen, neben dem genaus so pinkfarbenen Handy. Im Religionsunterricht habe der Lehrer damals einige Dinge über den Nahost-Konflikt zwischen Israel und Palästina gesagt, die ihrer Meinung nach nicht in das Fach Religion gehörten. Für Miriam war das genug, um in den Ethikunterricht zu wechseln. Einige ihrer jüdischen Mitschüler versuchten sie umzustimmen, aber sie blieb bei ihrer Entscheidung. „Ich bin ein starker Charakter“, beschreibt sie sich selbst, Freunde sagen: „Sie ist energisch. Wenn sie sich was in den Kopf setzt, zieht sie es durch.“ Auch die Abkehr vom Judentum zog sie durch. Ihrer Stiefmutter, eine Christin, die das Judentum für sich entdeckt hat, blieb es vorbehalten, die Familie zu jüdischen Feiertage zu versammeln, ab und zu wurden an Shabbat Kerzen gezündet, das war alles. Mit den Verwandten ihrer Stiefmutter ging Miriam in die Kirche, „und Weihnachten und so haben wir eh immer gefeiert“. Eine neue Einstellung gewann sie erst Jahre später, als sie während ihres Amerikanistik-Studiums ein Jahr an der Brandeis-Universität in den USA verbrachte. Dort lernte sie das amerikanische Judentum kennen und es gefiel ihr. Es kam ihr weltoffener und nicht so ernst vor, Männer und Frauen beteten gemeinsam, die Gottesdienste wurden in Englisch gehalten und nicht nur in Hebräisch, wie sie das aus München kannte. „Ich habe dann viel nachgedacht in den USA, das war der zweite Knackpunkt meiner religiösen Sozialisation, kann man sagen.“ „Mit welchem Ergebnis?“ „Ich habe entschieden, dass es meine Religion ist, ein Teil von mir, den ich nicht einfach so ablegen kann, weil ich gerade diese Laune habe.“ „Und was bedeutet das Judentum jetzt für dich?“ „Es ist eine Religion und zugleich die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe, die eine gemeinsame Geschichte hat. Und Traditionen die ich meinen Kindern weitergeben möchte.“ „Welche denn?“ „Dass man die Feiertage zusammen verbringt, an Yom Kippur, dem Versöhnungstag und wichtigsten jüdischen Festtag, nachdenkt und überlegt, was man falsch gemacht hat oder wo man jemandem Unrecht getan hat, so was in der Art. Und ich hatte als Kind keine Bat Mitzwa, also keine Feier zur Aufnahme in die Gemeinde. Das will ich nachholen.“ „Bist du religiös geworden?“ „An den hohen Feiertagen gehe ich in die Synagoge. Ich bin also genau so gläubig oder ungläubig wie Christen, die nur an Weihnachten und Ostern in die Kirche gehen. Das ist nichts anderes.“ In ihrer Wohnung, „pinkfarbenen 42 Quadratmetern im Lehel“ steht ein Chanukka-Leuchter, im Bücherregal liegt ihr Gebetbuch. Eine Mesusa am Türstock, also eine Kapsel, in der eine Pergamentrolle mit Toratexten liegt, die die Wohnung beschützen soll, hat sie zwar noch nicht, aber sie denkt darüber nach, weil es ihr das Gefühl geben würde, „dass jemand auf mich aufpasst“ und das schade ja schließlich nie. Manchmal trägt sie einen Davidstern um den Hals. In der Arbeit, einer Agentur für Mobile Marketing, und bei Kundenterminen verzichtet sie aber meist darauf.. Tannenzweige mit Davidstern Weil sie sich raussucht, was ihre gefällt, haben ihre Freunde und Freundinnen – die bis auf eine Ausnahme alle nicht jüdisch sind – eine Kategorie für Miriam eingeführt. „Sie nennen mich Schönwetterjüdin“, sagt sie lachend, „das passt ganz gut.“ Zuletzt hat sie sich ihre erste eigene Tradition geschaffen, „Chrismukka“ – eine Mischung aus Weihnachten und Chanukka. „Ich koche für meine Freunde, wir essen Plätzchen und Falafel zusammen, ich dekoriere ein paar Tannenzweige mit Davidsternen.“ Ein festes Datum gibt es für diesen neuen „Feiertag“ nicht, „aber es ist schon um Weihnachten und Chanukka herum, wann ich es eben schaffe.“ Bei der Eröffnung des neuen jüdischen Zentrums wird Miriam Held dabei sein, „weil ich es gut finde, dass es jetzt wieder sichtbares Judentum in der Stadt gibt.“ Sie hofft, dass die Münchner Gemeinde durch ihren neuen Platz in der Mitte der Stadt weltoffener wird und ein Dialog entstehen kann mit nichtjüdischen Münchner. „Dabei würde auch helfen, wenn sich die Gemeinde nicht immer so sehr ernst nehmen würde.“ Große Stücke hält sie dabei auf Charlotte Knobloch gut, die neue Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, ein Münchnerin. „Wirst du dann wieder öfter in die Synagoge gehen?“ „Mal sehen. Vielleicht nehme ich wieder eine Freundin mit, die habe ich schon mal damit gelockt, dass sie dort viele gutaussehende junge Männer sehen kann.“ „Und, war sie zufrieden?“ „Ja, das war sie.“ „Wärest du froh, dort einen jüdischen Mann fürs Leben kennenzulernen?“ „Das spielt für mich keine Rolle. Ich würde mir sogar wünschen, dass meine Kinder einmal beide Seiten kennen lernen, Christentum und Judentum. Ich finde, mir hat das nicht geschadet.“ Foto: David Freudental