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Die neuen Jungs
Es gibt auf meinem Weg in die Arbeit diese Stelle, an der eine Litfaßsäule, ein städtisches Gymnasium und eine Ampel aufeinander treffen. An der Litfaßsäule hängt seit einiger Zeit und wie im ganzen Land die Sparkassenwerbung mit Joko und Klaas und die Ampel ist passend dazu richtig lange rot geschaltet worden. Genug Zeit, jeden Tag die Schüler zu beobachten, die hier in dieser ganz bestimmten Zwischenform aus Stehen und Gehen um ihren Bau treideln, rein raus, eine lässige Osmose. Die Mädchen sind sorgsam kontrollierte kleine Inseln, gefährlich oder hinreißend oder weit weg und morgen wieder ganz anders. Die Jungs sehen seit zwei Jahren seltsam gleich aus und die Litfaßsäule erklärt warum. Sie sehen aus wie Joko und Klaas.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Diesen Stil kann man mit indiesmartcasual umschreiben. Ein Jeans-T-Shirt Fundament wir durch ein gutes offenes Hemd und ungeputzte aber rahmengenähte Herrenhalbschuhe aufgewertet. Der Look ist vom Gutbürgerlichen etwa gleich weit entfernt wie vom Secondhand-Chic, er nimmt sich Elemente der verpönten rich-kids-Uniform (Brauner Teint, Bootschuhe, Halstuch etc.) und mixt sie mit Streetwear, skandinavischer Slickness, Truckerkappe und zusätzlich mit – das ist das Ungeheuerliche – einem ausgeprägten eigenen Stilbewusstsein. Ihr Auftritt ist weitgehend befreit von Codes, Marken, Statuslärm. Ihre Gesten sind die der Homie-Kultur, ihre Attitüde kommt von den Slackern, ihre Lateinnote ist gut. Es dürfte im Vergleich der letzten 50 Jahre so ziemlich der brauchbarste Jungshabitus sein. Er ist kein Kostüm aber auch kein reines Zweckding, zumal wenn ihn, wie es scheint, schon Achtklässer perfekt beherrschen. Man kann damit problemlos einen Mülleimer anzünden und danach mit seiner Erbtante irgendwo essen gehen, erste Reihe Skatepunk-Konzert ist genauso machbar wie Tanzkurs. Genau dieses Leben in zivilisierter Wildheit und höflicher Rebellion spiegeln die Figuren Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf, die derzeit von allen Seiten so dankbar in die Kamera geschoben werden.
Wann schließlich, hatte man zuletzt vorzeigbare junge Männer, die als unpeinliche role models und Werbeträger gleichermaßen dienen konnten? Oliver Pocher? War immer zu ordinär. Stefan Raab? War nie wirklich jung. Joko und Klaas aber entsprechen einem Typus, der davor eher selten war, Schülersprechermaterial: Geschmeidig, ohne glatt zu sein. Mehrheitsfähig, ohne gesichtslos zu sein. Frech ja, aber eher im Sinne von gewitzt als unverschämt. Eigentlich sind das Jungs, wie sie Erich Kästner als Ideal hatte, damals so genannte feine Kerle. Für die Elterngeneration und die Verwalter der Werbeetats sind sie ein erträglicher Botschafter dessen, was man sich als Jugend vorstellt, für die wiederum verkörpern sie gerade noch authentische Feierbereitschaft. Joko moderiert also die Privatklappsmühle The Dome und den Echo, spaziert für einen Rasierklingenhersteller bieder durch die Fernsehwerbung, wirbt für das Girokonto und für die Bundeszentrale für politische Bildung und wird trotzdem mit Klaas im Herbst beim Alternativ-Sender ZDFneo Programm machen. Ein Kind hat er natürlich auch schon.
Dieser Spagat zwischen Mainstream bei gleichzeitiger Wahrung einer alternativen Aura, zwischen BWL und Bengel zeigt, wie wenig die Schubladen der 90er-Jahre noch gebraucht werden und wie beliebig die roten Fäden der Popkultur heute zu verklöppeln sind. Wichtiger als Distinktion scheint der Spaß, das in Bewegung sein und die Arbeit an einer Männlichkeit, bei der Schlagfertigkeit wichtiger ist als Schlagen. Die Musik zu diesem Leben liefert ein dritter „feiner Kerl“, der seit einer Woche die Albumcharts anführt und trotzdem die Feuilletons erregt, also gleicher Spagat, gleicher Typ: Casper.
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Ein ehemaliger Pädagogikstudent aus Ostwestfalen-Lippe und quasi die Fortsetzung von Daniel Brühl mit besseren Mitteln. Mit seinem Dreitagebart, karierten Hemden und den großen, ehrlichen Augen trägt er die Hülle, mit der man heute 16 oder 36 sein kann und alles darf. Casper darf mit einer Hardcore-Vergangenheit zum Retter des deutschen Hiphop ausgerufen werden, darf sich als Rapper mit Thees Uhlmann eine Ikone des deutschen Gitarrentums ins Studio einladen und vor allem, er darf mit einer Musik die Charts dominieren, für die man vor wenigen Jahren noch von drei Lagern verprügelt worden wäre: einem Crossover aus Postrock, Indiepop und Rap. Als hätte man Rage Against The Machine in American-Apparel-Klamotten für Myspace gecastet. Alles drin, dabei nicht zu glatt oder verkopft, zum Abfeiern aber auch ernst – Musik, die dem Lebensentwurf Joko&Klaas sinnstiftend entgegenkommt. Caspers Single
"Der Druck steigt" ist ein einziges Crescendo aus Gitarren, Bass und Puls. Der Songtext gibt keine Auskunft, welcher Druck gemeint ist. Das Video zeigt eine rennende Gruppe von bio-bourgeoisen, jungen Menschen, die in einem Hohlweg auf einen schwarzen Block trifft, der Staatsgewalt oder Skinheads sein könnte. Langes Zögern in den gepflegten Gesichtern, schweres Atmen, der Druck steigt – wunderbare Wutbürgermusik. Casper bringt es in Interviews auf den Punkt "Der Oberton ist Möchtegern-Revoluzzertum", sagt er und allen Interviewern fallen seine guten Manieren auf, die Mädchen auf Youtube finden ihn süß, bei Konzerten verausgabt er sich redlich. Wichtigste Aussage: Der Casper ist schon in Ordnung. Das Album ist interessant, er als Mann ist interessant: empfindsam offenbar, aber kein Weichei, klug, aber kein Langweiler, erotisch aber auch ein guter Vater, ein Typ fürs nächste "Nido"-Cover
Joko, Klaas, Casper – früher wären solche im Mittelfeld geblieben, nicht radikal oder angepasst genug für die Top-Ten, niemals bekannt oder vorzeigbar genug, um auf Litfaßsäulen zu werben. Heute formen sie, wie es scheint, eine brauchbare neue Mitte unter jungen Männern, die ihre Wut sozialverträglich umschichten kann – und sich mit Hautpflege auskennt.