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Die Rache, die keine ist

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Lehrer-Blogs, das klingt nach der späten Rache für Bewertungsseiten wie spickmich.de. Auf dem Portal werden Lehrer von Schülern nach fachlicher Kompetenz und Beliebtheit bewertet. Dass das nicht immer nett ausfällt, ist klar. Trotzdem ist die Rache keine richtige, denn anders als die Lehrer auf spickmich.de werden die Schüler in den mittlerweile mehr als 150 Lehrer-Blogs nicht beim Namen genannt. Dennoch werden die bloggenden Lehrer immer mehr. Vor einem Jahr waren es noch Ausnahmen, inzwischen ist es fast normal, wenn Referendare, junge Lehrer und auch solche, die schon 20 Jahre unterrichten, über ihre Schüler schreiben, über witzige bis peinliche Antworten in Schulaufgaben, freche Sprüche und andere Anekdoten.   

Jan-Martin Klinge, 30, ist Mathe-, Physik- und Techniklehrer an einer Gesamtschule in Siegen. Seit 2009 schreibt er auf "Ein Halbtagsblog" über seinen Alltag als Lehrer. Er bloggt über die Top-Ten-Fragen beim Elternabend, postet Tortendiagramme mit den Berufswünschen seiner Schüler (50 Prozent: "Was mit Computern", 50 Prozent: "Was mit Menschen") und Memes im Stil von "What People Think I Do". Zwischendurch erklärt er, ganz der Physiklehrer, was genau passiert, wenn man in der Mittagspause auf den Löffel mit Suppe pustet. Seine Schüler sind oft das Thema seiner Einträge, aber nie nennt er ihre Namen. "Das verbietet sich von selbst", sagt er, "außerdem geht es mir nicht um das Karikieren von Schülern."

Manchmal schreibt Jan-Martin Klinge dann aber doch über den Ärger im Unterricht: "In der Klasse 10 ist das mit der Pünktlichkeit so eine Sache", schreibt er in einem Eintrag und erzählt, wie ein Teil der Klasse nach Unterrichtsbeginn erst nach und nach eintraf. Die Ausreden, einer schob eine vorgezogene Pinkelpause vor, der andere meinte nur, dass sie bei den Theaterproben einer anderen Klasse zugeschaut haben, fand er nicht überzeugend, und schickte sie aus dem Klassenzimmer: "Dann guckt euch doch noch den Rest der Proben auch noch an. In meinem Unterricht habt ihr nämlich nichts verloren". Auf seinem Blog macht sich Jan-Martin Klinge dann Gedanken, ob er das eigentlich darf. Ganz schön gewagt, wenn man bedenkt, dass er mit seinem Klarnamen eine echte Ausnahme im Lehrer-Blog-Kosmos ist. 

Die meisten Lehrer bloggen anonym und nennen ihre Schule nicht. "Ich schreibe, um mich und die Schule weiterzuentwickeln. Ich will einen transparenten Einblick geben und zeigen, wie Schule heute sein kann, mit Apps im Unterricht, Lerntheken und Rätseln. Das geht ehrlich und mit Namen deutlich besser", sagt Klinge. Der Grund für die Anonymität seiner Kollegen sind nicht Richtlinien vom Kultusministerium, die gibt es weder auf Bundes- noch auf Landesebene, sondern ganz einfach der Datenschutz. Um den zu verletzen, muss nicht einmal der Name des Schülers genannt werden, es reicht schon, wenn man auf der Website erfährt, an welcher Schule der Lehrer unterrichtet und er über einen Jungen mit roten Haaren schreibt. Anders als die Schüler haben die Beamten etwas zu verlieren, wenn sie Grenzen überschreiten.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Vom Pult zum Blog, das ist mittlerweile durchaus üblich für Lehrer - auch inklusive ironischer Annäherung an ihren Beruf.

Auch die Referendarin, die seit Juli 2011 unter dem Titel "Paprika goes school" bloggt, bleibt anonym. Sie bezeichnet sich nur als "Lehrerin für Kunst & Deutsch in spe". Außer, dass sie in Leipzig wohnt, erfährt man nichts über ihre Person. Dafür schreibt sie sehr unterhaltsam über die Fotolovestory aus der "Bravo", die sie zur kritischen Analyse für ihre siebte Klasse kopiert, die Panik vor den Unterrichtsbesuchen ihres Seminarleiters und darüber, wie sie von einem ihrer Siebtklässler Tipps bekommt, wie sie sich bei der Planung des Schulfestes besser durchsetzt ("Na, sie sind noch ziemlich jung, dadurch haben sie es wahrscheinlich schon mal schwerer. Ich mein den Respekt und so."). Manchmal schreibt sie einfach wütend drauf los: „Nächste Woche werd ich die Klasse eigenhändig erwürgen *grrrrr*“, steht in einem Eintrag, ein anderes Mal erzählt sie, wie sie ein paar Schülerinnen im Unterricht beim Nägellackieren erwischt, ihnen in den noch nicht trockenen Lack fasst und "Glitzerblau ist ’ne Scheiß-Farbe" bescheinigt. 

Wie der "Halbtagsblog" mit seinen physikalisch-technischen Ausflügen geht auch "Paprika goes school" über den Lehrer-Alltag und das Jammern über die Schüler hinaus, und macht damit deutlich, wie sich Lehrer-Blogs gerade verändern. Sie postet zum Beispiel Fotos von Klebestreifen, Fusseln und Blumen, die sie unter ein Mikroskop gelegt hat, oder Aufnahmen von Luminographie-Experimenten in ihrer siebten Klasse mit Taschenlampen, Farbfolien und Kameras. Auch die angehende Kunst- und Geografie-Lehrerin Janina Scheidmann, 29, postet auf ihrem Blog "kunstkrempel" neben Hefteinträgen und Schulaufgaben ihre eigenen Illustrationen, Fotos und die Ergebnisse einer Diskussion mit ihren Schülern über die Definition von Kunst.

Vor einiger Zeit waren eher ältere die Stars der Szene, wie die Mittvierziger "Herr Rau", "Frl. Rot" oder "Frau Freitag", die eben das zweite Buch herausgebracht hat, das auf ihrem Blog basiert. Am Anfang überwogen bei ihnen noch Anekdoten und das Jammern über die Schüler, Geschichten vom Spicken mit MP3-Player unterm Kopftuch, von 68 Klausuren, die noch korrigiert werden müssen, und der Klassenfahrt, für die sie noch keine Begleitperson haben. Das Auskotzen und Abschließen mit einem Schultag ist nach wie vor ein Grund für Lehrer zu bloggen, aber nur noch ein Teilaspekt, vielleicht weil die Blogger jünger werden und neben Referendaren schon Lehramtsstudenten von ihrem Weg zum Beruf berichten.

Immer mehr Lehrer schreiben im Netz auch über Dinge jenseits des Klassenzimmers. Die Lehramtsanwärterin für die Grundschule "Frau A.", 24, postet auf ihrem Referendar-Blog "Der steinige Weg" Fotos von Tafelbildern, Hefteinträgen und der ersten Mathe-Schulaufgabe, sie berichtet aber auch über Apps, die sie als Lehrerin gut findet, oder über bildungspolitische Themen wie den Lehrermangel in manchen Bundesländern.  

Warum man Lehrerblogs liest? Weil man sich doch gerne an Schulaufgaben und an Linolschnitte erinnert – vor allem wenn man sie nicht mehr selbst machen muss.


Text: kathrin-hollmer - Foto: OH

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