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Die Hauptstadt des Surfens
Es geht alles ziemlich schnell bei Tao Schirrmacher. Sein Brett gleitet flink über das Wasser, er hebt ab, springt und dreht sich, lässt einen Wasserschwall auf die wartenden Surfer am Rand spritzen. Ein Manöver reiht sich an das andere, in einem Tempo, das sich deutlich von dem der anderen Surfer abhebt. Und es dauert keine Viertelstunde, da steht Tao schon wieder auf dem Parkplatz hinter dem Haus der Kunst und schält sich aus dem Neoprenanzug.
Tao wollte sich „nur kurz nassmachen“, wie er sagt. Er hat nicht viel Zeit, er ist direkt von einem Meeting in der Agentur, in der er freiberuflich als Industriedesigner arbeitet, an den Eisbach gefahren. Zu Hause wartet noch andere Arbeit auf ihn: Tao verkauft Reparatur-Sets für die Surfer am Eisbach. Kleine weiße Dosen sind das, darauf steht “Big Ding“. Ding ist der Fachausdruck für eine Delle im Brett, und solche Dellen gibt es häufig in München, weil die fragilen Surfbretter ständig gegen die Steinmauer am Rand des Eisbachs krachen und dabei kaputt gehen. Tao stopft seinen Neoprenanzug in den Kofferraum seines VW Polos. Jetzt wird er nach Hause fahren und die Dosen füllen. Er wird das klebrige Polyesterharz aus dem großen Harzkanister in den etwas kleineren Kanister schütten – mit dem tut er sich leichter bei der Portionierung der kleinen 250-Milliliter-Fläschchen, die in die Reparatur-Dose kommen. Es wird trotzdem etwas daneben gehen, seine Hände werden kleben und später auch noch schmerzen, weil er die Fläschchen nicht nur befüllen, sondern auch alle einzeln zudrehen muss. Und das alles für ein paar Hundert Euro im Monat, die er damit dazuverdient.
Taos Reparaturset ist eine von vielen Geschäftsideen, die sich rund um den Eisbach entwickelt haben. Es gibt mehrere Surfbrett- und einen Finnen-Hersteller in München, die Stadt ist Heimat des Surfmagazins Tide, es gibt Surfshops und große Sportgeschäfte, die Surfbretter führen. In Schwabing hat mit dem Arts 'n' Boards vor kurzem eine Surfbar eröffnet, und am Münchner Flughafen wird in zwei Wochen die erste Europameisterschaft im Surfen auf einer stehenden Welle ausgetragen, die dem Eisbach nachempfunden ist. Der Eisbach ist also längst mehr geworden als der Ort, an dem sich ein paar Surfer austoben und ihren Spaß haben. Er ist Mittelpunkt einer lebendigen Szene, deren Einfluss weit über München hinaus reicht, und die ist der Nährboden einer eigenen kleinen Surfindustrie. Man könnte sagen, der Eisbach hat München zur Surfhauptstadt Deutschlands gemacht.
Deshalb haben die Veranstalter des Hamburger Surf Festivals, das heute in der alten Kongresshalle beginnt, ihre Veranstaltung auch nach München gebracht. Organisator Christoph Ziegelmann kommt aus Hamburg, wo man wegen der größeren Nähe zum Meer eigentlich eine lebendigere Szene vermuten würde als in der weit von allen Meeren entfernten bayerischen Landeshauptstadt. Trotzdem glaubt er, „dass Surfen in München von allen deutschen Städten den größten Stellenwert hat. Hier wird der Sport viel greifbarer.“
Die Surfer gehören in München quasi zum Straßenbild; wer an einem schönen Sommertag durch die Innenstadt radelt, wird früher oder später einem Menschen mit Brett unter dem Arm begegnen. Die Surfer müssen keine Strände nach guten Wellen absuchen, ihr Spielplatz liegt mitten in der Stadt. „Das ist wie ein kleines Stadion hier“, sagt Tao. „Alles kommt an diesem einen Ort zusammen.“
Tao ist einer von etwa 15 Surfern, die sich zusammen FUS-Crew nennen. Der Name habe keine wirkliche Bedeutung, und die Crew kein bestimmtes Ziel, sagt Tao. FUS, das seien einfach ein paar Leute, die gerne zusammen surfen und sich dabei mit ihren Tricks und Sprüngen inspirieren und weiter bringen. Aber die Surfer der FUS-Crew sind diejenigen, die auch über München hinaus Aufmerksamkeit bekommen: Vor wenigen Tagen wurden sie mit einem ihrer kurzen Surffilme bei einem internationalen Videowettbewerb unter die weltweit neun besten Crews aus den Bereichen Skateboard, Surfen und BMX gewählt. Gerry Schlegel, ein anderes FUS-Mitglied und einer der besten Münchner im Eisbach und Meer, landete nach einer Umfrage des Deutschen Wellenreitverbands auf Platz drei der bekanntesten Deutschen Surfer – hinter zwei Profis, die beide in Portugal leben und aufgewachsen sind.
Für Nichtmünchner ist es immer noch eine Sensation, jemanden auf einer Welle in einem Fluss reiten zu sehen. Die Welle steht in jedem Touristenführer, und selbst gestandene Meeressurfer schauen mit einiger Bewunderung den Tricks zu, die dort gemacht werden. Auch der Film „Keep Surfing“, der 2009 beim Münchner Filmfest Premiere feierte und die Geschichte und Faszination des Flusssurfens in München dokumentiert, hat Münchens Status als deutsche Surfhauptstadt zementiert. Er war deutschlandweit im Kino zu sehen, lief auf Filmfestivals in der ganzen Welt und wird aller Voraussicht nach bald in ganz Australien in die Kinos kommen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Die gesteigerte Aufmerksamkeit für den Eisbach ging Hand in Hand mit einer anderen Entwicklung: Sponsoring. „Mittlerweile haben etwa 30 Leute hier irgendeinen Sponsoren-Deal“, schätzt Tao. Die meisten bekommen nicht viel mehr als Kleidung und Material, aber immerhin können sie sich damit ihr Hobby und ein paar Reisen ans Meer finanzieren.
Der erste, der auf die Idee kam, Eisbachsurfer zu sponsern, war Nico Meisner, einer der Gründer der Münchner Firma Buster Surfboards. Wenn man ihn bei der Arbeit besucht, sieht es auf den ersten Blick nicht danach aus, als würde er ein ernsthaftes Geschäft betreiben. Er sitzt in einem Liegestuhl auf der Wiese, neben sich im Gras die Laptoptasche und das Handy, auf den Knien der Computer. Im Hintergrund rauscht ein Seitenarm der Isar, und wenn Nico den Blick vom Bildschirm hebt, sieht er die Floßlände, den zweiten Surfspot Münchens. „Wenn ich nicht ins Lager muss und das Wetter schön ist, komme ich oft zum Arbeiten her“, sagt er. Eine fast schon zu klischeehafte Arbeitsweise, aber anscheinend eine erfolgreiche: Nicos Unternehmen hat im Moment 15 verschiedene Boards für Fluss und Meer im Angebot und verkauft etwa 500 Stück im Jahr nach ganz Europa. Damit ist Buster einer der größten deutschen Hersteller. Wenn Nico unterwegs ist, wundert er sich manchmal selbst, wie bekannt seine Firma ist: „Es ist schon öfter vorgekommen, dass ich in Frankreich oder Portugal mit meinem Brett am Strand entlang lief und angesprochen wurde: ‚Buster, das sind doch die Typen aus München!' Wenn dann rauskommt, dass das meine Firma ist, bekomme ich einen Respekt entgegengebracht, den ich so nie erwartet hätte.“
Buster ist vielleicht das beste Beispiel dafür, wie ausgehend vom Eisbach ein Geschäft gewachsen ist. „Früher haben die Leute hier irgendwelche gebrauchten Bretter gesurft, die sie im Urlaub billig gekauft hatten. Eigentlich hatte niemand ein Gefühl dafür, was hier überhaupt geeignet ist“, erinnert sich Nico. Es gab keine Bretter, die für die Gegebenheiten einer Flusswelle konstruiert waren. Also begannen Nico und sein Geschäftspartner, selbst welche zu bauen. „Der Eisbach war und ist die Lebensader unseres Geschäfts“, sagt Nico. Es beginnt zu regnen, Nico klappt seinen Laptop zu. Ihm selbst kann der Regen egal sein. Er wird sich später wahrscheinlich sowieso noch im Eisbach nassmachen.
Text: christian-helten - Fotos: Dieter Verstl