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Die neue Heimat kommt per Mail

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Etwa einmal pro Woche erscheint eine E-Mail mit der Betreffzeile „Wohnungsalarm“ in zahlreichen Münchner Posteingängen. Darin: zwischen fünf und zehn Angebote und Gesuche für WG-Zimmer oder Wohnungen. Wir haben mit dem Absender dieser nützlichen Post gesprochen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

jetzt.muenchen: Zuerst einmal – wie und wo wohnst du selbst und wie bist du an diese Wohnung gekommen? Andreas Kräftner: Ich wohne in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Laim. Aber die habe ich nicht über das Internet, sondern über eine Freundin gefunden. jetzt.muenchen: Wie ist es mit deinem E-Mail-Verteiler losgegangen? Andreas: Es ist gar nicht mehr richtig nachvollziehbar. Ich habe für einen Bekannten einen Nachmieter gesucht und dessen Wohnungsangebot per Mail an meinen Freundeskreis geschickt. Dann kam jemand, der eine Wohnung gesucht hat und für den ich per Mail herumgefragt habe. Und vor etwas mehr als einem Jahr waren es mal zwei Gesuche gleichzeitig – und dann habe ich eben „Wohnungsalarm“ darüber geschrieben. So heißt der Newsletter bis heute. jetzt.muenchen: Wie funktioniert der? Andreas: Die Leute schicken mir eine Beschreibung, was für eine Wohnung sie suchen oder Infos über das, was sie zu vermieten haben. Das können Wohnungen sein oder WG-Zimmer, dauerhaft oder befristet – da ist alles möglich. jetzt.muenchen: Und wie häufig schickst du die Beschreibungen raus? Andreas: Ich sammle die ein paar Tage und dann schicke ich meistens einmal pro Woche alles rum, was so gekommen ist. Natürlich wächst der Empfängerkreis immer weiter. Das sind längst nicht mehr nur meine engen Freunde, sondern inzwischen schon über 300 Leute. Und die schicken es wieder weiter an ihre Freunde – so multipliziert sich das. jetzt.muenchen: Blöde Frage – warum machst du das? Andreas: Blöde Gegenfrage – warum sollte ich es denn nicht machen? jetzt.muenchen: Na, es macht doch sicherlich Arbeit … Andreas: Ach, das ist doch nicht viel Arbeit. Ich kopiere die Wohnungstexte zusammen und füge ab und zu ein paar neue Adressen in die Verteilergruppe ein. Das mache ich nebenbei, wenn ich eh am Computer sitze. Das hört sich jetzt wohltätig an, aber es darf doch nicht an meinen drei Minuten scheitern, ob jemand eine Wohnung findet oder nicht. jetzt.muenchen: Gab es auch schon mal Pannen? Andreas: Einmal habe ich vergessen, meine Telefonnummer aus der Mail zu löschen und plötzlich hatte ich ständig Leute am Telefon, die mir geschworen haben, dass sie nicht rauchen und keinen Hund besitzen. Die wollten alle die beschriebene Wohnung. Da habe ich erst mal gemerkt, wie es da rund gehen kann. jetzt.muenchen: Du kriegst kein Feedback über erfolgreiche Vermittlung? Andreas: Manchmal bekomme ich schon mit, wenn jemand durch mich eine neue Wohnung gefunden hat, aber oft erfahre ich auch nicht, wie die Geschichten ausgehen. Toll ist es, wenn man ganz neue Leute trifft, die aber den „Wohnungsalarm“ kennen. Neulich war ich auf einer Party und eine Freundin von mir fragte mich, wie das mit dem Wohnungsalarm–Verteiler inzwischen laufen würde. Und plötzlich drehten sich zwei Leute neben uns um, die ich noch nie vorher gesehen hatte – und sagten: „Ach, diese Mails kommen von dir?“ jetzt.muenchen: Bekommst du manchmal auch eine Belohnung? Andreas: Einmal hat mir jemand geschrieben: Er hätte zwar noch nichts durch den Verteiler gefunden, fände die Idee aber so toll, dass er mir im Gegenzug auch gerne Gutes tun würde. Da er auf der Kunstakademie ist, bot er mir an, mir bei Gelegenheit mal etwas zu schweißen. jetzt.muenchen: Und bist du oft in Versuchung, selbst umzuziehen? Andreas: Ach, ich bin absolut zufrieden. Wenn ich sage, ich wohne in Laim schütteln alle den Kopf. Dabei sind das vier Stationen zum Marienplatz. jetzt.muenchen: Merkst du, welche Viertel so richtig brummen? Andreas: Die üblichen Verdächtigen: Glockenbachviertel, Au – halt möglichst weit innen. Ich mag es lieber, wenn die Leute flexibel sind und nicht sagen „Ich muss unbedingt im Glockenbach wohnen“. Wozu denn? Bloß, damit man jeden Tag zum Bergwolf rennen und blöde Currywurst essen kann? Das ist doch albern. jetzt.muenchen: Ist Münchens Mietmarkt wirklich so ein Horror? Andreas: Es geht schon. Es kommt ja immer wieder was rum. Als Außenstehender, wenn du niemanden kennst, ist es schwierig. Man darf sich auch nicht vollkommen auf den Mailverteiler verlassen, sondern muss auch die Zeitungsanzeigen anschauen und manchmal kommt man auch nicht um den Makler herum. jetzt.muenchen: Und ich dachte, du wärst so etwas wie der Maklerfeind … Andreas: Nein, gar nicht. Manche sind natürlich echte Abzocker, aber andere sind auch sehr fair. Ich habe mal für meinen BMX-Verein eine Halle gesucht. Der Makler hatte zwar nichts für uns im Angebot, hat uns aber Telefonnummern von Vermietern gegeben – kostenlos! jetzt.muenchen: Was war das skurrilste Angebot, das du rumgeschickt hast? Andreas: Ein Mädchen hat jemanden gesucht, der mit ihr in ein Haus einzieht. Das Haus hatte sie mit ihrem Freund gemietet, der sie dann sitzen ließ. Diese traurige Liebeskummergeschichte stand ziemlich detailliert in dieser Mail drin – einschließlich des Hinweises, dass der Typ sich zum Teufel scheren soll. jetzt.muenchen: Hast du darüber nachgedacht, deinen Newsletter auf andere Bereiche auszuweiten? Andreas: Ich kriege schon Angebote. Leute, die ein Auto suchen, einen Hund loswerden wollen oder so. Aber ich bleibe bei Wohnungen, das ufert sonst aus. jetzt.muenchen: Und Partnerschaftsvermittlung per Mail? Andreas: Eine Freundin hat mich mal gefragt, ob ich ihr auf diesem Wege nicht einen Freund finden könnte. Ich hab dann einen wirklich netten Text von ihr rumgeschickt und sicherheitshalber meine Adresse angegeben. Das war auch gut so, denn ich konnte ihr nichts weiterleiten – da meldeten sich nur Chauviärsche mit blöden Sprüchen. Interview: christoph-koch

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