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Die Buchmacher

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Der Agent
  Ein guter Literaturagent weiß, dass du ein Buchautor bist, meistens bevor du es selbst weißt. Sein erster Auftritt besteht oft genug in einem kurzen Anruf, bei dem er sagt, er hätte da was von dir gelesen und tja, wäre das nicht auch ein ganzes Buch wert? Eher unwahrscheinlich, dass er auf diese schmeichelnde Anmache die Antwort „Buch? Igitt!“ hört. Viel wahrscheinlicher hat er ein paar Wochen später einen Vertrag mit dir geschlossen, der dich in die Lage versetzt, fortan Sätze mit „Mein Agent . . .“ zu beginnen und ihn fortan berechtigt, immer 10 bis 20 Prozent von deinen zukünftigen Buchumsätzen einzustreichen. Danach wird dich dein Agent freundlich zur Arbeit antreiben, dein Exposé zweimal zurückgehen lassen, obwohl „eigentlich alles super“ ist, bis er es im dritten Anlauf für gut genug befindet, damit an einen Verlag heranzutreten. In welchen Worten dort über dich gefeilscht wird, erfährst du nicht, zum Glück. Die paar Wochen, die seine Maklertätigkeit jetzt dauert, sind die beste Zeit des Buchautorenlebens, genieße sie, gehe in sogenannte Künstlerkneipen und drücke dort die Daumen, dass sich dein Agent ein ehrgeiziges finanzielles Monatssoll auferlegt hat, denn er verhandelt ja nicht nur für dich sondern auch für sich. Agenten sind bei Verlagen deswegen im Durchschnitt etwa so beliebt wie Hagelschäden bei Chauffeuren. Andererseits haben die großen Agenturen den Verlagen die unangenehme Funktion des Vorlektorats abgenommen, die legendäre Suche nach einem Verlag, der dein Buch nimmt, ist also eher der Suche nach einem seriösen Agenten gewichen, der dein Buch vertreten möchte. Anfangs macht er die Arbeit, dafür wird es hinterher für ihn um so einfacher. Ist erstmal ein Verlag für deinen Bestseller gefunden (zu diesem Zeitpunkt vermuten noch alle stark, dass es einer wird) und ein Vorschuss ausgehandelt, gibt es nur noch ein Problem: Du musst jetzt liefern.
 
***

  Die Lektorin
  Dein Agent begleitet dich bis zu deiner Lektorin wie deine Mutter dich früher zur Kindergärtnerin begleitet hat. Im Gegensatz dazu aber knurren sich Lektorin und Agent bei deiner Übergabe unauffällig an. Kein Wunder: Hättest du, wie früher, direkt nach einem Verlag gesucht, wäre den das Ganze um mindestens die Hälfte günstiger gekommen. Eine Lektorin ist, wie man es sich vorstellt, ein dünnhäutiger Mensch, der sehr viele Papierstapel in seinem Büro hat. Sie ist nett, aber immer auch ein bisschen gestresst und irgendwie nicht mal ansatzweise so aufgeregt über dein Buchprojekt, wie es dein Agent dir überliefert hatte. Der leichte Stress rührt daher, dass ihr Chef der Verleger ist und damit so ungefähr der Einzige in einem Verlag, der sich um Geld Sorgen macht. Gelegentlich gibt er diese Sorge an seine Lektoren weiter und deine hat deswegen wieder zu rauchen angefangen. Die Arbeit mit der Lektorin hattest du dir ein bisschen romantischer vorgestellt als sie in Wirklichkeit ist: Sie ruft alle zwei Monate an und fragt einigermaßen unverhohlen, wann es denn soweit wäre. Richtig ernst wird es spätestens an dem Tag, an dem sie dir Vorschaukataloge für die nächste Saison zuschickt. Dein Buch ist auf Seite 36 zu sehen, versehen mit einem erstaunlichen Titel und einem haarsträubenden Cover. Jetzt gibt es keine Ausreden mehr. Am Tag nachdem du dein Manuskript in Gänze abgegeben hast, fängst du auch wieder mit dem Rauchen an. Schließlich weißt du eigentlich überhaupt nicht, ob es was taugt und auch dein Agent, sonst zuverlässiger (und gutbezahlter) Motivator, ist auf einmal nicht zu erreichen. Nach 14 Tagen kommt dein Text im Word-Korrekturmodus zurück und hat sehr viele Anmerkungen. Anfangs möchtest du noch wegen jeder Einzelnen bei deiner Lektorin anrufen und auf dein Recht als angehendes Genie pochen, aber das legt sich. Am Ende der Korrekturphase nimmst du auch ganze Seitenstreichungen kommentarlos hin. Die Wahrheit ist: Du kannst den ollen, gefledderten Text nicht mehr ausstehen und deine Lektorin auch nicht. Höchste Zeit, dass er gedruckt wird.
 
***

  Die Vertreter
  Von diesen grauen Eminenzen der Buchwelt hast du bisher kaum etwas gewusst. Je konkreter aber dein Buch zusammenwächst, desto häufiger murmelt deine Lektorin ein leises Stoßgebet, in dem sie die Gunst der Vertreter für dein Buch erfleht. Gemeint sind tatsächlich richtige Vertreter, die mit einem Kombi die Buchhandlungen in ihrem Gebiet abklappern und dort die neuen Titel ihrer Verlage anpreisen, damit die Buchhändler einen Stapel davon nehmen und vielleicht sogar auf dem „guten Tisch“ platzieren. Das ist handfeste Überzeugungsarbeit und deswegen ist es so wichtig, dass dein Buch vor allem den Vertretern gefällt. Zu diesem Zweck gibt es in jedem Verlag zweimal im Jahr die eine Vertretertagung, bei der alle Lektoren bis hin zum Verleger sehr nervös sind – etwa so wie die Bürgermeister bei einer Olympiabewerbung. Es kann vorkommen, dass du als Autor noch dazu geladen wirst, um persönlich für dich zu trommeln. Dabei wirst du feststellen, dass die Vertreter ausgesprochen freundliche Menschen sind, die dein Buch schon besser kennen als du selbst. Nie wieder wirst du sinnvollere und kniffligere Fragen gestellt bekommen, nie wieder wirst du Menschen begegnen, die so genau über deine Zukunft Bescheid zu wissen scheinen – und trotzdem geschickt allen diesbezüglichen Fragen ausweichen. Sie sind aber nicht die einzigen, die den Daumen über deinem fast fertigen Buch heben und senken. Es gibt noch Menschen in der Marketingabteilung, denen dein Namen zu lang, der Titel zu nichtssagend, die Coverfarbe zu langweilig ist, und die damit immer Recht haben dürfen. Es gibt Vertriebsleute, die den Erscheinungszeitpunkt für grundfalsch halten, und es gibt die Assistentin des Verlegers, der seit 30 Jahren im Verlag als Stimme des Volkes allerhöchste Urteilskraft zugeschrieben wird und wegen der in letzter Sekunde die Papierdicke verändert wird („Das fühlt sich so dünn an!“) und alle Anglizismen und Fäkalausdrücke in deinem Text gestrichen werden („So was gehört nicht in ein Buch!“).
 
Auf der nächsten Seite lernst du den Buchhändler, die anderen Autoren und natürlich den Leser kennen.



  Der Buchhändler
  Gut, von einem Bestseller redet schon lange keiner mehr und spätestens seitdem dein Buch von den Aushilfen bei Thalia und Hugendubel drei Wochen nach Veröffentlichung immer noch nicht gefunden wird, ist klar: Du kannst froh sein, dass du einen Vorschuss bekommen hast. Einzige Stützen in der Zeit dieser bitteren Erkenntnis sind die Buchhändler, auf die fast immer das Adjektiv „rührig“ zutrifft. Zwei oder drei von diesen rührigen Buchhändlern wird es geben, die dein Buch gut finden und dich einladen, in ihrer reizenden Kreisstadt mit mittelalterlichem Stadtkern eine Lesung abzuhalten. Zu diesem schmeichelnden Anlass nimmst du eine beschwerliche Bahnanreise in Kauf und wirst schließlich von der Frau des Buchhändlers in einem alten Opel abgeholt. Wenn du dich nach dem Vorverkauf erkundigst, erntest du aufmunterndes Schweigen und später die Auskunft, dass die meisten Lesungsgäste kurzentschlossen kommen würden. Wer schließlich kommt, ist die Stammkundschaft, die der Buchhändler im Gegensatz zu den Thalias zum Glück hat und die mit ihrer Kulturbeflissenheit eigentlich alleine für die Existenz von Buchhändler, Autor und Verlag sorgen. Diese Stammkundschaft sieht überall gleich aus: Die Herren in Sakko und Kordhose und mit streng-aufmunterndem Blick über die Goldrandbrille, die Damen im Blazer und mit Duttfrisur. Der Buchhändler ist vor der Lesung aufgeregter als du und bringt in der Eröffnungsrede nicht nur deinen Namen und den Buchtitel unglücklich durcheinander, sondern vergisst auch das Mikro anzustöpseln. Hinterher sind alle pflichtgemäß fröhlich und dankbar und es gibt warmen Weißwein, obwohl der Korkenzieher fehlt. Am Ende hast du ein schlechtes Gewissen, weil du trotz der nur 14 zahlenden Gäste dein volles Honorar kassierst. Der Buchhändler zahlt es dir heim, indem er anmerkt, dass bei der Lesung von Benedict Wells neulich sogar noch zusätzliche (!) Bänke (!!) aus der Turnhalle (!!!) besorgt werden mussten.
 
***

  Die Leser
  Ziemlich lange Zeit ist dein Manuskript ja nur von Profis in die Hand genommen worden. Irgendwann aber, und meistens unerwartet, wird er vor dir auftauchen: Der Leser. Ein Mensch, der nicht in irgendeinem wahrheitsverzerrenden Verhältnis zu dir steht oder dein Buch als Rezensionsexemplar bekommen hat, sondern es einfach so gekauft hat. Und damit hat er sich natürlich auch das Recht erkauft, dir seine Anknüpfungspunkte und weiterführende Anmerkungen persönlich mitzuteilen. Weil du so gerührt davon bist, dass es ihn gibt, diskutierst du ausgiebig und gibst dem Leser nach einer zermürbenden Stunde schließlich in allen Punkten Recht: Ja, das alles erinnert an das Frühwerk von XY, genau, es liegen stilistische und historische Ungenauigkeiten vor und richtig, an der Aussprache bei der Lesung musst du noch viel arbeiten. Es gibt aber auch reizende Leser, die sich mit dir fotografieren lassen oder wollen, dass du ihr Buch signierst. Dabei genügt ihnen selten die Signatur, es sollte wenn möglich auch ein Sinnspruch dabei sein oder noch besser eine Kurzfassung des Inhalts mitsamt humoristischer Anspielung auf die Lebenssituation desjenigen, der das Buch demnächst geschenkt bekommen soll. Verweigerst du diese Forderung mit Verweis auf deine akute Hirnflaute, lernst du einen ganz neuen Gesichtsausdruck kennen. Er bedeutet in etwa: Aha, kaum ein Büchlein geschrieben und sich schon zu fein für alles, der Herr Poet.
 
***

  Die anderen Autoren
  Du triffst sie während der ganzen Saison, in der dein Buch aktuell ist, immer wieder: die anderen aus deiner Gewichtsklasse, deren Bücher auch gerade aktuell sind. Ihr sitzt nebeneinander bei den Debütantenlesungen, ihr kämpft gegeneinander bei Preislesungen, ihr winkt euch bei der Messe von einem Messestand zum anderen zu. Obwohl du ständig danach gefragt wirst, hast du die Bücher der anderen natürlich nicht gelesen, viel zu groß ist die Angst davor, zugeben zu müssen, dass sie das alles wirklich klüger und schöner gemacht haben als du und den Preis deswegen zurecht verdienen. Du beobachtest, wie sie im Gegensatz zu dir vor einer Lesung kein bisschen aufgeregt sind, dass bei ihnen das Mikrofon niemals streikt und sie nicht mal wie du Gefahr laufen, abends an der Bar im miesen Landhotel zu versacken, in dem ihr anlässlich der „48. Literaturtage Burg Giebelspfütz“ untergebracht seid. Wenn ihr miteinander sprecht, seid ihr natürlich voll des gegenseitigen Lobes und versucht nur mit der feinen Perfidie zweier Schönheitsköniginnen dem anderen möglichst viel eigene Erfolge reinzudrücken. Zu diesem Zweck werden erreichte Auflagenzahlen, Höhe der Stipendien und lobende Worte von Dritten stark geschönt. Am Ende der Saison hat dann jeder von euch irgendeinen Preis bekommen und auch irgendeinen Verriss, so dass weitgehend Waffenstillstand herrscht. Jetzt wird nur noch geschummelt, wenn es darum geht, wie weit ihr mit euren neuen Büchern seid. Du sagst vollmundig: „Ich sitze da an was Längerem.“ Was du meinst ist: „Eigentlich könnte der Agent mal wieder anrufen.“

Text: max-scharnigg - Foto: misterQM/photocase.com

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