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Die Poetry-Slam-Debatte: Sneak Preview oder Schaumparty
Lars Weisbrod mag Poetry Slams - hier erklärt er warum: Vor einer Woche fuhr die ARD zur großen Scheibenwischer-Gala auf. Dabei auch drei Männer, die sich irgendeinen Namen voller Spitzzüngigkeit und verstaubter Komik gegeben hatten. Die drei standen in Bademänteln auf der Bühne, am Rande eines imaginären Schwimmbeckens, in dem just in diesem Augenblick ein Kind ertrinkt. Statt einzugreifen und das Balg zu retten, diskutierten die drei in bestem Talkshow-Deutsch über Motive, Hintergründe und Verantwortlichkeit. Das war eine nette Kabarettnummer. Wer aber einmal bei einem Poetry Slam war, wo der Schweizer Gabriel Vetter seinen herausragenden Text „Die Ausgangslage“ vorgetragen hat (in der Version, in der ein Kind stirbt, nicht ein Uhu), wird sich angesichts dieses öffentlich-rechtlich entschärften Bademantel-Zynismus gedacht haben: Das habe ich doch irgendwo auch schon mal besser gehört, schlauer, kraftvoller, ohne diesen Kleinkunstbühnenmief.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Gewiss, so einen Text wie „Die Ausgangslage“, bei dem einem das Lachen vor Schrecken im Halse stecken bleibt, bekommt man auch beim Poetry Slam nicht immer zu hören, selbst wenn man sich auf den Veranstaltungen tummelt, bei denen die Szene-Elite auftritt. Leuten, die zum ersten Mal zu einem Slam gehen, sollte man sagen, dass diese Veranstaltung der Sneak Preview im Kino nicht unähnlich ist: Man weiß nicht, was kommt. Oft genug auch nichts Gutes - wobei der gemeine Slambesucher meist auch mit Halb- oder Viertelgutem zufrieden zu stellen ist. Wer sich hingegen öfter auf einen Poetry Slam verirrt, der wird natürlich auch mehr Texten mit verschränkten Armen und Stirnrunzeln begegnen, weil ihm manche Muster und Pointen irgendwann leidlich bekannt sind. Aber erinnern wir uns an Sturgeons Law: Der Science-Fiction-Autor Theodore Sturgeon entgegnete einst denjenigen, die Science-Fiction-Literatur für Müll hielten, mit den Worten: „Ninety percent of everything is crud.“ Also: Neunzig Prozent von allem ist Dreck (außer Dreck, der ist zu hundert Prozent Dreck, wie später jemand ergänzte). Man muss doch nur mal in die Kleinstadtkabarettbühne gehen, mit neunzig Prozent Durchfallquote kommen deren Programme meist noch gut davon. Seltener als bei einem handelsüblichen Slam findet man dort Künstler, die noch wirklich Ideen haben, die Wiederholungsrate der Witze ist ungleich höher, dafür die Eintrittspreise aber auch. Das Kabarett hat vielleicht noch Georg Schramm und Josef Hader, die Comedy gar niemanden mehr – und beim Slam tummeln sich die Talente von Morgen und Gestern: Es gibt konservative Meinungsstilisten, die in ihren Texten die entferntesten Sujets auf so elegante Weise verknüpfen, dass scheinbar aus dem Nichts ein roten Faden entsteht, und damit jederzeit die Nachfolge von Max Goldt antreten können. Es gibt charmanten Unsinn, vorgetragen mit einem Lächeln, das die Sympathieareale der Zuschauerhirne entflammt, es gibt Lesebühnenautoren, die mit wunderbar abstrusen Metamorphosen von Ovid’schem Ausmaß die Bühnen verzaubern. Es gibt Geradeheraus-Politisches, das nahezu völlig unpeinlich daherkommt, und noch so einiges mehr, dem es eigentlich Unrecht getan ist, dass man es hier verschweigt. Ich bin bei einem Slam einmal tatsächlich vor Lachen vom Stuhl gefallen, weil ein Luxemburger in seinem moselfränkischen Akzent eine unsinnige Goethe-Biographie vorgetragen hat, die mit den Worten begann: „Goethe war nicht gut. Goethe war super.“ Manche werfen dem Slam vor, dass man dort nur auf den Lacher aus ist. Die Slammer selbst leiden unter einer gewissen Paranoia, man könne sie in die Comedy-Schublade stecken, aus der sie dann nicht mehr rauskommen. Es ist wahr, niemanden gewinnt einen Slam mit Texten, die überhaupt nicht komisch sind. Aber was heißt das schon? Kam denn je ein Werk der Weltliteratur ohne eine Mindestanzahl an guten Pointen aus? Die Komik ist nichts, was den Poetry Slam abwertet, richtig eingesetzt ist sie sogar das, was ihn auszeichnet. Literatur mit Final-Atmosphäre Der zweite Vorwand dem Slam gegenüber lautet: Wenn es sich denn tatsächlich um Literatur handelt, was soll das, sie mit Punkten zu bewerten? Jeder Slam braucht einen Sieger und der wird ermittelt, durch Abstimmung, Applaus oder Publikumsjury. Vielleicht erscheint dieses Verfahren erst im richtigen Licht, wenn man es vom Großen aus betrachtet: Das Finale des National Slams 2007, zu dem die besten Vortragenden aus Deutschland, Österreich und der Schweiz angereist waren, fand im Admiralspalast zu Berlin statt. Wie einem guten Film oder einem tollen Roman gelang es da manchen Vorträgen, die Zuschauer aus ihren Samstagabendtrott zu reißen und ein Stück weit entrückt zurückzulassen – gleichzeitig wurden die Zuhörer gepackt von einer fieberhaften Dramatik, sie jubelten ihrem Favoriten zu (oder buhten die Jury aus, die ihm schlechte Noten gab). Beim monatlichen Slam in der eigenen Stadt kann es natürlich nicht immer so zugehen, aber häufig genug spürt man die Final-Atmosphäre auch hier. Wenn man selbst auf der Bühne steht und gerade eine gute Wertung bekommen hat, zum Beispiel. Man kann nicht alle Slammer in einen Topf werfen. Wenn man über Poetry Slam spricht, muss man die alten Hasen und erfahrenen Vortragskünstler von den Anfängern unterscheiden, die sich bei ihrem lokalen Slam zum ersten Mal auf die Bühne trauen. Vielleicht sind es ja die Stilblüten, die ihnen naturgemäß dabei hin und wieder unterlaufen, die den Kritiker den Slam als überflüssige Veranstaltung betrachten lassen. Aber muss man denn so dünkelhaft sein? Ohne erste tapsige Polemikversuche des Vorstadtjungen gibt es auch keinen Gabriel Vetter. Der Slam gibt jedem die Chance sich zu beweisen und sich zu verbessern – man kann jederzeit hingehen und mitlesen. In diesem Punkt gleicht er der viel beschworenen Weblogszene. Gute Weblogs fallen nicht vom Himmel, ihre Autoren müssen auch mal irgendwo angefangen haben, und zwar, wie das beim Anfangen meistens so ist: klein. Selbst wenn man die Radikal-Demokratisierung der Kultur – dass jeder einfach irgendwas vor Publikum sagen oder im Netz schreiben kann – an sich für keine gute Sache hält, dann bleibt sie trotzdem noch ein gutes Mittel zum Zweck: um die undemokratische Kulturelite von Morgen auszusieben. Deren Mitglieder werden dann, wenn sie Büchnerpreisträger und Zeit-Kolumnisten sind, sagen: „Ohne Poetry Slam würde ich heute Weißgottwas machen, Latein studieren, mich als Rallyefahrer oder Profi-Pokerspieler verdingen, vermutlich aber nicht das, was ich jetzt tue. Dafür bin ich dem Poetry Slam eigentlich recht dankbar.“ Und wir, ihre Leser, sind es mit ihnen. lars-weisbrod.jetzt.de Auf der nächsten Seite die Gegenrede von Max Scharnigg
In jeder Universitätsstadt gibt es eine alternative Mittelschicht. Dazu zählen Menschen, die hartnäckig jung sind und dabei krankhaft viel Wert auf Individualität legen. Sie bilden in der Stadt die Klientel für Riesenschnitzel-Aktionen, Offenen Kanal, Sneak-Previews, Bio-Sonntagsbrunch, Nacht-Flohmärkte, Humana-Filialen, Drei-Fragezeichen-Lesungen und eben den monatlichen Poetry Slam. Der Poetry Slam entschädigte diese alternative Mittelschicht bisher dafür, dass sie aus Prinzip nicht „Deutschland sucht den Superstar“ schaut. Sie dürfte nun allerdings in erhebliche Ideologie-Schwierigkeiten kommen, wenn ein Privatsender die Slams endlich als das entdeckt hat, was sie sind: Die Schaumparties der Generation Neon. Real-Events zum Mitgröhlen, mit freiwilligem Schlachtvieh auf der Bühne – kennt man von DSDS. Kartoffeldruck ohne Despot So wie es bei der RTL-Show ja angeblich um Musik und Talente geht, geht es bei den Slams angeblich um Literatur und Talente. Wer mehr als zwei Poetry Slams besucht hat, weiß, dass für gewöhnlich weder das eine noch das andere dort von der Bühne tönt und schon gar nicht in Personalunion. Was stattfindet, ist vielmehr eine Art verbaler Stand-Up-Kleinkunst, bei der der größte Possenreißer gewinnt – den Superstars-Castings also nicht unähnlich. Hier wie dort versuchen die Kandidaten von sich abzulenken, indem sie schreien, rappen, pfeifen, tanzen, mitklatschen lassen oder sich anderweitig offensiv produzieren.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Das ist schon okay. Denn zum einen erwartet man beim Poetry-Slam mittlerweile fast ausschließlich spaßige Zerstreuung, zum anderen bedürfen die mitgebrachten Texte einer aufdringlichen Rezitation, um überhaupt anzukommen. Inhaltlich geht es ja überwiegend um gedanklichen Ego-Zierrat, um die gefühlige Essenz des kleinen Alltags. Als literarische Formen erfreuen sich dabei die immer gleichen, simplen Stilmittel großer Beliebtheit: Stabreim-Gedichte, die im Nichts enden,(„Als Anna am achten Augustabend auf Alex aschte…“), eindringliche innere Monologe („Ich will Leben! Ich will Tagesfreizeit! Ich will ein Staubsauger für Fußballfans! Ich will Sex mit Mona!“), sowie Repetitives jeder Art. Es ist poetischer Kartoffeldruck, wenn man so will. Der Gewinner des „hochkarätigen“ Hauptstadt-Contests konnte sich tatsächlich mit einer „Ich schwör’, Aldda“– Nummer durchsetzen.
Dass sich einer nur hinhockt und so etwas wie gut abgehangene Prosa von sich gibt, passiert auf Poetry Slams selten. Die Gefahr ist einfach zu groß, dass sich das Publikum dabei nicht originell genug behandelt fühlt. Lieber wird mit Comedy-Versatzstücken hantiert, lautmalerisch auf Jandl herumgetrampelt, Stimme verstellt, gejodelt und das alles mit krampfhaft unverfälschtem Alltags-Slang garniert, damit die Rotwein-Mädchen in der ersten Reihe später sagen: „Das war noch authentisch.“
Dabei geht der sehr ironiebereiten Slam-Szene leider die Fähigkeit ab, sich selber nicht allzu ernst zu nehmen. Es fehlt ein plumper Despot wie Dieter Bohlen, der Mist als solchen auch benennt und abwürgt. Denn selbst wenn die Slam-Daumen nach unten zeigen, das Publikum gar jemanden ausbuht, so ist der geistige Erguss an sich doch sakrosant, der Ausgebuhte wird beim nächsten Slam wieder auf der Bühne stehen, sich zunehmend als Slam-Literat begreifen und immer weiter Mist machen, ohne dass je jemand Einhalt gebietet.
Damit wir uns nicht falsch verstehen - das alles kann in gewissen Grenzen unterhaltsam sein. Poetry Slams haben deswegen natürlich eine Daseinsberechtigung – als para-kultureller Zeitvertreib, eingeordnet gleich neben Zaubershows und Hahnenkämpfen. Genau diese Liga ist es auch, die das Fernsehen dort erwartet: Freak-Show für Abiturienten mit viel obszönem Gebrüll.
Klar, jeder Heranwachsende darf meinetwegen beim Poetry-Slam seine Nachttisch-Lyrik ausprobieren, genau wie er ja auch einen Kinnbart und Motorrad fahren ausprobieren darf. Wenn man sich wirklich für Literatur interessiert, ist es aber unbedingt wichtig, dem Prinzip Poetry Slam bald wieder zu entwachsen, weil es eine Sackgasse ist. Es ist als würde man immer nur Tischkicker spielen, wenn man eigentlich der neue David Beckham werden möchte. Wer beim Poetry Slam hängen bleibt, wer gar „Slam-Autor“ in seinen Lebenslauf kritzelt, der erhebt das Amateurhafte zur Profession, der will im Peinlichen das Ehrenamt sehen. Und wer sich Monat für Monat als Zuschauer im Schneidersitz auf Kneipenböden setzt, um maximale Aufgeschlossenheit zu demonstrieren, der kann spätestens jetzt eigentlich auch „Deutschland sucht den Superstar“ gucken. Das wäre mal weitaus unkonventioneller.
max-scharnigg
Text: lars-weisbrod - Illustration: Katharina Bitzl