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Die Frau hinter der Wolke
Ihr Antiatomkraft-Buch „Die Wolke“ (1987) verkaufte sich millionenfach und wurde in 13 Sprachen übersetzt. In Deutschland muss es fast jeder Schüler im Lauf der Mittelstufe lesen. Über die Autorin ist dagegen nur wenig bekannt. Gudrun Pausewang, Jahrgang 1928, hat insgesamt über 80 Bücher verfasst – eigentlich ist sie Grundschullehrerin. Zwölf Jahre lebte sie in Südamerika, heute wohnt sie in der Nähe von Fulda und schreibt immer noch jeden Tag. Am 16. März kommt „Die Wolke“ als Film in die Kinos. Zeit, mit der Autorin über Problemliteratur, junge Leser und den Atomausstieg zu sprechen. Frau Pausewang, wie waren Ihre Reaktionen, als Sie erfahren haben, dass Ihr Roman „Die Wolke“ verfilmt wird? Das ist ja schon der dritte Versuch, ihn zu verfilmen. Vor etwa zwölf Jahren ist ein Projekt gescheitert, darüber war ich froh. Denn davon war ich nicht so begeistert. Vor etwa vier Jahren scheiterte ein anderer Versuch angeblich am Geld. Jetzt habe ich mich gefreut und war gespannt auf das Drehbuch – mir kam es vor allem darauf an, dass meine Botschaft rüberkommt. Und? Sind Sie zufrieden? Ich weiß von vornherein, dass eine Verfilmung nie genau eins zu eins stattfinden kann. Die Handlung muss gestrafft werden, und man kann nicht so viele Figuren erscheinen lassen. Es stört mich auch nicht, dass nun eine Liebesgeschichte reinkommt – solange kein Kitsch wuchert und so die Botschaft im Vordergrund bleibt.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Szenenbild aus dem Film "Die Wolke" Und diese Botschaft ist: Atomkraft ist gefährlich. Bekommen Sie als Autorin mit, ob Ihr Buch und seine Warnung bei den jungen Lesern immer noch ankommt? Ich erhalte pro Woche zwei bis drei Briefe oder Anrufe von jungen Lesern. Manche sind von der Lektüre aufgewühlt und brauchen dann jemanden, mit dem sie sich darüber austauschen können. Nicht jeder liest das Buch in der Schule. Das Telefon klingelte auch schon mal nachts um halb zwei, ich fuhr aus dem Bett hoch und hörte eine jugendliche Stimme: „Entschuldigen Sie bitte vielmals! Ich weiß, es ist eine unmögliche Zeit, aber ich habe gerade ,Die Wolke‘ zu Ende gelesen und muss jetzt einfach mit Ihnen reden!“. Legen Sie dann nicht verärgert auf? Nein, da muss man zur Verfügung stehen. Wenn ich für die Jugend schreibe, muss ich auch für die Jugend erreichbar sein. Oft geht es dann um grundsätzliche Dinge, zum Beispiel um die Frage „Was halten Sie für den Sinn des Lebens?“ Da frage ich mich dann schon, ob es nicht eine Nummer kleiner sein könnte. Aber auch ich habe mir in dem Alter Gedanken über den Sinn des Lebens gemacht – nur bekamen wir damals in der Hitlerzeit vom Staat vorgeschrieben, was der zu sein hatte: dem Vaterland zu dienen. Sie haben nicht nur in „Die Wolke“ über Atomkraft geschrieben, sondern auch in „Die letzten Kinder von Schewenborn“. Warum ist das Thema für Sie wichtig? Ich versuche jeweils den Finger in die Wunden der Zeit zu legen. Als ich diese beiden Bücher verfasste, war die Atomkraftnutzung das Problem der Zeit. „Die letzten Kinder von Schewenborn“ schrieb ich 1982 vor dem Hintergrund des Kalten Krieges, als sich die beiden Atom-Mächte feindlich gegenüberlagen. Jederzeit hätte damals ein Atomkrieg ausbrechen können, diese Gefahr wollte ich bewusst machen. „Die Wolke“ entstand dagegen nicht aus langer Vorbereitung heraus. Fünf Minuten vor der ersten Meldung über die Katastrophe in Tschernobyl habe ich noch nicht im Traum daran gedacht, ein solches Buch zu schreiben. Aber als das ganze Ausmaß der Verstrahlung bekannt wurde, habe ich mich gefragt, wie eine solche Katastrophe aussähe, wenn sie nicht in der dünn besiedelten Ukraine, sondern in Deutschland passieren würde. Mit dem Buch wollte ich die Gefahr bewusst machen, die von Atomkraftwerken ausgeht. Können Sie sich noch daran erinnern, wie sie das Buch geschrieben haben? Ich fragte telefonisch beim Verlag an, ob das Thema für sie interessant sei. Noch bevor ich den Satz raus hatte, kam die Antwort: „Schreiben Sie!“ – Am 25. Mai fing ich an, am 5. Oktober 1986 war ich fertig. Damals war ich noch im Schuldienst. Nur an den Wochenenden und in den Ferien konnte ich mich an die Schreibmaschine setzen. Ist „Die Wolke“ immer noch Lektüre für viele Mittelstufeschüler? Für sehr viele, auch in Österreich. Sie war auch einige Jahre Pflichtlektüre für englische Studenten, die die deutsche Sprache studierten. Meine Atombücher hatten auch großen Widerhall in Japan. Trotzdem sitzen Sie noch den ganzen Tag vor dem Computer und fahren mehrere Monate pro Jahr durch Deutschland um an Schulen und in Büchereien zu lesen. Könnten Sie es sich nicht längst leisten, die Füße hochzulegen und von den „Wolke“-Einkünften zu leben? Ich werde solange schreiben und Lesungen machen, wie ich kann, denn es ist für mich kein Job, sondern Leidenschaft. Im Übrigen machen Sie sich falsche Vorstellungen von der Höhe des Honorars, das man pro Taschenbuch bekommt. Aber ich gebe gerne zu: Auch wenn ich sofort die Füße hochlegen würde, müsste ich nicht darben. Glauben Sie, dass „Die Wolke“ Menschen beeinflusst hat? Das glaube ich schon. Oft haben mir Jugendliche beteuert, dass dieses oder jenes meiner Bücher ihrem Leben eine bestimmte Richtung gegeben hat. Einige der damals jungen Menschen sind als längst Erwachsene sicher in Machtpositionen vorgerückt. Wenn mir junge Menschen sagen, was meine Bücher ihnen bedeuten, gibt mir das Mut für neue Bücher mit Problemthemen, die in unserer gegenwärtigen Gesellschaft heiß diskutiert werden. Da muss ich als Autorin auch mal mit anonymen Drohungen rechnen. Schreiben Sie eigentlich Literatur oder Schulbücher? Ich versuche immer, Literatur zu schreiben, egal, für welche Altersgruppe. Ich habe nie gedacht: „Och, ist nur ein Jugendbuch, da muss ich mich nicht anstrengen.“ Ich glaube, dass es viel schwieriger ist, für Jugendliche zu schreiben als für Erwachsene. Man muss sich konkreter ausdrücken und seine Formulierungen so wählen, dass junge Menschen sie auch verstehen. Es stört mich immer, wenn Kinder- und Jugendliteratur abgewertet und nicht ernst genommen wird. Was denken Sie über den von Rot-Grün geplanten Ausstieg aus der Atomenergie und was über die Uneinigkeit, die darüber nun in der Großen Koalition herrscht? Ich bin natürlich für das Abschalten und freue mich, dass die Diskussion Anfang des Jahres erst einmal verschoben wurde. Denn dann hat der Film Chancen, in manchen Köpfen etwas zu bewegen. Das Argument einiger Politiker, dass wir beim Abschalten der AKWs Atomstrom von weniger sicheren Kraftwerken aus Nachbarländern beziehen müssten, halte ich nicht für überzeugend. Denn wir würden ja ein Beispiel geben und das würde weitergereicht. Dieser Text ist Teil der jetzt.de-Macht-Seite, die am Montag in der Süddeutschen Zeitung erscheint.