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Die Köpfe zusammenstecken
Studenten und Asylbewerber – zwei Gruppen mit einem Alltag, wie er unterschiedlicher kaum sein könnte. Während die einen sich mühsam Deutschgrundkenntnisse aneignen müssen, fluchen die anderen über das Fachchinesisch in ihrer Literaturliste. Studenten ärgern sich oft über ihre zu kleinen WG-Zimmer, Asylbewerber wären froh, hätten sie überhaupt einen eigenen Raum zum schlafen.
Trotzdem – oder gerade deswegen – entwickeln immer mehr Hochschulen Projekte, in denen Asylbewerber und Studenten zusammen kommen. Manchmal funktioniert das auf freiwilliger Basis, manchmal müssen auch Anreize geschaffen werden, damit so unterschiedliche Lebenswelten zusammentreffen können.
Integration als Wahlfach
Max, 25, bastelt an einem Memory-Spiel. Er ist zwei Meter groß und hat riesengroße Hände. Sie sehen nicht aus, als seien sie fürs Basteln gemacht. Doch Max klebt auf die eine Seite der Memorykarte ein Bild, auf die andere Seite schreibt er einen Satz, der das Bild erklärt. Dann packt Max sein Spiel ein und macht sich auf den Weg. Sein Ziel: das Asylbewerberheim.Dort erwarten ihn schon von fünf Syrern, einem Afghanen und zwei Nigerianerinnen. Max bringt ihnen einmal in der Woche Deutsch bei. Er studiert Europastudien im Bachelor und ist einer von 50 Studenten, die an der Katholischen Universität Eichstätt im Wahlmodul „EduCulture tun“ eingeschrieben sind. Sie geben Flüchtlingen Starthilfe. Im Gegenzug bekommen sie zehn ECTS-Punkte gutgeschrieben. Für seine Vorlesung „Einführung in die Literaturwissenschaft für Europastudierende“ bekommt er nur fünf Punkte.
Seit vergangenem Donnerstag können Studenten aller Fachrichtungen dieses Modul in Eichstätt belegen. Sie können dann wie Max Deutsch unterrichten oder regelmäßig mit Asylbewerbern tanzen, kochen, Fußballspielen, Musik machen. All das also fällt unter den Begriff „individuelle Betreuung“. Angerechnet wird auch Engagement in der Öffentlichkeitsarbeit und der Organisation. Unterm Strich müssen sich die Studenten vier Stunden in der Woche mit den Asylbewerbern befassen.
Das „tun“-Modul ist eine Idee von Anna Peschke, 21, Politikstudentin. Vor einem Jahr wurde klar, dass der Landkreis Eichstätt bis zu 250 Flüchtlinge zugewiesen bekommt. Einige Eichstätter sträubten sich damals gegen den Ausbau einer Unterkunft für Asylbewerber und stellten Protest-Transparente in der Stadt auf. Anna wurde hellhörig. Sie wollte sich in die Debatte einbringen und fragte bei Sozialarbeitern an, wie sie am besten helfen könne. Die waren sich einig: mit Deutschkursen. Innerhalb von zwei Wochen standen fünf Leute bereit, um ehrenamtlich Deutschunterricht zu geben. „Eichstätt ist klein“, sagt Anna und lacht. Es war keine große Mühe, die fünf zusammenzutrommeln. Einer von ihnen ist Max. „Eichstätt ist klein“, sagt auch er. Der Satz scheint ein Code zu sein für: Hier erfährt man schnell, wo Hilfe gebraucht wird. Und dann hilft man halt mit. Fertig.
Zuerst kamen 15 Flüchtlinge in den Raum Eichstätt. Als es nach ein paar Monaten bereits 150 waren, wurde klar, dass fünf Deutschlehrer nicht reichen. Anna ließ sich einen Termin beim Kanzler der Uni geben. „Es musste eine Struktur her, denn wir sind Studenten und damit in ein paar Jahren wieder weg“, sagt sie. „Das Projekt soll nicht an Personen hängen, es soll langfristig angelegt sein.“ Wenige Stunden nach ihrem Termin gab es das neue Wahlmodul. Es soll angeboten werden, solange es Asylbewerber in der Region gibt. Bis zum Jahresende sollen noch weitere 100 Flüchtlinge im Landkreis Eichstätt untergebracht werden.
Bleibt die Frage: Braucht das Projekt wirklich diesen Deal-Charakter? Credit Points gegen Hilfe – muss das sein? Anna ist da pragmatisch: Gäbe es keine Gegenleistung, wäre das Interesse der Studenten nicht so groß, sagt sie. Als publik wurde, dass es Punkte zu holen gibt, meldeten sich mehr als 70 Studenten bei ihr. Davor waren es 15. Sie hält diesen Anreiz für richtig: „Ehrenamt soll auch akkreditiert werden“, findet sie. Angst vor bequemen Punkteabstaubern hat sie keine. „Wer sich wirklich nicht für die Sache interessiert, macht bei uns nicht mit. Dafür ist es zu viel Arbeit“, sagt sie und verweist auf Max. Der brachte sich schon ein, da gab es noch keine Credit Points.
Integration im Café
Kaffee und Kuchen – das klingt altbacken, nach Rentnern und Großmüttern. Für Tassilo Schuster hat es einen anderen Beiklang. Der 22-jährige Student leitet seit einem Jahr die Hochschulgruppe „Asylcafé Passau“. Die organisiert alle zwei Wochen offene Treffen in der Diakonie Passau, bei denen Einheimische und Asylbewerber ins Gespräch kommen können. Es gibt in vielen deutschen Städten ähnliche Konzepte, aber selten werden sie so stark von Studenten getragen wie hier: Auf 15 Studenten kommen nur vier Nichtstudenten. „Das ist schon fast ein Problem, weil dadurch auf lange Sicht die Kontinuität fehlt", sagt Tassilo. Bei vielen Gelegenheiten wirbt die Hochschulgruppe deswegen um Ehrenamtliche, die selbst nicht studieren und sich dauerhaft engagieren können, ohne in den Semesterferien oder während des Auslandssemesters eine Pause einlegen zu müssen. Bisher mit wenig Erfolg.Das Asylcafé ist bei den Studenten ein Selbstläufer: Weil es als Hochschulgruppe organisiert ist, hören viele Studenten bei der Vorstellung der Hochschulgruppen zu Semesterbeginn davon. Sie bekommen einen Denkanstoß, ohne den manche vielleicht gar nicht auf die Idee gekommen wären, sich für Flüchtlinge zu engagieren. Das ist in Passau aber bitter nötig: „Wie überall in Deutschland sind hier die Flüchtlinge sonst sehr isoliert, allein weil die Asylunterkünfte so dezentral liegen“, sagt Tassilo. Die Treffen des Asylcafés sollen den Kontakt erleichtern. Es scheint zu klappen: Viele Studenten freunden sich mit den Asylbewerbern an, treffen sich zum Kochen oder bilden ein Sprachtandem.
Tassilo hat dort schon gute Freunde gefunden – einer der Gründe, aus denen er sich so gerne für das Asylcafé engagiert: „Man lernt dort so spannende Menschen kennen und spürt, dass sie sich durch den Kontakt in Deutschland viel willkommener fühlen.“
Integration als Weiterbildung
In seinem Heimatland hat Nadir Mammadov Musik unterrichtet. Dann brach in Aserbaidschan Krieg aus und der heute 41-Jährige musste fliehen. Seitdem kämpft er: erst um die unbefristete Aufenthaltserlaubnis in Deutschland, jetzt darum, wieder im sozialen Bereich arbeiten zu können. „Mit meiner Flucht war alles weg. Ich habe immer gehofft, aber mein Diplom ist hier bis heute nicht anerkannt worden“, sagt er. Seit Nadir in Deutschland die Arbeitserlaubnis bekommen hat, arbeitet er in einem Imbiss, um sich über Wasser zu halten. In seiner Freizeit engagiert er sich im Jugendzentrum. Ein Anfang. Lieber würde er aber wie früher hauptberuflich im sozialen Bereich arbeiten.An Menschen wie Nadir Mammadov richtet sich ein Programm der Universität Oldenburg: Hier können Flüchtlinge selbst das „Kontaktstudium Pädagogische Kompetenz in Bildung, Beratung und Sozialarbeit“ aufnehmen. Das Weiterbildungsprogramm wurde 2004 gemeinsam mit dem Verein „Kargah“ aus Hannover ins Leben gerufen. Studien der Uni Oldenburg hatten gezeigt, wie schwierig es für Flüchtlinge selbst mit unbefristeter Arbeitserlaubnis ist, in Deutschland Arbeit zu finden, vor allem in ihrem ehemaligen Beruf. „Es ist eine extreme Situation“, sagt die Projektkoordinatorin Friederike Walther. „Menschen, die in ihren Heimatländern als Schulleiter oder Geschäftsführer einer NGO gearbeitet haben, halten sich hier mit schlecht bezahlten Gelegenheitsjobs über Wasser. Wir wollen zumindest einem Teil die Chance geben, da anzuknüpfen, wo sie vor ihrer Flucht aufgehört haben.“
Das Weiterbildungsprogramm ist für Flüchtlinge, die in ihren Heimatländern im sozialen Bereich gearbeitet haben, fertig studiert oder ihr Studium wegen der Flucht abbrechen mussten. Deswegen liegt die Altersspanne der Teilnehmer auch weit auseinander, dieses Jahr sind sie zwischen 23 und 54 Jahre alt. Über zwei Semester belegen sie verschiedene Kurse, zum Beispiel zu den Methoden sozialer Arbeit, Beratungsformen, dem deutschen Bildungssystem und in Psychologie. Auch ein Praktikum gehört dazu.
Das Kontaktstudium ist als Weiterbildung angelegt, die Teilnehmer haben danach keinen vollwertigen Studienabschluss in der Tasche. Kämpfen müssen sie auf dem Arbeitsmarkt immer noch: Längst nicht alle finden nach dem Kontaktstudium eine Stelle. Für sie hat die Uni Oldenburg noch ein Angebot: Sie dürfen an dem verkürzten, viersemestrigen Bachelorstudiengang „Interkulturelle Bildung und Beratung“, teilnehmen.
Nadir Mammadov beginnt damit in diesen Tagen. Wie schon während der Weiterbildung möchte er wieder viel Zeit ins Lernen stecken, um möglichst gute Noten zu schreiben. „Es ist mir wichtig, dass es mit der Arbeit danach klappt – auch weil ich glaube, dass ich viele Erfahrungen weiterzugeben habe und den Jugendlichen zeigen möchte, dass man es auch als Migrant in Deutschland schaffen kann“, sagt er. Für dieses Ziel wird er auch mit 41 Jahren wieder gerne zum Studienanfänger.
Text: dorothea-wagner - und Katharina Häringer; Foto: sajola / photocase.com