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Die Haus-Aufgabe: Wie Papa, Oma und du ideal zusammenleben könnten

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In knapp einer Woche ist Weihnachten. Werdet ihr nach Hause zu Eurer Familie fahren? Katrin: ich fliege nach Montreal. Zum Glück kümmert sich die Frau meines Bruders um die Organisation. Sonst würde sich unsere weit verstreute Familie eher selten treffen. Susann: Wir feiern immer noch wie zu Kindertagen. Im Elternhaus und mit dem traditionellen Programm. Drei Tage in diesem Rückzugsraum sind sehr entspannend. Aber ich finde es nach den Feiertagen auch schön in den normalen Alltag zurückzufahren.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ihr seid Teil einer Generation, die auf der ganzen Welt arbeitet, immer wieder umzieht. Wo seid Ihr zu Hause? Chao: Der Ort, an den ich denke, wenn ich müde, wütend oder einsam bin, das ist mein Zuhause. Katrin: Das kann aber überall sein. Zuhause hat etwas mit Eigentum zu tun, es ist ein Ort, der mir gehört, an dem ich bestimme, wer Zutritt hat oder nicht. Das ist auch so ein Effekt der Globalisierung. Montreal, Essen, Peking - es spielt keine Rolle, wo du bist, es gibt die gleichen Dienstleistungen und Güter. Deshalb ist es so einfach seine Heimat zu verlassen. Susann: Andererseits geht es nicht nur um materielle Dinge. „Home is where my heart is“, also dort, wo Menschen sind, die ich mag. Katrin: Idealerweise schon. Ich glaube aber, dass wir nur die ganze Zeit umziehen können, weil unsere Beziehungen so verkorkst sind, weil wir verlernt haben, richtige Beziehungen zu führen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Chao Zhen, 22 Jahre alt, aus Wuhan in China> Ihr arbeitet zusammen mit anderen jungen Designern und Architekten an einem Entwurf für das "Universal Home". Katrin: Das Leben verändert sich andauernd. Erst lebt eine kleine Familie im Reihenhaus, dann gibt es eine Scheidung, dann kommt ein neuer Partner hinzu, Leute ziehen aus, kommen zurück, werden alt. Da wäre es schön, wenn sich das Haus der Situation anpassen könnte. Susann: Warum gibt es so viele Wände? Warum ist die Raumaufteilung so starr? Wir leben in einer flexiblen und mobilen Welt. Und überall sind Wände. Chao: Ein Haus gibt aber auch Stabilität. Es ist eine schwierige Balance zwischen Sicherheit und Wandel. Ich habe mal einen Entwurf gemacht: Die Wohnung liegt nicht in einem festen Gebäude, sondern besteht aus einer Reihe von Raummodulen - Kinderzimmer, Büro, Bad - die man hinzuschalten oder abnehmen kann. Eine schöne Idee, aber schwierig umzusetzen. Katrin: Unter einem Mehr-Generationenhaus sollte man sich kein Bauernhaus vorstellen, sondern eine zeitgemäße Version. Die Überalterung und Vereinsamung der Menschen sind große gesellschaftliche Probleme. Es besteht eine enorme Distanz zwischen den Menschen. Architektur kann ein Facilitator sein, um Nähe zu schaffen.


Könnt Ihr Euch vorstellen, später wieder mit Euren Eltern zusammen zu ziehen und sie im Alter zu pflegen? Susann: Wenn sie mich brauchen, werde ich da sein. Hoffe ich zumindest. Ich sehe mein Leben und das meiner Freunde, und es wird dominiert von einer Lust und einem Zwang zur Mobilität. Man zieht jedes Jahr in eine andere Stadt. Wegen der Arbeit, der Liebe, neuen Zielen. Das ist mit der traditionellen Denkweise, dass man sich um seine Eltern kümmern sollte, eigentlich kaum vereinbar. Katrin: Ich lebe in einer großen Stadt, meine Eltern sind Landmenschen und Gärtner - die Erde und der Garten geben ihrem Leben einen Sinn. Ein Kompromiss würde niemanden glücklich machen. Wir stehen ein bisschen sprachlos vor dem Problem. Die Menschen haben verlernt, ihre Bedürfnisse auszudrücken. Chao: Vielleicht haben wir in China eine andere Denkweise. Ich fühle eine große Verantwortung. Vor allem, weil es in jeder Familie nur ein Kind gibt. Bei uns wollen die Familien zusammen bleiben.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Susann Stiehl, 26, Architektin aus Berlin> Wie würde ein Haus aussehen, in dem Menschen verschiedener Generationen leben können und wollen? Chao: Eine der Grundfragen ist, wie wir mit den Themen Privatsphäre und Gemeinschaft umgehen. Man muss eine Balance finden. Denn sowohl Kinder als auch Eltern brauchen ihren Freiraum. Susann: Familie - das bedeutet immer auch Druck. Große Erwartungen. Karriere. Heirat. Alles muss immer klappen. Chao: Das ist jetzt vielleicht wieder die chinesische Perspektive: Aber der wichtigste Ort ist die Küche. Wenn dort die Atmosphäre stimmt, dann klappt es auch mit dem Zusammenleben. Wir sprechen darüber, was wir essen, wie wir es kochen und wie es geschmeckt hat. Katrin: Ich denke, ein Mehr-Generationenhaus muss nicht zwangsläufig von einer Familie bewohnt werden. Es könnten sich doch auch junge Familien und ältere Herrschaften aus der Nachbarschaft zusammen tun. Die Senioren leben im Erdgeschoss, die Familie im ersten Stock, und man unterstützt sich gegenseitig.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Katrin Braun, 40 Jahre alt, aus Montreal> Für viele gesellschaftliche Probleme werden Individualisierung und Materialismus verantwortlich gemacht. Fast sehnsüchtig blicken manche in andere Kulturkreise, wo die Großfamilie noch intakt scheint. Susann: Ich habe lange in Mexiko gelebt. Erst da ist mir aufgefallen, dass wir in Deutschland total linear leben. In einem großen Haus hat jeder seinen Raum, und niemand weiß, was der andere macht. Als ich in Mexiko bei der Familie meines Freundes gelebt habe, gab es da die Eltern, drei Kinder, eine Großmutter, zwei Cousinen und mich. Jeder hat im Wohnzimmer sein Ding gemacht. Ich habe keinen Platz gefunden, um mich zu konzentrieren. Meinen Freund hat der Trubel gar nicht gestört. Es ist eigentlich ja auch schön. Chao: Man sollte sich nicht in seinem Haus verstecken. In China machen wir viel auf der Straße. Essen. Arbeiten. Schach spielen. Die traditionellen Häuser sind sehr dunkel, und deshalb sind wir schon als Kinder immer raus auf die Straße gegangen, um dort Hausarbeiten zu machen. Es war natürlich sehr laut, aber auch sehr interessant unter Leuten zu sein. Es wäre gut, wenn man traditionelle Strukturen auf neue Art und Weise interpretieren könnte. Katrin: Anderseits werden Gesellschaften und Kulturen immer globaler. Das Leben wird nicht mehr an einem Ort gelebt. Und das wird auch so schnell nicht wieder so sein. Selbst wenn wir uns um unsere Eltern kümmern wollten, würden wir wahrscheinlich nicht neben ihnen wohnen. Darum geht es: Wir müssen neue Oberflächen für ein Zusammen-Leben entwickeln, die tiefe Beziehungen zulassen. Daran arbeiten wir.

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